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Allgäu: Trauriger Rekord: Kempten hat höchste Suizidrate in Bayern

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Trauriger Rekord: Kempten hat höchste Suizidrate in Bayern

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    Trauriger Rekord: Kempten hat die höchste Suizidrate in ganz Bayern.
    Trauriger Rekord: Kempten hat die höchste Suizidrate in ganz Bayern. Foto: Franziska Gabbert, dpa

    In Bayern nehmen sich so viele Menschen das Leben wie in keinem anderen westlichen Bundesland. Im Jahr 2013 gab es im Freistaat 1727 Suizide – 14 mehr als im Vorjahr, wie der Bayerische Rundfunk am Freitag unter Berufung auf Zahlen des Landesamts für Statistik berichtete. Gemessen an der Bevölkerung gebe es nur in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mehr Selbsttötungen.

    Bayern liegt erst seit 2009 bundesweit mit an der Spitze. Warum, das lässt sich wissenschaftlich nicht vernünftig erklären“, sagt Dr. Manfred Wolfersdorf, Suizidforscher und ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Bayreuth. „Bundesweit seien die Suizidfälle seit den 1980er Jahren von 14000 auf rund 10000 jährlich gesunken. Das liege auch an der verbesserten Depressionsbehandlung. Denn 90 Prozent der Menschen, die sich das Leben nehmen, seien psychisch krank.

    Gibt es zu wenig Anlaufstellen für Suizidgefährdete in Bayern?

    Ob es in Bayern möglicherweise zu wenige Anlaufstellen für Suizidgefährdete gebe, vermochte Wolfersdorf nicht zu sagen. „Richtig ist aber wohl, dass in ländlich bestimmten Regionen die Versorgungssituation schlechter ist. Und der Freistaat hat ja viele dünn besiedelte Gebiete.“

    Das versteht man unter erweitertem Selbstmord

    Unter einem erweiterten Selbstmord verstehen Juristen und Psychologen, dass der Täter ihm nahe stehende Menschen mit in den Tod nimmt - anders als beim Doppelselbstmord ohne deren Einverständnis.

    Oftmals wird durch den Täter die eigene Familie ganz ausgelöscht.

    Es können wirtschaftliche Probleme oder schwere Krankheiten sein, die eine solche Verzweiflungstat vor allem bei Männern auslösen - sie glauben, auch ihre Familie könne mit den Problemen nicht fertig werden.

    In der Logik des erweiterten Suizids muss sich der Täter zuletzt töten. Misslingt ihm dies oder kann er sich gar nicht erst dazu überwinden, ist eine Verurteilung wegen Mordes oder Totschlags wahrscheinlich.

    Forschungsergebnisse belegen, dass Männer häufiger als Frauen zu Tätern werden.

    Frauen beziehen meist ausschließlich ihre Kinder in den Selbstmord mit ein. Mitunter leiden diese Mütter unter schweren psychischen Problemen.

    Unter den 96 Landkreisen und kreisfreien Städten in Bayern weist die Stadt Kempten die höchste Selbstmordrate auf. 24,2 Suizide kommen auf rechnerisch 100000 Einwohner. „Dafür gibt es keine einfache Erklärung“, antwortet der ärztliche Direktor der Bezirksklinik Kempten, Professor Peter Brieger, auf die Frage nach den Ursachen.

    Experten suchen Mustern unter Suizidfällen in Kempten

    Aber Brieger und weitere Doktoranden sind den Gründen auf der Spur. Die Staatsanwaltschaft Kempten hat den Wissenschaftlern die Akten aller Kempener Suizidfälle der vergangenen zehn Jahre zur Verfügung gestellt. Über 600 sind es. Bei dieser Untersuchung werden über die Verstorbenen umfassende Daten von Ärzten, der Polizei und den Angehörigen gesammelt. Das ergibt ein genaueres Bild, da vor allem die Kripo oft Fragen stellt, die weder Ärzte noch Hilfsorganisationen erfahren.

    Sterbehilfe: Die Rechtslage in Deutschland

    Der Bundestag will die Sterbehilfe in Deutschland reformieren. Ein Überblick über Rechtslage und Reformüberlegungen:

    Aktive Sterbehilfe: Sie ist in Deutschland strafbar. Wer jemanden auf dessen Wunsch tötet, wird wegen Tötung auf Verlangen mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft.

    Passive Sterbehilfe: Gemeint ist der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen. Laut Bundesgerichtshof dürfen Ärzte die Maßnahmen auch dann abbrechen, wenn der Patient noch nicht kurz vor dem Tod steht.

    Indirekte Sterbehilfe: Die Gabe starker Schmerzmittel, die durch ihre Wirkung auf geschwächte Organe das Leben verkürzen können, ist nicht strafbar, wenn sie dem Patientenwillen entspricht. Eine Übersicht über die solche Fälle in Kliniken gibt es nicht.

    Beihilfe zum Suizid: Ein Mittel zur Selbsttötung bereitzustellen, das der Betroffene selbst einnimmt, ist nicht strafbar. Die Ärzteschaft hat sich allerdings in ihrem Berufsrecht das Verbot auferlegt, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten.

    Reformpläne: Organisierte Sterbehilfe soll verboten werden. Vereinigungen sollen keine Tötungshilfe als Serviceangebot anbieten dürfen. Doch die unterschiedlichen Positionen verlaufen quer durch die Fraktionen des Bundestages. Es wird wahrscheinlich mehrere Gruppenanträge von Abgeordneten geben und am Ende eine Abstimmung ohne Fraktionszwang.

    Erhoben und ausgewertet sind die Daten. „Jetzt suchen wir nach möglichen Mustern.“ In einem Monat, sagt der Arzt, könnten erste Ergebnisse vorliegen. Brieger hat derzeit noch ein ganz anderes Problem. In wenigen Wochen zieht seine komplette Klinik um. (mit dpa)

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