Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Kaufbeuren: Mutmaßliche "Reichsbürgerin" stahl Akte: Nun muss sie in Haft

Kaufbeuren

Mutmaßliche "Reichsbürgerin" stahl Akte: Nun muss sie in Haft

    • |
    Eine 51-Jährige musste sich am Amtsgericht Kaufbeuren  wegen des Diebstahls einer Strafakte aus dem Gericht verantworten.
    Eine 51-Jährige musste sich am Amtsgericht Kaufbeuren wegen des Diebstahls einer Strafakte aus dem Gericht verantworten. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Ein solches Medieninteresse wie am Donnerstagvormittag gibt es am Kaufbeurer Amtsgericht wohl selten. Als kurz vor 11 Uhr eine 51-jährige Angeklagte in Handschellen in den Sitzungssaal geführt wird, muss sie zunächst ein Blitzlichtgewitter der Fotografen über sich ergehen lassen. Die Frau mit dunklen, nach hinten gebundenen Haaren trägt eine braune Jacke, ihren karierten Mantel hat sie ausgezogen. Manchmal huscht ihr ein Grinsen übers Gesicht, dann wirkt sie wieder nahezu teilnahmslos. Sie sei keine Reichsbürgerin, sagt sie vor der Verhandlung auf die Frage von Journalisten. Doch sie erkenne das Gericht nicht an.

    Die Justiz wirft der Frau vor, im Januar 2016 bei einer Gerichtsverhandlung gegen sie wegen Fahrens ohne Führerschein die Strafakte vom Richtertisch gestohlen zu haben. Dann warf sie die Akte einem Sympathisanten zu, nachdem es damals im Gerichtssaal zu einem tumultartigen Durcheinander gekommen war. Im juristischen Sinne muss sich die Frau wegen Diebstahls und „Verwahrungsbruch“ verantworten. Zur Sache macht die Frau keine Angaben. Die Strafakte ist bis heute verschwunden. Die Frau war in Abwesenheit zu acht Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden, flüchtete aber nach Spanien. Dort wurde sie schließlich festgenommen und im Februar dieses Jahres nach Deutschland ausgeliefert.

    Angeklagte will nicht zu den Reichsbürgern gezählt werden

    Gegenüber der Haftrichterin in München hatte die 51-Jährige gestanden, die Strafakte vom Richtertisch genommen zu haben. Es sei aber keinesfalls mit ihren Sympathisanten abgesprochen gewesen, dass die Verhandlung gestört werde. Auch sagte sie laut Protokoll im Februar: „Ich bin keine Reichsbürgerin, ich bin friedliebend.“ Warum sie ins Ausland geflohen sei, wollte die Haftrichterin wissen. „Ich bin nicht damit einverstanden, wie die Leute hier behandelt werden“, soll die Frau geantwortet haben.

    Reichsbürger, Germaniten, Identitäre - Die Szene der Staatsverweigerer

    Die Bewegung der Staatsverweigerer ist sehr heterogen. Sie umfasst mehrere sektenartige Gruppen von Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremen, die seit den 1980er-Jahren entstanden und untereinander zerstritten sind.

    Nur in einem sind sie sich einig: Deutschland sei kein echter Staat, das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 bestehe fort.

    Die Gruppen haben keine feste Organisationsstruktur.

    Die erste bekannte Organisation von „Reichsbürgern“ wurde 1985 als „Kommissarische Regierung des Deutschen Reiches“ gebildet. Gründer war Wolfgang Gerhard Günter Ebel, ein Westberliner Eisenbahner, der sich fortan „Reichskanzler“ nannte.

    Die Anhänger sprechen dem Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab.

    Ein Schwerpunkt in der Region ist das Allgäu. Doch bayernweit nehmen die Zahlen der "Reichsbürger" zu. Derzeit sind knapp über 300 Personen im Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West als „Reichsbürger“ eingestuft.

    Die Germaniten wurde im Dezember 2010 von einer gewissen Ulrike Kuklinski auf der Schwäbischen Alb gegründet.

    Sie sieht sich als Opfer der deutschen Justiz und bildete mit Gleichgesinnten die Behindertenfürsorge „Deutsche Ringvorsorge“, die Keimzelle des „Staates Germanitien“.

    Die Bewohner verstehen sich allen Ernstes als souveränes Staatsvolk mit einem eigenen Staatsgebiet in den Grenzen von 1937.

    Der Ursprung der Identitären Bewegung liegt in Frankreich, wo sie zu Beginn des Jahrhunderts im Dunstkreis des Front National entstand. Sehr aktiv ist die IB in Österreich, neuerdings auch in Bayern.

    Sie ist ethnopluralistisch – jede Ethnie soll ihren eigenen Raum haben – und geht von einer geschlossenen „europäischen Kultur“ aus, die vor allem vom Islam bedroht sei. Für Experten ist die IB eine neue Form des Rechtsextremismus. (hogs, sohu)

    Gegenüber dem Kaufbeurer Amtsrichter Sebastian Pottkamp macht die Angeklagte keine Angaben zur Sache, wohl aber zu ihrer Person: Sie sei in Kaufbeuren geboren, geschieden und Mutter einer 23 und einer 28 Jahre alten Tochter. Die Jüngere lebt in einer Einrichtung für Behinderte in Mindelheim. Sie sei gelernte Heilerziehungspflegerin, berichtet die Angeklagte, ebenso aber auch Restaurantfachfrau, Visagistin und Rückentherapeutin. In Spanien habe sie nur noch als „Heilerin“ gearbeitet.

    Illegales Video wird zum Beweisstück des Akten-Diebstahls

    Sieben Vorstrafen hat die Angeklagte. Viermal ist sie hinterm Steuer erwischt worden, obwohl sie keinen Führerschein hatte. Zentrales Beweisstück in diesem Prozess ist ein illegal aufgenommenes Video von der damaligen tumultartigen Gerichtsverhandlung. Darin ist zu sehen, wie die Frau die Strafakte an sich nimmt und einem Mann im Zuschauerraum des Sitzungssaals zuwirft. Staatsanwalt Bernhard Menzel kommentiert die Tat als „grobe Missachtung der Justiz“. Er könne sich nicht vorstellen, dass das Vorgehen nicht vorher geplant gewesen sei. Unter Einbeziehung der verhängten Strafe wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis fordert er eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten, die jedoch nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könne.

    „Man sollte die Kirche im Dorf lassen“, sagt dagegen Pflichtverteidiger Daniel Speckamp. Der materielle Schaden sei nur gering. Der Diebstahl der Akte sei „auf spontanen Entschluss aufgrund der vorausgegangenen Dynamik“ erfolgt. Der Verteidiger hält daher eine zehnmonatige Haftstrafe für angemessen.

    Amtsrichter Pottkamp folgt mit seinem Urteil von einem Jahr und zwei Monaten dem Antrag des Staatsanwalts. „An der Verhängung einer Freiheitsstrafe führt kein Weg vorbei“, sagt er. Er sehe bei der vorbestraften Angeklagten „keine positive Sozialprognose“. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Da die Frau ihre vorherige achtmonatige Strafe absitzt, bleibt sie in Haft.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden