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Interview: Tracht ist Kult: "Ein ganz neues Phänomen"

Interview

Tracht ist Kult: "Ein ganz neues Phänomen"

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    Das Tragen von Trachten hat in den vergangenen Jahren einen Höhepunkt unter den jungen Leuten erreicht.
    Das Tragen von Trachten hat in den vergangenen Jahren einen Höhepunkt unter den jungen Leuten erreicht. Foto: Fotolia (Symbolbild)

    Der Plärrer ist fast zu Ende und eine Entwicklung, die nicht nur in den vergangenen zwei Wochen aufgefallen ist, faszinierte die Besucher des Volksfestes. Frau Egger, können Sie sich als Kulturwissenschaftlerin erklären, warum die Tracht wieder so im Trend liegt?

    Simone Egger: Die Tracht ist nicht wieder aufgekommen, das ist ein ganz neues Phänomen. Das gab es vorhin in dieser Art und Weise nicht. Was aufgekommen ist, dass vor allem junge Leute begonnen haben, Dirndl und Lederhosen anzuziehen.

    Warum tragen speziell junge Leute Lederhose und Dirndl?

    Egger: Diese Kleidungsstücke in Kombination stehen für eine lokale Verbundenheit. Leute aus Augsburg, München oder auch weltweit ziehen bestimmte Sachen an, um sich mit etwas verbunden zu fühlen. Ich kenne einen französischen Ingenieur, der seit längerem in Augsburg lebt und er hat mir ganz selbstverständlich von seiner Lederhose erzählt. Er drückt über die Tracht also seine Verbundenheit zur neuen Heimat aus. Gleichzeitig ist das Tragen der Tracht mit was Positiven verbunden, wenn man mit Freunden oder der Familie auf den Plärrer oder Oktoberfest geht um zu Feiern.

    Seit Jahren bieten pünktlich zu den großen Volksfesten im Sommer Discounter auch Lederhosen und Dirndl an.

    Egger: Das ist wie im richtigen Leben, dass es unterschiedliche Ansichten dazu gibt. Wer eine teurere Lederhose an, ist nicht heimatverbundener als einer, der eine billigere kauft. Für manche Leute ist es ein Partygag, der dazu gehört, und für andere ist es eben die Verbundenheit.

    Kann man die Lederhosen und Dirndl wirklich als Tracht ansehen?

    Egger: Ja und Nein. Es gibt historische Trachten, die aus einer Zeit stammen, wo Textilien nicht industriell hergestellt worden. Die Tracht war eben das Gewand, das man angehabt hat, was aber noch nicht industriell genäht worden war. Heute tragen fast nur Trachtenvereine solche Kleidungsstücke.

    Wie authentisch sind dann die Trachten auf den Volksfesten?

    "Dirndl ist kein historisches Trachtenstück"

    Egger: Gleich vorweg, dass Dirndl ist kein historisches Trachtenstück. Es wurde Ende des 19. Jahrhunderts für die Frauen aus der Großstadt als Sommerkleid erfunden. Vom Schnitt erinnert es an historische Gewänder, aber eigentlich ist es eine moderne Übersetzung. Das Dirndl stellt eher die Idee eines schönen Lebens da.

    Und die Lederhose?

    Egger: Sie war ein Gebrauchsgegenstand aus dem hochalpinen Raum. Bei den Witterungen war die Lederhose einfach praktisch, weil sie auch wasserdicht war. Später war sie eine Arbeitskleidung, auch in Bayerisch-Schwaben.

    Und wie sieht es mit Dirndl und Lederhose zusammen aus?

    Egger: Lederhose und Dirndl haben historisch nichts gemeinsam. Dieses Trachtenpaar hat sich relativ spät gefunden. Das Design ist aber so gut, dass es sich wunderbar verbreiten lässt.

    Was für eine Geschichte steckt dann dahinter?

    Simone Egger
    Simone Egger Foto: Egger

    Egger: Nach 1806 versuchten die Wittelsbacher als Könige alte und neue Bewohner auf die bayerische Nation einzuschwören. Zu den Neuen gehörten auch die Schwaben und die Franken – schon damals wurde nach Symbolen gesucht, die alle Untertanen verstehen. Zur Hochzeit von Kronprinz Ludwig mit Therese wurden deshalb schon Trachten gezeigt, alte, neue und neu erdachte. Das scheint funktioniert zu haben, über die Kleider konnten sich alle auf Bayern einigen. Wenn jetzt die Augsburger am Plärrer Dirndl und Lederhosen tragen, sieht man, dass die Strategie funktioniert hat.

    Was hat es mit den karierten Hemden auf sich?

    Jetzt tragen immer mehr Volksfest-Besucher karierte Hemden oder Samtwesten. Wie lässt sich das verbinden?

    Egger: Ich würde es als Geschmackssache ansehen. Historisch haben die Kleidungsstücke auch keine Gemeinsamkeiten. Eigentlich waren weiße oder blau-weiß gestreifte Hemden, die man auch Pfoad nennt, mit Stehkragen weitverbreitet. Karierte Oberteile oder Samtwesten sind dagegen sehr moderne Kombinationen.

    Woher kommt dann der Usos, dass die Schleife beim Dirndl aussagt, ob die Frau verheiratet ist oder nicht?

    Egger: Kann man nicht nachvollziehen. Das ist eigentlich auch eine ganz neue Geschichte. Daran kann man aber wunderbar erkennen, dass jede Tradition irgendwo begonnen hat. Wir können zuschauen wie eine neue Tradition entsteht.

    Ist das nicht ein schöner Gedanke in unserer schnelllebigen Zeit?

    Egger: Ja, definitiv. Vor allem junge Leute haben Anfang der 2000er damit begonnen. Sie hatten eine große Freiheit, was sie sein und tun wollten. Und viele wollten ihre lokale Verbundenheit irgendwie ausdrücken und haben sich dann eben solche Kleidungsstücke angezogen. Dabei spielte aber die historische Authentizität keine große Rolle.

    Was sind dann Trachten?

    Egger: Eine neue Tradition, die gleichzeitig extrem modern ist. Und sie verbindet auch Leute. Sie schafft Gemeinsamkeiten.

    Trägt dann in zehn Jahren ganz Deutschland oder der französische Ingenieur auf Heimaturlaub Lederhose?

    Egger: Womöglich. Er zeigt damit, wo er jetzt wohnt. Ich habe mich auch mit einem chinesischen oder brasilianischen Ehepaar darüber unterhalten. Es ist üblich die Tracht mitzunehmen und zu zeigen.

    Oder endet der Trend bald wieder?

    Egger: Kann sein, da einige die enge konservative Haltung gegenüber die Heimat ablehnen. Für eine junge Generation, für die Globalisierung und offene Grenzen normal sind, kann die Tracht unattraktiv werden.

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