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Ehemaliger Polizeichef: Passau: Alois Mannichl und der unsichtbare Täter

Ehemaliger Polizeichef

Passau: Alois Mannichl und der unsichtbare Täter

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    Polizeichef Alois Mannichl. Archivbild.
    Polizeichef Alois Mannichl. Archivbild. Foto: aw htf

    Die Reihenhaussiedlung in der Ringstraße in Fürstenzell wirkt in ihrer Kreisform wie eine Trutzburg. In der Mitte liegt eine Grünfläche mit Spielplatz. Eine schmale Straße durchquert die Anlage. Ein Haus grenzt ans nächste. Die Eingänge der Eigenheime sind nach innen, zum Spielplatz hin, angeordnet und nur wenige Meter voneinander entfernt. Sichtschutz gibt es praktisch nicht. Was hier geschieht, bleibt nicht unbemerkt.

    Oder doch? Am Samstag, 13. Dezember 2008, gegen 17.30 Uhr geschah inmitten der Anlage ein Verbrechen, das in der Nachbarschaft unbemerkt blieb, aber europaweit Aufmerksamkeit erregte. Der damalige Passauer Polizeichef Alois Mannichl wurde vor seiner Haustür niedergestochen. Mit einem Küchenmesser aus dem eigenen Haushalt. Mannichl selbst lieferte die erste Spur: Der Täter sei ein etwa 1,90 Meter großer Unbekannter mit Glatze gewesen. Bevor er zustach, habe er noch gesagt "Du linkes Bullenschwein, du trampelst nicht mehr auf den Gräbern unserer Kameraden herum" und "Viele Grüße vom nationalen Widerstand". Ein Racheakt von Neonazis?

    Groß war das Entsetzen, während das Opfer notoperiert wurde. Politiker sprachen von einer Eskalation der Gewalt und einer neuen Dimension rechter Verbrechen in Bayern. Ein Verbot der NPD wurde gefordert.

    Und groß war die Zuversicht bei den Ermittlern. Soll der Täter doch eine auffällige Tätowierung hinter dem linken Ohr getragen haben: eine grüne Schlange. Die Aufklärung des Mordanschlags schien eine Sache von Tagen zu sein.

    Zwei Jahre später sagt Detlef Puchelt, Sprecher des bayerischen Landeskriminalamts (LKA): "Wir haben keine heiße Spur. Es gibt keinen Täter, kein Täterprofil, keinen in Frage kommenden Personenkreis." Mit anderen Worten: Die Ermittlungen, die über Monate hinweg mit einer 50-köpfigen Sonderkommission "Fürstenzell" geführt worden sind, haben keinerlei Ergebnis gebracht. Ein Offenbarungseid für die erfolgsverwöhnten bayerischen Kriminalbeamten.

    Die anfängliche Anteilnahme ist betretenem Schweigen gewichen. Niemand in Fürstenzell, einem Ort mit knapp 8000 Einwohnern im Landkreis Passau, will über den "Fall Mannichl" sprechen. Der ältere Herr geht weiter, ohne anzuhalten. Die junge Frau beim Bäcker sagt "Dazu sage ich nichts" und die Dame im Zeitschriftenladen meckert: "Das habe ich mir schon gedacht, dass es wieder losgeht, nach genau zwei Jahren ..."

    Ja, warum auch nicht? Immerhin ist das Attentat auf einen ranghohen Polizisten eines der spektakulärsten Verbrechen der vergangenen Jahrzehnte in Bayern. Dafür ist es nach nur zwei Jahren recht ruhig um den Fall geworden. Obwohl er von Merkwürdigkeiten und Ungereimtheiten nur so strotzt.

    Selbst die Staatsanwaltschaft Passau, die leitende Ermittlungsbehörde, gibt sich sehr wortkarg. Es gebe keine neuen Spuren, sagt Oberstaatsanwalt Josef Scheichenzuber. Wenn das LKA mitteile, dass nur noch drei Beamten die letzten verbliebenen Spuren abarbeiteten, dann entspreche das wohl den Tatsachen. Das war's. Die Frage, ob man sich damit zufriedengeben könne, wird überhört.

    Freilich, die erste Variante des Tatgeschehens ergab Sinn. Polizeidirektor Mannichl, Vater erwachsener Kinder, hatte sich einen Namen gemacht mit seinem konsequenten Vorgehen gegen Neonazis. Seit der Beerdigung von Friedhelm Busse Ende Juli 2008 entwickelte er sich geradezu zur Hassfigur der rechten Szene. Auf dem Passauer Friedhof hatten sich polizeibekannte Rechtsextremisten mit der Spitze der NPD versammelt, um den Altnazi zu beerdigen. Ein NPD-Funktionär legte eine Hakenkreuzfahne auf den ins Grab gelassenen Sarg. Mannichl ließ später das Grab öffnen. Die Fahne wurde entfernt, ein Verfahren eingeleitet, der Funktionär verurteilt.

    Diese Vorgeschichte, zusammen mit Mannichls Täterbeschreibung und den Aussprüchen während der Attacke ließen wenig Zweifel am Motiv zu. Hat die Polizei im sicheren Gefühl eines schnellen Erfolgs sämtliche Sorgfalt fahren lassen und selbst grundlegende Standards der Ermittlungsarbeit missachtet?

    Beispiel 1: Eine kriminalistische Routinearbeit wurde vergessen. Obwohl Mannichl angegeben hatte, er habe mit dem Täter gerangelt, wurde vor der Notoperation kein DNA-Material unter seinen Fingernägeln gesichert. Das hätte eine entscheidende Spur sein können.

    Beispiel 2: Drei Wochen lang ermittelten die Kripobeamten von Mannichls eigener Dienststelle in Passau in dem Fall. Das ist unüblich. Normalerweise werden Beamte anderer Dienststellen eingesetzt, die mehr Distanz haben. Erst Anfang des Jahres 2009 wurden das LKA und die Münchner Mordkommission eingeschaltet.

    Beispiel 3: Gefahndet wurde zunächst nur in Bayern, obwohl der Tatort nur 15 Autominuten von der österreichischen Grenze entfernt liegt und Mannichl gesagt hatte, der Messerstecher habe "bayerischen Dialekt mit österreichischer Einfärbung" gesprochen.

    Beispiel 4: Zur Peinlichkeit geriet die Spur zu einem Münchner Neonazi-Pärchen in der Woche nach der Tat. Eine Zeugin hatte das Pärchen in Tatortnähe gesehen. Doch anstatt die Spur mithilfe verdeckter Maßnahmen wie einer Telefonüberwachung zu verfolgen, entschieden sich die Ermittler für eine Festnahme. 36 Stunden später kamen die beiden wieder frei. Wie sich herausstellte, hatte die "zunächst sehr überzeugende Zeugin" ihre Beobachtungen frei erfunden.

    Ein Desaster mit Folgen. Der Verdacht fiel wegen der Ungereimtheiten nun auf Mannichls Umfeld, ja sogar auf seine Familie. In einem anonymen Brief unter einem gefälschten Briefkopf der Passauer Polizei war von einem "Familiendrama" die Rede. Der Messerangriff erschien auf einmal als Beziehungstat. Verärgert über die Pannen der ersten Wochen suchten die Fahnder nach einem möglichen Motiv. Sie gingen auch noch so vagen Gerüchten nach, es gebe irgendwo eine enttäuschte Geliebte des Polizeichefs.

    Fragen tauchten auf, die bis heute nicht beantwortet sind. Wenn es ein geplanter Racheakt eines Neonazis war, warum benutzte er kein eigenes Messer, sondern eines aus Mannichls Haushalt, das zufällig auf dem Fensterbrett neben der Haustür lag? Warum stach der Täter nicht sofort zu, sondern beschimpfte erst sein Opfer? Ermittler meldeten sich anonym in den Medien mit den Worten "irgendwas passt da nicht zusammen". Rätsel gab auch die Stichwunde auf. Ein rechtsmedizinisches Gutachten wurde in Auftrag gegeben, dessen genaues Ergebnis aber nie öffentlich wurde. Mannichls Glaubwürdigkeit wurde angezweifelt. Passaus Leitender Oberstaatsanwalt Helmut Walch reagierte auf Vorwürfe des Polizeichefs mit den Worten, Mannichl habe sich bei seinen Aussagen in Widersprüche verwickelt. Gegen ihn wurden Anzeigen wegen "Vortäuschens einer Straftat" erstattet. Mannichl, der Aufrechte, stand plötzlich da wie einer, der eine falsche Fährte gelegt hatte.

    Ein Desaster ist der Misserfolg der Ermittlungen auch, weil die braune Szene jubiliert. Der Fall sei ausgeschlachtet worden, um noch härter gegen die NPD und Konsorten vorgehen zu können, schwadronieren sie in Internetforen. Das Opfer wird verhöhnt.

    LKA-Sprecher Detlef Puchelt räumt heute ein: ""Anfangs dachten wir, alles ist schnell erledigt. Aber nun gibt uns der Fall ein gewisses Rätsel auf." Die These von der Beziehungstat sei aber vom Tisch. Von dem glatzköpfigen Hünen mit grüner Tätowierung am Hals ist ebenfalls keine Rede mehr. Rund 45 Spuren würden noch abgearbeitet, so Puchelt.

    Und dann? Keiner traut sich, es zu sagen. Dann ist der Moment nicht mehr weit, da die Akte Mannichl geschlossen wird.

    Alois Mannichl, heute 54 Jahre alt, will nicht mehr über das Attentat sprechen. Er sagt nur: "Meiner Familie und mir geht es zwischenzeitlich wieder gut." Ein halbes Jahr nach der Attacke war er zum Leiter der Verbrechensbekämpfung im Polizeipräsidium Niederbayern in Straubing ernannt worden. Straubing liegt 90 Kilometer von Fürstenzell entfernt. Mannichl sagt dennoch, die neue Tätigkeit als höchster Kriminalbeamter Niederbayerns mache ihm sehr viel Spaß. Seine Frau betreibt einen ambulanten Pflegedienst. Neun Autos mit dessen Aufschrift stehen auf dem Parkplatz. Das Geschäft läuft.

    In der Reihenhaussiedlung, in der nichts unbemerkt bleibt, herrscht Ruhe. Die Nachbarin ist freundlich, aber wachsam: "Was machen Sie hier. Kann ich Ihnen helfen?" Das Wohnhaus der Familie Mannichl ist gepflegt. Der Eingangsbereich ist weihnachtlich dekoriert. Der Familienname steht auf dem Klingelschild. Das war nicht unbedingt zu erwarten. Rechts über der Haustür hängt eine Überwachungskamera. Holger Sabinsky-Wolf

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