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München: NSU-Prozess: Tödliche Überraschung aus der Christstollendose

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NSU-Prozess: Tödliche Überraschung aus der Christstollendose

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    Gut sechs Jahre konnte das Nazitrio mordend durch Deutschland ziehen. Fahndungsfoto von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Auch einen Sprengstoffanschlag auf ein Kölner Geschäft wird auf ihr Konto gerechnet.
    Gut sechs Jahre konnte das Nazitrio mordend durch Deutschland ziehen. Fahndungsfoto von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Auch einen Sprengstoffanschlag auf ein Kölner Geschäft wird auf ihr Konto gerechnet. Foto: Ostthüringer Zeitung (dpa)

    Der NSU-Prozess geht weiter. Mit dem ersten Sprengstoffanschlag der mutmaßlichen Neonazi-Terroristen beschäftigt sich das Gericht nun nach den zehn Morden und einem Banküberfall. Ziel des ersten NSU-Sprengstoffanschlags war ein Geschäft in Köln. Und dort hätte die 19 Jahre alte Mashia M. ihre Neugier fast mit ihrem Leben bezahlt.

    Die 19-jährige Deutsch-Iranerin wollte wissen, was sich wohl in einer mit Sternen verzierten Christstollendose befindet. Denn seit einigen Wochen schon lag diese Dose einem Einkaufskorb hinten im Lebensmittelgeschäft ihres Vaters in der Kölner Innenstadt.

    Am 19. Januar 2001 hebt die Deutsch-Iranerin den Deckel der Dose und löst, mit wenigen Sekunden Verzögerung, eine starke Explosion aus. Bevor ihr eine Stichflamme das Gesicht verbrennt und Splitter ihre Haut zerschneiden, hat sie noch eine blaue Gasflasche in der Dose gesehen.

    NSU-Sprengstoffanschlag: 19-Jährige wochenlang im künstlichen Koma

    Die junge Frau liegt wochenlang im künstlichen Koma. Wäre der Sprengsatz noch näher an ihrem Oberkörper explodiert, hätte sie lebensgefährliche Herz- oder Lungenverletzungen davontragen können, heißt es in einem Gutachten des bayerischen Landeskriminalamts.

    Wie der Sprengsatz in den Laden kam, ist damals relativ schnell klar: Kurz vor Weihnachten hatte ein junger Mann den Laden des Iraners - des Vaters der damals 19-jährigen Mashia - betreten. Er hatte einen Korb dabei, in den er einige Einkäufe legte. An der Kasse gab er an, seinen Geldbeutel vergessen zu haben und diesen nur schnell holen zu wollen. Den Korb ließ er dort stehen - und verschwand.

    Erst bleibt der gefährliche Korb noch vorne im Laden stehen, dann stellt ihn die Familie nach hinten - dorthin, wo Mashia M. am 19. Januar die Dose öffnet.

    Ein Kilo Schwarzpulver in der Gasflasche

    Die Ermittlungen verlaufen im Sande. Erst mehr als zehn Jahre später, nach dem Auffliegen der Neonazi-Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) im Herbst 2011, kommen die Hintergründe ans Tageslicht. Laut Anklage war es Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt, der den Sprengsatz in dem Laden deponierte. Ein Kilo Schwarzpulver befand sich in der Gasflasche.

    Neben den Morden, so steht es in der Anklageschrift, hätten auch die beiden Sprengstoffanschläge "der Verwirklichung ihrer rassistischen Ziele" gedient, "nämlich Menschen allein wegen ihrer nichtdeutschen Herkunft zu töten". Nach dam Anschlag auf das Ladengeschäft dürfte in Kürze auch der Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße 2004 Thema im Münchner Prozess sein. Zu beiden Taten hat sich der NSU in einem Film bekannt: im perfiden "Paulchen-Panther-Video", das im Brandschutt der letzten Wohnung des Trios in Zwickau gefunden wurde.

    Die Angeklagten im NSU-Prozess

    Das sind die Beschuldigten im Münchner NSU-Prozess:

    Beate Zschäpe: Sie tauchte 1998 gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unter, um einer drohenden Festnahme zu entgehen. Die drei Neonazis aus dem thüringischen Jena gründeten eine Terrorgruppe und nannten sich spätestens ab 2001 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).

    Ralf Wohlleben: Der ehemalige Thüringer NPD-Funktionär mit Kontakten zur militanten Kameradschaftsszene soll Waffen für das Trio organisiert haben. Der 40-Jährige wurde am 29. November 2011 verhaftet. Nach Ansicht der Ermittler wusste er von den Verbrechen - er ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

    Carsten S.: Der 35-Jährige hat gestanden, den Untergetauchten eine Pistole mit Schalldämpfer geliefert zu haben. Er ist wie Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

    Andre E.: Der gelernte Maurer (35) war seit dem Untertauchen 1998 einer der wichtigsten Vertrauten des Trios und soll die mutmaßlichen Rechtsterroristen zusammen mit seiner Frau regelmäßig besucht haben. E. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.

    Holger G.: Der 40-Jährige gehörte wie Wohlleben und die drei Untergetauchten zur Jenaer Kameradschaft. Er zog 1997 nach Niedersachsen um. G. spendete Geld, transportierte einmal eine Waffe nach Zwickau und traf sich mehrfach mit dem Trio. Auch G. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.

    Die Erkenntnisse der Ermittler zu der ersten Bombe belasten neben der Hauptangeklagten Beate Zschäpe auch einen der vier Mitangeklagten: André E. Böhnhardt und Mundlos fuhren damals mit einem gemieteten Wohnmobil nach Köln. Angemietet hatte das Fahrzeug André E.

    Mashia M. sagt im NSU-Prozess aus

    Am Dienstag und Mittwoch werden zunächst Sachverständige, Polizisten und Ärzte als Zeugen im NSU-Prozess gehört. Am Donnerstag soll Mashia M. dann selbst in den Zeugenstand treten - gefolgt von ihrer Familie. dpa/AZ

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