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Nördlingen: Warum der Lehrer der "Zwölf Stämme" verurteilt wurde

Nördlingen

Warum der Lehrer der "Zwölf Stämme" verurteilt wurde

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    Ein 54-jähriges Mitglied der Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" ist wegen einer Prügelstrafe zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden.
    Ein 54-jähriges Mitglied der Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" ist wegen einer Prügelstrafe zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Foto: Karl-Josef Hildenbrand /dpa

    Am Ende stand der Angeklagte auf, er hatte das letzte Wort. Der 54-Jährige, ein Mitglied der Zwölf Stämme, wiederholte, was er bereits am ersten Verhandlungstag vor einer Woche gesagt hatte: dass die Vorwürfe gegen ihn „aus der Luft gegriffen“ seien.

    Das Nördlinger Amtsgericht sah die Sachlage hingegen anders. Richterin Miriam Schmitt-Wüstenhagen verurteilte den Mann wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Haftstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Zudem muss der 54-Jährige 2000 Euro an eine soziale Einrichtung zahlen.

    Grundlage des Urteils war die Aussage eines Aussteigers der Sekte, der erzählt hatte, dass er als Minderjähriger vom Angeklagten mit einer Rute geschlagen worden sei. Der heute 23-Jährige schilderte, der Angeklagte sei ein Lehrer der Gemeinschaft gewesen und habe vor etwa neun Jahren, um das Jahr 2006 herum, einen Zweig aus dem Gebüsch gebrochen und ihm, dem Zeugen, damit etwa fünf Mal sehr hart auf den Hintern geschlagen.

    Weitere Zeugen dieser Tat gab es nicht. Die Beweislage war also dürftig, zumal sich der Aussteiger nur noch an wenige konkrete Details erinnern konnte und sich in kleinere Widersprüche verhedderte. So hatte er gegenüber der Polizei ursprünglich angegeben, er sei vor der Mühle auf dem Hofgut in Klosterzimmern geschlagen worden, zwischen den Büschen dort. Am ersten Verhandlungstag sagte er hingegen, er könne sich gut daran erinnern, dass der Angeklagte ihn in der Mühle selbst gezüchtigt habe. Als Staatsanwalt Matthias Ernst ihn auf diesen Widerspruch hinwies, rechtfertigte sich der Aussteiger, es habe eben viele solcher Vorfälle gegeben.

    Zwölf-Stämme-Prozess: Verteidiger zweifeln Glaubwürdigkeit des Zeugen an

    Die Anwälte des Angeklagten, Hans-Walter Forkel und Michael Langhans, zweifelten die Glaubwürdigkeit des Zeugen an. Forkel hatte dem Aussteiger am ersten Verhandlungstag die Frage entgegengeschleudert, ob er für seine Aussage Geld bekomme; in dieser Schärfe war es weitergegangen. Die Anwälte betonten insbesondere, dass sich der Zeuge in der Vergangenheit als Sektenaussteiger in den Medien geäußert und dafür von Fernsehsendern zum Teil Aufwandsentschädigungen erhalten hatte. Nun plädierten die Verteidiger auf Freispruch für ihren Mandanten. Der Aussteiger, sagte Langhans, habe verschiedene Aspekte vermengt und sei nicht in der Lage, einzelne Situationen zu trennen. Es sei nicht belegt, „wann es etwas gab, wo es etwas gab, durch wen es etwas gab“.

    Staatsanwalt Matthias Ernst hingegen forderte wegen gefährlicher Körperverletzung und Misshandlung Schutzbefohlener neun Monate Haft auf Bewährung für den 54-Jährigen. Dessen Schläge seien geeignet gewesen, „erhebliche Schmerzen zu verursachen“; Lehrer hätten in der Sekte nach eigenem Ermessen züchtigen dürfen, um den Willen der Kinder zu beugen. In der Aussage des Aussteigers habe es kleinere Widersprüche gegeben, diese seien jedoch auflösbar, wenn man sich vor Augen halte, dass es eine Vielzahl solcher Vorfälle gegeben habe.

    Dies sah letztlich auch Richterin Schmitt-Wüstenhagen so, die den Vorwurf der Misshandlung Schutzbefohlener allerdings fallen ließ. Der Zeuge sei insgesamt glaubwürdig gewesen und habe keinen Belastungseifer an den Tag gelegt. Zwar könne sich der Aussteiger nicht mehr ganz genau an die Tat erinnern, etwas anderes wäre aber auch verwunderlich, sagte die Richterin. Für den Angeklagten spreche, dass die Tat lange zurückliege und er nicht vorbestraft sei. Zu seinen Lasten müsse man berücksichtigen, dass er ein minderjähriges Kind geschlagen habe, und das auch auf eine erniedrigende Art und Weise.

    Weitere Prozesse gegen Mitglieder "Zwölf Stämme"

    Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht. Falls die Verteidiger noch innerhalb dieser Woche Rechtsmittel einlegen, müsste sich das Landgericht Augsburg mit dem Fall befassen. Bei drei Müttern, die im Januar vor dem Nördlinger Amtsgericht ebenfalls zu Bewährungsstrafen verurteilt worden waren, kam es genau so. In einem Fall hat das Landgericht die Strafe deutlich abgemildert, die anderen Prozesse stehen noch aus.

    Auch an anderer Stelle beschäftigt sich die Justiz mit den Zwölf Stämmen. So werden sich weitere Mitglieder der Gemeinschaft vor dem Amtsgericht verantworten müssen, da sie Kinder mit Ruten geschlagen haben sollen. Und vor dem Familiengericht laufen noch einige Sorgerechtsverfahren, in denen geklärt werden soll, ob die Kinder der Sekte zurück zu den Zwölf Stämmen kommen oder in Pflegeeinrichtungen verbleiben.

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