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Bayern: Nicht studierfähig? Professoren entsetzt über Bildung vieler Studenten

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Nicht studierfähig? Professoren entsetzt über Bildung vieler Studenten

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    Der Bayreuther Professor Gerhard Wolf will die Studenten von heute nicht schlechtreden. Viele von ihnen kämen motiviert, aber manche seien in ihren Vorlesungen fehl am Platz.
    Der Bayreuther Professor Gerhard Wolf will die Studenten von heute nicht schlechtreden. Viele von ihnen kämen motiviert, aber manche seien in ihren Vorlesungen fehl am Platz. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Sie wissen nicht, dass es in der Bibel ein Altes und ein Neues Testament gibt. Sie denken, der Erste Weltkrieg habe im 19. Jahrhundert stattgefunden. Und sie sind nicht in der Lage, ihre Gedanken verständlich zu Papier zu bringen. All das haben Professoren deutscher Universitäten über Studienanfänger gesagt. Der Bayreuther Germanistik-Professor Gerhard Wolf hat die Dozenten im Jahr 2011 zu den Leistungen ihrer Erstsemester befragt.

    Im Moment läuft die Bewerbungsphase für das kommende Wintersemester. Und Wolf sagt nach wie vor: Die Studienanfänger sind oft nicht gut genug für die Uni. Er nennt es „nicht studierfähig“. Der Deutsche Hochschulverband (DHB) in Bayern bestätigt das: „Die Leistungen lassen im schriftlichen und im mündlichen Bereich zu wünschen übrig“, sagt der Vorsitzende, Professor Rüdiger Ahrens.

    Wolf bemängelt Schwächen bei Grammatik und Rechtschreibung. In den Fächern Germanistik und Anglistik kennen viele Studenten „Faust“ und „Hamlet“ nur dem Namen nach. Er weiß auch von Ingenieurwissenschaftlern, die in Eignungsprüfungen allesamt mathematische Inhalte aus dem G-8-Lehrplan nicht anwenden konnten. Dennoch will Wolf nicht alle Studenten über einen Kamm scheren. „Ein Viertel kommt hoch motiviert und gut ausgebildet. Mit ihnen ist es eine Freude zu arbeiten.“

    Mangelnde Bildung bei Studenten: Woran liegt das?

    Einen Hauptgrund für die mangelnde Kompetenz vieler anderer sieht Wolf darin, dass heute etwa 40 Prozent der bayerischen Grundschüler aufs Gymnasium wechseln – selbst wenn Real- oder Berufsschule vielleicht besser für sie wären. Weil alle den Stoff verstehen müssten, sinke das Niveau.

    In den Naturwissenschaften ist es deshalb längst üblich, Abiturienten in sogenannten Brückenkursen kurz vor Studienbeginn Grundwissen zu vermitteln. Immer häufiger gibt es die Kurse auch in Geisteswissenschaften. Die Uni Bayreuth hat ein Schreibzentrum eingeführt, in den die Studenten lernen, ihre Arbeiten wissenschaftlich zu formulieren. „Das klingt wie Nachhilfe“, sagt Wolf. „Aber ohne geht es nicht.“

    Im Kultusministerium sieht man das anders. „Die Teilnahme an Vorkursen ist für einen adäquaten Studieneinstieg nicht notwendig“, heißt es. Vielmehr hätten die Kurse das Ziel, „den Kenntnisstand der Teilnehmer anzugleichen“. Ob ein Kurs angeboten werde und mit welchem Inhalt, entscheiden Hochschulen und Kursleiter selbst. In Zahlen ist deshalb schwer zu messen, wie oft sie gebraucht werden.

    Dem Bildungsbericht 2015 zufolge wechselten in Bayern zwischen 2003 und 2012 rund 80 Prozent der Studienberechtigten in den Jahren nach ihrem (Fach-)Abitur an die Hochschule. Knapp 52 Prozent studierten zuletzt direkt nach dem Schulabschluss. Aber warum ächzen die Dozenten, obwohl doppelt so viele Abiturienten mit 1,0 abschließen wie noch vor zehn Jahren?

    Studenten schicken den Dozenten Emojis

    Schulleiter bestätigen, dass gute Noten leichter zu bekommen sind, seit mündliche Prüfungen in der Oberstufe genauso viel zählen wie schriftliche. Und ein guter Schnitt befähigt auf den ersten Blick zum Studium. Rüdiger Ahrens vom DHB kritisiert zudem den Aufbau des jetzigen Abiturs. Früher wählten Gymnasiasten in der Oberstufe zwei Leistungskurse, in denen vertieftes Wissen vermittelt wurde. Mit deren Abschaffung sei die Allgemeine Hochschulreife zu einem „Schmalspur-Abitur“ geworden.

    Thomas Bodenmüller, der seit zehn Jahren die Zentrale Studienberatung der Universität Augsburg leitet, sieht aber nicht nur im Lehrplan die Schuld. Schulen könnten nur in begrenztem Rahmen auf die Universität vorbereiten. Die Studenten müssten auch zur eigenen Weiterbildung bereit sein. „Sie sind meist ein bis drei Jahre jünger als früher“, sagt Bodenmüller. Entsprechend seien sie weniger reif. Das sei besonders ungünstig, wenn die Neu-Studenten dazu völlig realitätsferne Vorstellungen von ihrem gewählten Studiengang hätten. „Wir haben den Eindruck, dass etwa ein Drittel der Erstsemester sich vor der Einschreibung überhaupt nicht mit den Inhalten des Studiengangs auseinandergesetzt hat.“ Bodenmüller bemerkt außerdem, dass Studenten beim Übergang von der Schule an die Uni weniger stark den Drang verspüren, ihre Gepflogenheiten umzustellen. Speziell gelte das für die Art zu kommunizieren. „Sie haben oft Schwierigkeiten, sich im Tonfall auf die Anlaufstellen der Universität einzustellen.“ Das Ergebnis: Berater und Dozenten erhalten zunehmend Mails im Stil einer Kurznachricht. „Hi“ als Anrede, „LG“ zum Abschied und am Schluss ein Emoji.

    Max Schmidt, Vorsitzender des Bayerischen Philologenverbands (BPV), hört solche Klagen oft. Ihn besorgt vor allem die „Noteninflation“, die in anderen Bundesländern noch ausgeprägter sei als in Bayern. Eine Eins vor dem Komma sei nicht mehr so aussagekräftig wie früher. In Bayern prüft der BPV gerade, wie man den Schülern in einzelnen Seminaren mehr Tiefe vermitteln könnte. Den Universitäten lastet Schmidt ein Versäumnis an. „Hochschulen hatten die Chance, auf den neuen Lehrplan am Gymnasium Einfluss zu nehmen, als er im Entstehen begriffen war.“ Getan hätten sie es nicht.

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