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Mittelfranken: Prozess gegen Amokschützen aus Ansbach: Angeklagter bedauert Taten

Mittelfranken

Prozess gegen Amokschützen aus Ansbach: Angeklagter bedauert Taten

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    Der wegen Mordes angeklagte Bernd G. l unterhält sich im Landgericht in Ansbach Bayern vor Prozessbeginn mit seinem Anwalt Benjamin Schmitt.
    Der wegen Mordes angeklagte Bernd G. l unterhält sich im Landgericht in Ansbach Bayern vor Prozessbeginn mit seinem Anwalt Benjamin Schmitt. Foto: Daniel Karmann/dpa

    Die Kapuze seiner dunkelgrauen Wolljacke hat er über den Kopf gezogen, sein blasses, schmales Gesicht versteckt er hinter einem Stapel Akten vor den Fotografen. Reglos verfolgt der 48-Jährige mit den kurzen grauen Haaren dann den Prozess: Seit Montag muss sich der mutmaßliche Amokschütze von Mittelfranken vor dem Landgericht Ansbach verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm zweifachen Mord vor. Im vergangenen Sommer soll der psychisch kranke Mann eine Rentnerin und einen Radfahrer erschossen haben. Erst nach einer eineinhalb Stunden dauernden Irrfahrt kann er festgenommen werden. Ein nachvollziehbares Motiv für die Taten gibt es nicht. Die beiden Menschen waren aus Sicht der Anklage Zufallsopfer.

    Selbst äußert sich der Angeklagte nicht

    Auch zum Prozessbeginn äußert sich der 48-Jährige dazu nicht selbst. Sein Anwalt verliest eine Erklärung - unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wie ein Gerichtssprecher anschließend berichtet, bedauert der Krankenpfleger die Taten. Und er entschuldigt sich bei den Familien seiner Opfer. Er habe die Geschehnisse jedoch anders erlebt und wahrgenommen - wie genau, sagt er nicht. Er brauche noch Zeit, um die Taten zu verarbeiten.

    Die Angehörigen können das alles noch immer nicht begreifen. "Wäre er (der Beschuldigte) überprüft worden, hätte die Tat verhindert werden können", schreiben die Witwe und der Sohn des getöteten 72 Jahre alten Radfahrers in einer schriftlichen Erklärung. Denn es sei bekannt gewesen, dass der 48-Jährige psychisch auffällig war. Außerdem habe der Sportschütze schon lange nicht mehr regelmäßig in seinem Verein geschossen. Die Angehörigen verstehen nicht, dass er trotzdem weiterhin zwei Waffen besitzen durfte.

    Laut Anklage stieg der Mann am Vormittag des 10. Juli 2015 in Ansbach in sein Auto. Bei sich hatte er eine Pistole und einen Revolver sowie mindestens 100 Schuss Munition. Im nahegelegenen Tiefenthal, einem Ortsteil von Leutershausen, spricht er kurze Zeit später aus dem Auto heraus eine 82 Jahre alte Frau an. Nach einem kurzen Wortwechsel fällt ein Schuss. Die Nachbarin der Rentnerin muss die Tat mit ansehen. Die 28-Jährige ist gerade mit ihrem Kind im Garten. Sie sieht, wie die Frau umfällt. Als Zeugin im Prozess sagt sie aus, danach sei der Beschuldigte "ganz normal weitergefahren".

    Die Nachbarin schreit nach der Tat laut los und alarmiert so andere Nachbarn. Schnell bringt sie ihr Kind in Sicherheit. Den 48-Jährigen identifiziert sie im Prozess als den Schützen. Während der ganzen Aussage sieht dieser starr geradeaus. Seine Füße sind gefesselt.

    Nach der ersten Tat fährt der Mann der Anklage zufolge weiter nach Rammersdorf. Dort steigt er aus dem Auto aus und schießt dreimal auf einen genauso wie sein erstes Opfer nichts ahnenden Rentner, der ihm auf dem Rad entgegen kommt. Auch sein zweites Opfer stirbt noch am Tatort.

    Auch auf eine Autofahrerin und auf einen Traktorfahrer schießt der 48-Jährige anschließend noch. Ein Schuss durchschlägt die Frontscheibe des Treckers, verfehlt jedoch glücklicherweise den Fahrer. Drei weitere Menschen werden von dem Mann bedroht, bilanziert die Staatsanwaltschaft.

    Der Mann gilt als schuldunfähig

    Kurz vor Mittag erreicht der Schütze schließlich das rund 30 Kilometer entfernte Bad Windsheim. Um sich Zigaretten zu kaufen, hält er an der Tankstelle eines Autohauses und geht mit der Pistole in den Verkaufsraum. Eine mutige 74-Jährige spricht ihn auf seine Waffe an. Das gehe sie überhaupt nichts an, herrscht der Mann sie laut den Ermittlungen an. Sie solle verschwinden, er könne sie sonst auch erschießen. Als der 48-Jährige kurz darauf die Pistole auf den Tresen legt, greift die Kassiererin beherzt zu und nimmt die Waffe an sich. Mitarbeiter des Autohauses können den Mann danach überwältigen und festhalten, bis die Polizei da ist.

    Amokläufe in Deutschland

    Saarbrücken: 25. Mai 1871. Als Erstes der sogenannten School Shootings gilt der Fall des Julius Becker. Er schoss auf zwei Mitschüler am Gymnasium in Saarbrücken. Zwei Wochen vor der Tat hatte er die Waffe gekauft. Nach der ersten Stunde schoss er ohne Vorwarnung dreimal auf den Kopf eines Mitschülers, traf außerdem einen zweiten Klassenkameraden.

    Haiger bei Dillenburg: 1924. Fritz Angerstein tötete zunächst seine Familie und Angestellte seines Hauses, verstümmelte sich im Anschluss selbst und brannte danach seine Villa nieder. Angerstein gab gegenüber der Polizei an, dass er in seiner Villa überfallen worden sei. Das stellte sich als gelogen heraus. Angerstein wurde zum Tode verurteilt und am Morgen des 17. Novembers 1925 hingerichtet.

    Amtsgericht Euskirchen: 9. März 1994. Der 39-jährige Erwin Mikolajczyk schoss in einem Gerichtssaal des Amtsgerichts Euskirchen um sich. Er reagierte damit darauf, dass sein Einspruch gegen eine Geldstrafe wegen Körperverletzung in Höhe von 7200 DM vom Gericht abgewiesen wurde. Anschließend zündete er eine Bombe. Sieben Menschen starben, acht weitere wurden teilweise schwer verletzt.

    Eching/Freising: 19. Februar 2002. Adam Labus kleidete sich in militärischer Tarnkleidung und fuhr mit dem Taxi zu der Dekorationsfirma, die ihm kurz vorher gekündigt hatte. Dort tötete er den 38-jährigen Betriebsleiter und einen 40-jährigen Vorarbeiter. Danach fuhr er mit demselben Taxi in seine Wirtschaftsschule in Freising. Er tötete den Schulleiter und verletzte einen Religionslehrer schwer. Schließlich tötete er sich selbst.

    Erfurt: 26. April 2002. Robert Steinhäuser erschoss am Vormittag des 26. April 2002 am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt elf Lehrer, eine Referendarin, eine Sekretärin, zwei Schüler und einen Polizisten. Anschließend tötete er sich selbst. Er war zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alt.

    Emdstetten: 20. November 2006: Bastian B. verletzte in seiner ehemaligen Schule drei Jugendliche durch Schüsse. Der Hausmeister wird durch einen Bauchschuss schwer verletzt. Eine ihm folgende schwangere Lehrerin wurde von einem Rauchkörper getroffen und erlitt Gesichtsverletzungen. Der Täter verletzte drei weitere Schüler und zündete Nebelkerzen, die den Einsatz der Polizei erheblich erschwerten. Der Täter tötete sich schließlich durch einen Schuss in den Mund selbst.

    Winnenden: 11. März 2009. Am Vormittag des 11. März 2009 tötete Tim Kretschmer 15 Menschen - und anschließend sich selbst. Er wütete in seiner Realschule und in ihrer Umgebung in Winnenden, außerdem in Wendlingen am Neckar. Der 17-jährige Tim Kretschmer konnte erst nach mehrstündiger Flucht von der Polizei gestellt werden. Elf weitere Menschen wurden teils schwer verletzt.

    Ansbach: 17. Septembers 2009. Schüler Georg R. wütete mit einem Beil, zwei Messern und drei Molotowcocktails am Gymnasium Carolinum in Ansbach. Er schleuderte einen Brandsatz in zwei Klassenzimmer. Als die Schüler flohen, schlug der Täter mit dem Beil wahllos auf sie ein. Zwei Schülerinnen wurden schwer, sieben Schüler sowie eine Lehrerin leicht verletzt.

    Lörrach: September 2010. In der südbadischen Stadt Lörrach erschoss eine Anwältin und Sportschützin ihren von ihr getrennt lebenden Mann in ihrer Wohnung, erstickte den gemeinsamen Sohn und legte anschließend Feuer. Danach lief sie in ein gegenüberliegendes Krankenhaus und erschoss einen Pfleger. Die Polizei tötet schließlich die 41-Jährige.

    Heidelberg: August 2013. Drei Tote und fünf Verletzte forderte ein Streit bei einer Eigentümerversammlung in Dossenheim nahe Heidelberg. Nach einer Auseinandersetzung über die Nebenkostenabrechnung wurde der Mann des Raumes verwiesen. Er kam mit einer Pistole zurück und lief Amok. Der Sportschütze tötete dabei zwei Männer und verletzte fünf Menschen schwer. Dann erschoss er sich selbst.

    Düsseldorf: Februar 2014. Ein bewaffneter Mann lief im Raum Düsseldorf in zwei Anwaltskanzleien Amok. Er tötete drei Menschen und legte in beiden Kanzleien Feuer. Die Ermittler sind sich sicher, dass der 48-jährige Familienvater sich an seiner Ex-Chefin sowie an den Kanzleien in Düsseldorf und Erkrath rächen wollte. Der Amokläufer wurde schließlich am 23. September 2014 zu lebenslanger Haft verurteilt.

    Ansbach: 10. Juli 2014: Ein Autofahrer erschoss bei seinem Amoklauf zwei Menschen, eine alte Frau und einen Radfahrer. Aus einem Auto heraus bedrohte der Schütze weitere Menschen und flüchtete. Die Polizei warnte vor dem Bewaffneten, es folgte eine Verfolgungsjagd. Kurz darauf Aufatmen: Der Mann wurde an einer Tankstelle gefasst. Außerdem sollen ein Landwirt und ein weiterer Autofahrer beschossen oder zumindest bedroht worden sein.

    München: 22. Juli 2016: Ein 18-jähriger Deutsch-Iraner schießt am Münchner Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) um sich. Er tötet neun Menschen, 27 weitere werden verletzt. Danach tötet sich der Schütze selbst. 2300 Sicherheitskräfte waren in München im Einsatz. (Stand 23.7.2016, 14.50 Uhr)

    Ins Gefängnis kommt der Beschuldigte voraussichtlich nicht. Wegen einer paranoiden Schizophrenie gilt er als schuldunfähig. Er muss sich daher nicht als Angeklagter in einem normalen Strafverfahren verantworten. In dem Sicherungsverfahren geht es darum, ob er dauerhaft in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht wird. Die Staatsanwaltschaft sieht in ihm eine Gefahr für die Allgemeinheit. Für die Aufarbeitung des Falls hat das Gericht vier weitere Termine bis zum 12. April geplant. 34 Zeugen und drei Sachverständige sollen gehört werden.  dpa

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