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Terror: Risikoforscher: Wir leben in einer außerordentlich sicheren Zeit

Terror

Risikoforscher: Wir leben in einer außerordentlich sicheren Zeit

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    Nach einer Schießerei in München am 25. Juli 2016 mit zehn Toten und vielen Verletzten liegen Blumen und Kerzen vor dem  Olympia-Einkaufszentrum.
    Nach einer Schießerei in München am 25. Juli 2016 mit zehn Toten und vielen Verletzten liegen Blumen und Kerzen vor dem Olympia-Einkaufszentrum. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Nach den Anschlägen in Würzburg, München und Ansbach haben viele Menschen das Gefühl, unser Leben wird gefährlicher. Stimmt das?

    Heilmann: Eigentlich leben wir in einer außerordentlich sicheren Zeit, der sichersten, in der Menschen bei uns je gelebt haben. Aber natürlich können immer wieder neue Gefahren hinzukommen, die es wieder gefährlicher machen. Die Anschläge haben zwar statistisch gesehen zugenommen, aber die Wahrscheinlichkeit, bei einem Anschlag oder durch ein Gewaltverbrechen ums Leben zu kommen, ist immer noch extrem gering. Dagegen sterben jeden Tag etwa zehn Menschen bei Autounfällen, auch durch selbst eingegangene Risiken bei Sport und Spiel, daran haben wir uns gewöhnt.

    Bedeutet das, dass wir Risiken nicht richtig einschätzen können?

    Heilmann: Das reale Risiko beruht auf Fakten. Das Empfundene kann davon abweichen. Sogar Unfallstatistiken ändern an der hohen Risikoakzeptanz beispielsweise des Autos nur wenig, weil das eigene Können und Geschick meist als hoch, das der anderen aber als niedrig eingeschätzt und somit gefolgert wird, dass sich das Risiko auf die anderen bezieht, nicht auf einen selbst.

    Viele Menschen haben nun Angst. Ist diese begründet oder nicht?

    Heilmann: Es ist ganz verständlich, dass die Menschen vor den neuen Gefahren Angst haben. Das darf man nicht anhand von Statistiken herunterspielen. Angst empfindet der Mensch als ein diffuses Gefühl der Gefährdung. Ihr kommt die wichtige Funktion eines unsere Sinne schärfenden Schutzmechanismus zu, der in einer Gefahrensituation - sei sie vermeintlich oder tatsächlich - eine augenblickliche Reaktion - Abwehr oder Flucht - auslöst. Wir brauchen also Ängste auch und vor allem in sicheren Zeiten.

    Warum?

    Heilmann: Weil es ohne Angst keine Vorsicht gibt. Sichere Zeiten sind auch gefährliche Zeiten, denn je sicherer wir uns fühlen, desto unsicherer leben wir.

    Wie geht man mit Ängsten am besten um?

    Heilmann: Angst ist etwas sehr Persönliches. Daher kann ich keine allgemeinen Ratschläge für den Umgang mit Ängsten geben. Jeder von uns muss mit seiner Angst selbst klarkommen und diese selbst verarbeiten können.

    Welche Rolle spielen die Medien, wenn es um Ängste in der Bevölkerung geht?

    Heilmann: Die Medienberichte bestätigen den Menschen ihre Ängste, können sie damit aber auch verstärken. Durch permanente Berichterstattung bleiben Risiken und Gefahren wach in der Bevölkerung. So kann man das Gefühl bekommen, auch permanent Gefahren ausgesetzt zu sein. Das Gefühl, in einer gefährlichen Zeit zu leben, wird gestärkt. Zunehmend dienen Medienberichte nicht nur dem Informationsbedürfnis der Menschen, sondern erhalten auch einen Unterhaltungswert. Das ist problematisch.

    Die Polizei hat angekündigt, das Sicherheitskonzept beispielsweise auf dem Münchner Oktoberfest oder auf dem Augsburger Plärrer zu verschärfen. Ist das sinnvoll?

    Heilmann: Es hat schon immer Kontrollen bei großen Veranstaltungen gegeben. Wenn man glaubt, die Sicherheitsmaßnahmen noch verbessern und verstärken zu können, dann sollte man es tun. Das gibt den Leuten auch das Gefühl, dass für die Sicherheit etwas getan wird. Die „psychologische Sicherheit“, nimmt zu, auch das ist wichtig, sollte aber beim Einzelnen nicht zu Sorglosigkeit führen. Feste ganz abzusagen, wäre falsch, genauso wie es sinnlos ist, sie zu umzäunen. Dabei muss man sich auch klar machen, dass alle Sicherheitsmaßnahmen auch denjenigen dienen, die für die Sicherheit zuständig sind, dass die Sicherheitsorgane lieber zu viel tun als sich hinterher sagen zu lassen, zu wenig getan zu haben.

    Können die vielen Sicherheitsmaßnahmen auch ins Gegenteil umschlagen und die Leute erst recht verängstigen?

    Heilmann: Bei dem ein oder anderen sicher, bei den meisten anderen eher nicht. Notwendig ist, dass man sich klar macht, dass man selbst abschätzen muss, was einem wichtig ist und was nicht. Das kann einem niemand abnehmen. Sicherheit ist nicht die Vermeidung jeglicher Risiken, Sicherheit ist ein Weg zwischen den Risiken hindurch.

    Klaus Heilmann ist Risikoforscher und Kommunikationsexperte.
    Klaus Heilmann ist Risikoforscher und Kommunikationsexperte. Foto: Irmgard Lorenz

    Zur Person: Der Münchner Klaus Heilmann ist Risikoforscher und Kommunikationsexperte.

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