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Wissenschaft: Sakrament noamol! Ein Brite als Dialektexperte

Wissenschaft

Sakrament noamol! Ein Brite als Dialektexperte

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    Mehr als 30000 Begriffe umfasst die Mundart-Kartei des britischen Dialektforschers Anthony Rowley.
    Mehr als 30000 Begriffe umfasst die Mundart-Kartei des britischen Dialektforschers Anthony Rowley. Foto: Foto: epd

    München „Kruzefix! Sakrament noamol! Herrgott Kreiz Kiesl Milliona Dunnerwetter!“ Ja, der Bayer flucht gern, erst recht mit religiösem Vokabular. In einem Jahrhundertprojekt erforscht ausgerechnet ein britischer Sprachwissenschaftler an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München die Eigenheiten der süddeutschen Mundart.

    Seit 1960 sammelt die Kommission für Mundartforschung Dialektvokabeln, fein säuberlich in unzähligen Karteikästchen geordnet. Ihr britischer Leiter Anthony Rowley ist seit 1988 dabei. Jedes Jahr trägt der 57-Jährige die Ergebnisse in schmalen Büchlein zusammen, im Juni ist die Sammlung von „blind bis Bock“ erschienen. Bis 2050 will der Professor bei Z ankommen.

    Er gesteht: „Dieses Wörterbuch übersteigt die Leben Einzelner.“ Eine Besonderheit des Bayerischen sei, dass sich hervorragend damit schimpfen lasse. „Erst recht mit religiösen Vokabeln“, sagt Rowley. Dabei sei es eher typisch katholisch, mit kirchlichen Begriffen wie „Sakrament“ oder „Kruzifix“ zu fluchen. „Protestanten dagegen rufen direkt den Namen Gottes, etwa „Allmacht!“ oder „Herrgott noamol!“, vermutet Rowley.

    Die natürliche Fortsetzung des Althochdeutschen

    Bei seiner Arbeit greift er auf das bayerisch-österreichische Vorgängerwerk von Johann Andreas Schmeller zurück, der von 1827 bis 1837 das erste deutsche Dialektwörterbuch zusammenstellte. „Die heutige Mundart ist die natürliche Fortsetzung des Althochdeutschen“, erklärt Rowley. Sie zu bewahren sei wichtig, um etwas über Kultur und Leben der Menschen zu lernen. So kenne das Bayerische etwa auch abseits des „Motzens“ viele christliche Ausdrücke. „Denn Religion, ebenso wie Landwirtschaft, dominierte das bayerische Leben lange.“ Der britische Germanistikprofessor eilt durch seine bis unter die Decke mit Karteikästen vollgestopften Büroräume. Bei einer Schachtel hält er an, blättert und zieht triumphierend ein Kärtchen heraus: „Hier! Beichte!“ Die regionale Färbung imitierend trägt er vor: „Den werd I sauba beichtn lossn.“ Besonders freut er sich über den nächsten Fund: „Di werma scho no katholisch macha!“, sagt er schelmisch grinsend und fragt: „Wissen Sie, was ein ,Bischof‘ ist?“ Im Dialekt nicht etwa kirchlicher Amtsträger, sondern ein alkoholisches Mischgetränk. Oder ein „Pritschenbischof“? Das bezeichne einen Mann, der sich von seiner Frau alles gefallen lässt.

    Wieso ausgerechnet er als Brite der Hüter des bayerischen Wortschatzes sei? Rowley zuckt mit den Schultern. Er habe sich ganz normal auf die Stelle beworben, und seine Qualifikationen zählten mehr als die Herkunft. Wer Rowley sprechen hört, den wundert das nicht: Der Professor aus Nordengland, der heute in Augsburg wohnt, spricht mittlerweile einen Dialektmischmasch aus Oberbayerisch und Schwäbisch. Sogar sein Englisch hat schon deutschen Akzent.

    So ein wissenschaftliches Dialektwörterbuch-Großprojekt ist natürlich kein einzigartig bayerisches Projekt. „Eigentlich gibt es für jede Mundart im deutschen Sprachraum so ein Buch“, sagt Rowley. Bayern sei verhältnismäßig weit zurück, erst bei Buchstabe B. In der Schweiz etwa sei man schon bei W, in Österreich bei T. (epd)

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