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Namensstreit in Friedberg: Wernher von Braun: Ein Held, der keiner mehr ist

Namensstreit in Friedberg

Wernher von Braun: Ein Held, der keiner mehr ist

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    Der Raketenkonstrukteur  Wernher Freiherr von Braun erklärt auf dem undatierten Archivbild anhand eines Modells die Funktion von Raketen-Raumschiffen.
    Der Raketenkonstrukteur Wernher Freiherr von Braun erklärt auf dem undatierten Archivbild anhand eines Modells die Funktion von Raketen-Raumschiffen. Foto: dpa

    Er war ein gut aussehender Mann, charmant, charismatisch und mit vielen Talenten gesegnet. Er spielte Beethovens Klaviersonaten und erfüllte den uralten Menschheitstraum vom Flug ins All. Die Euphorie über die geglückte Mondlandung war groß genug, um das junge, mathematisch-naturwissenschaftlich ausgerichtete Gymnasium in Friedberg (Kreis Aichach-Friedberg) nach Wernher von Braun zu benennen, dem geistigen Vater dieser technischen Meisterleistung.

    Heute geht das Unbehagen über den Namen quer durch die Gesellschaft und die politischen Parteien: Ist dieses Patronat tragbar angesichts von Brauns Mitverantwortung für die Nazi-Verbrechen im Dritten Reich?

    Staatssekretär Silber rät zur Namensänderung

    Die Schule hat erst im vergangenen Jahr bekräftigt, an ihrem Namen festhalten zu wollen. Doch inzwischen rät auch die Staatsregierung zum Kurswechsel. Man gehe davon aus, dass sich die schulischen Gremien "in Kürze mit der Namensgebung beschäftigen werden", teilte das Kultusministerium jetzt mit, das diesen Vorgang intensiv begleiten will.

    "Ich würde dazu raten, diesen Namen zu ändern", sagte Staatssekretär Bernd Sibler (CSU) unserer Zeitung. Der Respekt vor den schulischen Gremien verbiete es aber, dies einfach anzuordnen. Im Ministerium verweist man auf das Beispiel der Mittelschule in Murnau. Dort hatte man sich 2011 binnen weniger Tage vom Namensgeber Max Dingler getrennt, einem Zoologen und Heimatdichter mit brauner Vergangenheit.

    Daten und Fakten über Wernher von Braun

    Kindheit und Jugend: Wernher von Braun wurde am 23. März 1912 geboren. Er entstammte einem national-konservativen Elternhaus, sein Vater Magnus war Landwirtschaftsminister unter Reichskanzler Franz von Papen.

    Studium: Nach dem Physikstudium in Berlin und Zürich trat von Braun 1932 als Zivilangestellter in den Dienst der Reichswehr und promovierte mit einer Arbeit über "Konstruktive theoretische und experimentelle Beiträge zu dem Problem der Flüssigkeitsrakete".

    Beruf: Von Braun machte schnell Karriere. 1937, mit nur 25 Jahren, war er bereits Technischer Direktor der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, wo Raketen für den Krieg entwickelt wurden.

    Parteimitglied und SS-Mann: 1937 trat von Braun der NSDAP bei, 1940 der SS - möglicherweise beides unter Druck des Regimes. Er soll die SS-Uniform aber regelmäßig getragen haben und stieg rasch auf. Hitler selbst verlieh ihm 1943 den Titel Professor.

    Peenemünde: Schon in der Heeresversuchsanstalt an der Ostsee wurden Zwangsarbeiter zur Produktion der Terrorwaffe V 2 eingesetzt.

    Mittelbau-Dora: Nach alliierten Luftangriffen wurde die Raketenfertigung unter Tage verlegt, in den thüringischen Harz nahe Nordhausen. Rund 20 000 der 60 000 Insassen des KZ Mittelbau-Dora starben in den unterirdischen Fabrikanlagen.

    Kriegsende: Anfang April 1945 zogen sich von Braun und 500 Raketentechniker nach Bayern zurück - nicht ohne zuvor tonnenweise wichtige Unterlagen beiseitegeschafft zu haben.

    USA: Am Tag nach Hitlers Tod nahmen die Raketentechniker Kontakt mit der US-Armee auf. Es folgt die "operation paperclip": Amerika heuerte die Nazi-Wissenschaftler an, deren Wissen im heraufziehenden Kalten Krieg höchst wertvoll war.

    Dabei reichte auch in Murnau die Debatte um Dingler bis in die 80er Jahre zurück. In Friedberg lösten damals zuvor geheim gehaltene Dokumente in den USA einen Streit über Wernher von Braun aus. Zeit seines Lebens hatte er eine Kenntnis oder gar Mitverantwortung für den Tod tausender KZ-Häftlinge abgestritten, die in unterirdischen Fabriken die Terrorwaffe V 2 fertigen mussten. 1996 erschien dann das Buch "Mondsüchtig. Wernher von Braun und die Geburt der Raumfahrt aus dem Geist der Barbarei".

    Der Osnabrücker Politologe Rainer Eisfeld belegte darin anhand weitgehend unbekannter Dokumente, dass von Braun nicht nur die unmenschlichen Zustände in den unterirdischen Produktionsanlagen gesehen, sondern selbst im KZ Buchenwald "geeignete Häftlinge" für die Raketenproduktion ausgewählt hatte.

    Berechnungen über die benötigte Zahl der KZ-Häftlinge gefunden

    Mittlerweile stieß Eisfeld im Freiburger Bundesarchiv auch auf von Brauns handschriftliche Berechnungen über die Zahl benötigter KZ-Häftlinge, die die knapp gewordenen deutschen Facharbeiter ersetzen sollten. Die Unterlagen geben laut Eisfeld Aufschluss darüber, dass der Ingenieur seit Ende 1943 mit der kompletten Serienfertigung der V 2 befasst war - einschließlich des Häftlingseinsatzes.

    Blieben anfangs die Grünen mit ihrer Forderung nach einer Namensänderung noch weitgehend allein, so wächst nun von vielen Seiten der Druck auf die Schule. Bei der Eröffnung der Wanderausstellung über die "Zwangsarbeit für den Endsieg - das KZ Mittelbau-Dora", das vom überparteilichen Frauenforum nach Friedberg geholt worden war, wünschte sich Landrat Christian Knauer (CSU) kürzlich, dass am Gymnasium ein "Bewusstmachungsprozess" einsetze.

    Das Gymnasium hatte zwar im März vergangenen Jahres zum 100. Geburtstag Wernher von Brauns ein Symposium über die "ethische Dimension der Wissenschaft" veranstaltet - die Frage des Patronats wurde dabei jedoch ausdrücklich ausgeklammert. Gerade die Beschäftigung mit von Braun lade "zu einer Auseinandersetzung hinsichtlich der gesellschaftlichen und moralischen Verantwortung von Wissenschaft und Technik sowie der Normen und Möglichkeiten individuellen Handelns" ein, sind sich Lehrerkonferenz, Elternbeirat und Schülermitverwaltung einig.

    Ein Ansatz, der vielfach auf Kopfschütteln stößt. Denn diese Auseinandersetzung müsse an jeder Schule geführt werden, ganz gleich wie sie heiße, finden die Kritiker. Friedbergs Bürgermeister Peter Bergmair (parteifrei) spitzt es zu: Wenn die pädagogische Beschäftigung mit dem historischen Erbe vom Namen der Schule abhänge, dann könne man sie ja gleich nach Adolf Hitler benennen.

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