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Staatsanwalt erschossen: Todesschütze von Dachau muss lebenslang in Haft

Staatsanwalt erschossen

Todesschütze von Dachau muss lebenslang in Haft

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    Fanatischer Querulant: Der frühere Spediteur Rudolf U. muss lebenslang ins Gefängnis für den Mord am jungen Staatsanwalt Tilman Turck und drei Mordversuche. Das Gericht stellte die besondere Schwere der Schuld fest. U. wird wohl nie mehr freikommen.
    Fanatischer Querulant: Der frühere Spediteur Rudolf U. muss lebenslang ins Gefängnis für den Mord am jungen Staatsanwalt Tilman Turck und drei Mordversuche. Das Gericht stellte die besondere Schwere der Schuld fest. U. wird wohl nie mehr freikommen. Foto: Andreas Gebert, dpa

    Todesschütze von Dachau muss lebenslang in Haft: Die junge Witwe hält den Kopf tief gesenkt. Der Mann im Krankenbett neben der Richterbank hat ihr das Liebste genommen, ihre Zukunft zerstört. Der Angeklagte hat ihren Mann erschossen, obwohl er ihn gar nicht kannte – weil er Staatsanwalt war. Ein Zufallsopfer, sagt der Vorsitzende Richter Martin Rieder. „Wer da saß, war ihm völlig gleichgültig. Wichtig war, dass er ein Symbol der Justiz war.“ Damit wurde er zum Ziel seines blinden Hasses. Am Donnerstag verurteilte das Landgericht München den 55-jährigen Rudolf U. zu lebenslanger Haft und erkannte auch eine besondere Schwere der Schuld.

    Dachauer Todesschütze zu lebenslanger Haft verurteilt

    Aus Rache für seine vermeintlich ungerechte Behandlung vor Gericht erschoss der Transportunternehmer am 11. Januar den jungen Juristen Tilman Turck im Dachauer Amtsgericht, feuerte weitere Schüsse in Richtung Richterbank – und hätte dabei auch den Tod von Richter, Protokollführer und sogar seiner eigenen Anwältin in Kauf genommen. Die beiden und der 36-jährige Richter entkamen unter die Richterbank gekauert knapp den Schüssen. Der Schütze trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „Pfundskerl“ und dem Konterfei des argentinisch-kubanischen Revolutionärs Che Guevara.

    Der Hergang war klar. Der Angeklagte hat ihn nie bestritten und es gibt viele Zeugen. Der Richter hatte den insolventen Spediteur wegen nicht bezahlter Sozialversicherungsbeiträge verurteilt – zu einer Bewährungsstrafe und 30 Tagessätzen zu je 30 Euro. Das sei doch sehr mild gewesen, sagte der Richter später als Zeuge. Der Angeklagte gab hingegen unumwunden zu: Er habe auch den 36-Jährigen töten wollen. Er sei nur nicht mehr dazu gekommen.

    Jeder der Schüsse wäre tödlich gewesen

    Noch während der Richter das Urteil begründet, zieht der Transportunternehmer die Pistole und feuert auf den ahnungslosen Staatsanwalt, der sofort zusammenbricht. Die Ärzte können sein Leben nicht retten. Jeder der beiden Schüsse allein wäre tödlich gewesen. Er verblutet. Der Mann schießt weiter. Zwei Zeugen ringen ihn schließlich nieder – unter Einsatz ihres eigenen Lebens, wie der Schwurgerichts-Vorsitzende Rieder erläutert.

    Tödliche Anschläge auf Richter und Staatsanwälte

    Sicherheitsvorkehrungen in deutschen Gerichten können Angriffe auf Richter und Staatsanwälte nicht immer verhindern. Einigen gewaltbereiten Angeklagten gelingt es, Waffen mit in Gerichtsgebäude zu nehmen - mit tödlichen Folgen. Einige Beispiele:

    Januar 2012: Im Amtsgericht Dachau erschießt der Angeklagte den 31 Jahre alten Staatsanwalt. Der 55-Jährige feuert mit seiner Pistole auch Schüsse auf die Richterbank ab.

    Mai 1998: Ein 69-Jähriger erschießt aus Rache und Hass auf die Justiz einen 52 Jahre alten Amtsrichter in dessen Dienstzimmer in Essen. Dann tötet er sich selbst.

    Januar 1995: Ein 54-Jähriger schneidet einer Richterin im Kieler Amtsgericht die Kehle durch. Er hatte irrtümlich angenommen, die 49-jährige sei im Sorgerechtsstreit um seinen Sohn zuständig. Danach versucht der Mann, sich selbst zu töten. Er gilt als psychisch krank.

    März 1994: Im Gericht in Euskirchen in Nordrhein-Westfalen zündet ein 39-Jähriger einen Sprengsatz, nachdem seine Ex-Freundin ihn wegen Körperverletzung angezeigt hat. Der Angeklagte sollte eine Geldstrafe von umgerechnet 3600 Euro zahlen. Unter den sieben Toten sind der Richter, die Frau und der Täter selbst. Acht weitere Menschen werden verletzt.

    All das hört sich der Angeklagte ohne jede Regung an. Bleich, apathisch liegt er im Bett, vielleicht schläft er sogar manchmal. Ab und zu nimmt er einen Schluck Milch. Außer Milch hat er seit seiner Verhaftung praktisch nur Chips und Schokolade zu sich genommen – nicht die richtige Diät für einen Diabetiker. Er nimmt von 160 auf 80 Kilogramm ab, verweigert jede medizinische Behandlung. Beide Beine müssen ihm amputiert werden.

    Mord an Staatsanwalt

    Unklar ist, ob er die lebenslange Haft, die bei einer besonderen Schwere der Schuld auch nach 15 Jahren nicht zu Ende wäre, überhaupt überleben kann. Trotzdem gibt er den erbitterten Kampf gegen die Justiz auch jetzt nicht auf. „Der Angeklagte will Revision einlegen“, sagt sein Pflichtverteidiger Wilfried Eysell nach der Verhandlung. Er kenne aber die Gründe noch nicht.

    Wahlverteidiger Maximilian Kaiser, der mit seinen Ausführungen mehrfach für Fassungslosigkeit sorgte, kam nicht zum Urteil. Mit seinem Mandanten eint ihn das Gefühl, von der Justiz ungerecht behandelt zu werden. Neben der Witwe sind die Eltern des Opfers im Gericht. Sie folgen der Urteilsverkündung gefasst. Sie hatten die Justiz scharf kritisiert: Bessere Sicherheitsvorkehrungen hätten das Leben ihres Sohnes retten können. Diese Frage habe im Prozess freilich nicht geklärt werden können, sagt ihr Anwalt Maximilian Müller.

    Ungeklärt bleibt auch, was den Angeklagten zu solcher Verbohrtheit brachte, mit der er gnadenlos nicht nur das Leben anderer, sondern auch sein eigenes zerstört. Nach der dreiviertelstündigen Urteilsverkündung rollen Sanitäter den Mann in dem Krankenbett hinaus. Es geht zurück in die Krankenstation des Gefängnisses Stadelheim. Mit seinem Trotz und seiner „fanatisch-querulatorischen Fehlhaltung“, wie es ein Gutachter nannte, hat er sich auch selbst zugrunde gerichtet. Als körperliches Wrack verlässt er den Gerichtssaal. Ein „Pfundskerl“ sieht anders aus. Sabine Dobel, dpa

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