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Kreis Augsburg: Wie Bauern zu Agrar-Unternehmern werden

Kreis Augsburg

Wie Bauern zu Agrar-Unternehmern werden

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    Landwirtschaft im Wandel der Zeit: Familie Schmid aus Ustersbach.
    Landwirtschaft im Wandel der Zeit: Familie Schmid aus Ustersbach. Foto: Marcus Merk

    Für Philipp Schmid liegt die Zukunft nur ein paar Meter entfernt. Der 24-Jährige bleibt auf dem Futtertisch stehen und zeigt dorthin, wo in ein paar Jahren der neue Milchviehstall stehen soll. Ein moderner Laufstall, wahrscheinlich mit Melkroboter, wahrscheinlich für ein paar Kühe mehr als die 56, die es jetzt sind, mit mehr Komfort für die Tiere und weniger Arbeit für die Familie. Aber noch sind Philipp Schmid und sein Vater Bernhard am Planen und Kalkulieren, was sich auf dem Sonnenhof in Ustersbach (Kreis Augsburg) umsetzen lässt. „Ich muss realistisch bleiben“, sagt der Sohn. Erst recht in Zeiten höherer Tierwohl-Standards, erst recht, wo die Auflagen für die Landwirte steigen, der Milchpreis aber alle paar Jahre in den Keller rutscht.

    Vielleicht hatten es die Generationen vor ihm einfacher. Vielleicht sagt sich das aber auch leicht. Hermann Schmid, der Opa, jedenfalls hatte keine andere Wahl, als einen neuen Stall zu bauen. Der 81-Jährige sitzt am Küchentisch, die Fotoalben vor sich, und zeigt auf das Bild vom elterlichen Hof. Der war noch mitten im Dorf, zusammen mit der Brauerei der Familie. Weil die Platz brauchte, siedelte Hermann 1964 mit der Landwirtschaft aus – dorthin, wo heute der Sonnenhof steht.

    Als Bub hat er noch gelernt, mit der Hand zu melken, die Sense zu dengeln und die Pferde für die Feldarbeit einzuspannen. Dann die neue Technik, die so vieles auf dem Hof erleichtert hat: der erste Traktor, ein Lanz, für 7000 Mark. Der Mähbinder, der das Getreide bündelte. Und in den 60ern der neue Stall samt breitem Futtertisch, damit man mit dem Traktor durchfahren konnte; die Schwemmmist-Anlage, durch die das Ausmisten per Hand entfiel, und Platz für 38 Kühe. „Das war damals schon richtig groß“, sagt Hermann Schmid. Ehefrau Maya nickt.

    Kaum ein Beruf hat sich in den letzten hundert Jahren so stark gewandelt

    Ja, kaum ein Beruf hat sich in den letzten hundert Jahren so stark gewandelt wie der des Bauern. Ulrich Keymer leitet das Institut für Agrarökonomie an der Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL). Er sagt: „Die Technisierung hat eine enorme Arbeitserleichterung gebracht.“ Und sie hat, mit vielen anderen Faktoren, dazu geführt, dass die Bauern immer produktiver wurden. Ernährte ein Landwirt um 1900 noch vier Personen, sind es heute 135. Zugleich ist über die Jahrzehnte immer weniger vom Agrarstaat geblieben. Zählte man 1925 noch knapp 565.000 Bauernhöfe, waren es 1960 knapp 353.000. Und während 1925 noch 38 Prozent der Deutschen in der Landwirtschaft arbeiteten, ist es heute nur noch gut ein Prozent.

    Hermann Schmid war immer gern Bauer. Man glaubt es ihm, wenn er davon schwärmt, wie er früher zusammen mit seiner Frau Maya und den Arbeitern die Kühe auf die Weide getrieben hat, wenn er erzählt, dass nur die mit dem schönsten Gang eine Glocke bekam, die jedes Mal zum Melken abgenommen wurde. Die harte Arbeit hat Hermann Schmid nie gestört. „Ich steh auch heute noch jeden Tag um sechs Uhr auf.“ „Und abends um halb fünf geht’s wieder in den Stall“, sagt sein Sohn Bernhard.

    So ist das eben, wenn man auf dem Hof groß wird. Wenn die anderen Buben im Dorf zum Baden gingen, war Bernhard Schmid auf dem Feld – beim Kreiseln oder bei der Heuernte. Wenn die anderen Fußball spielten, half er daheim. Der 50-Jährige sitzt am Küchentisch, lächelt zufrieden und sagt: „Es hat mich fast nie gestört.“ Und dass er es keine Sekunde in Frage gestellt hat, ob er den Betrieb übernehmen will. Für ihn stand es immer fest.

    Bei Ehefrau Barbara war das anders. Weil sie aus der Stadt kam, weil die Familie keinen Hof hatte. Als das Mädchen auf dem Sonnenhof eine Lehre machte, waren ihre Eltern alles andere als begeistert. Sie aber hat sich durchgesetzt, hat gelernt, wie man melkt, hat Rüben gehackt, das Heu eingebracht und die Weidefläche für die Kühe gezäunt. Sieben Jahre später heiratete sie Bernhard Schmid. Gemeinsam haben sie den Hof erweitert, das Haus umgebaut und fünf Kinder groß gezogen.

    Auch für Bernhard Schmid gab es diese Meilensteine: die neuen Fahrsilos, der Mischwagen, der das Füttern unglaublich erleichterte, dass er den Nachbarhof samt Bullenmaststall pachten konnte. Dann kam die BSE-Krise. „Wir hatten den Stall voller Bullen, und die waren nichts mehr wert. Das war ein Schlag ins Gesicht.“ Und dann natürlich die Sache mit der Milchquote, die, wie er sagt, „nie funktioniert hat“, und dem Milchpreis, der in den letzten Jahren regelmäßig in den Keller ging. Im Moment sind die Preise gut. Fast 40 Cent pro Kilo Milch zahlt die Molkerei, in den schlechtesten Zeiten waren es 26. „Wir müssen mit diesem Auf und Ab leben“, sagt der 50-Jährige. Und doch ist es nicht einfach. Weil schon ein Preisunterschied von zehn Cent für seinen Betrieb, der 500.000 Kilo Milch im Jahr produziert, 50.000 Euro weniger Einnahmen bedeutet.

    Familie Schmid (Sonnenhof Ustersbach) in ihrem Kuhstall.
    Familie Schmid (Sonnenhof Ustersbach) in ihrem Kuhstall. Foto: Marcus Merk

    Aktuell noch etwa 90.000 Bauernhöfe in Bayern

    Manchen Landwirt haben die Krisen zum Aufgeben bewogen, anderen fehlte ein Nachfolger. Gründe für den rasanten Strukturwandel gibt es viele. Um die 90.000 Höfe zählte man zuletzt noch in Bayern – 1960 waren es noch vier Mal so viele. Wie viele Landwirte es in 20 Jahren noch sein werden? LfL-Mann Keymer sagt: „Das kann niemand sagen. Aber die Zahl wird weiter sinken.“

    Es gab Zeiten, da dachten sie auch am Sonnenhof darüber nach, mit der Milchwirtschaft aufzuhören. Bernhard Schmid hat überlegt, eine Biogasanlage zu bauen. „Ich bin heilfroh, dass es das nicht geworden ist“, sagt er und zeigt aus dem Fenster, auf die andere Seite des Dorfes. 2010 hat Schmid dort einen Solarpark gebaut, 3,8 Millionen Euro investiert. Die Anlage erzeugt so viel Strom, dass er damit 400 Haushalte ein Jahr lang versorgen kann. „Das war das Beste, was wir machen konnten.“ Weil die Anlage eine feste Einspeisevergütung bringt, eine Summe, mit der man – anders als mit dem Milchpreis – kalkulieren kann. Ein Landwirt, sagt Schmid, müsse heute verschiedene Standbeine haben, um zu bestehen. Und er muss Unternehmer sein. „Sonst geht es nicht.“

    Sein Sohn Philipp hat Agrarwissenschaft studiert. Er hat gelernt, was nötig ist, um einen Betrieb für die Zukunft aufzustellen. Jetzt ist es sein Projekt, den Stallneubau umzusetzen. Seine Mutter hadert manchmal damit, dass sie und ihr Mann diesen Schritt nicht gewagt haben. Philipp sieht es anders: „Ich bin froh, dass meine Eltern vor 15 Jahren keinen Stall gebaut haben. Der wäre heute ein alter Hut.“ Schon, weil die Technik sich gewandelt hat. Schon, weil die Anforderungen an Tierwohl und Haltung deutlich höher sind, die Vorschriften strenger.

    Die einen geben unter diesem Druck auf. Und die, die übrig bleiben, werden immer größer. Im Schnitt bewirtschaftet ein landwirtschaftlicher Betrieb im Freistaat 35 Hektar – deutlich weniger als im Rest des Landes. Doch auch in Bayern gibt es viel mehr Betriebe, die über 100 Hektar haben. Wachsen oder weichen, dieses Mantra hört man in der Branche seit Jahrzehnten. Philipp Schmid sagt: „Das Ziel sollte sein, immer besser zu werden und nicht immer größer. Denn das geht irgendwann nicht mehr.“

    Das liegt schon am Kampf um die Fläche. Landwirtschaftlicher Boden geht verloren, weil er in Ausgleichsflächen, Gewerbe- oder Neubaugebiete umgewandelt wird. Zugleich steigen die Pachtpreise immer stärker – auch, weil große Betriebe und Biogas-Bauern durch staatliche Förderung mehr zahlen können.

    "Das Verständnis füreinander ist abhandengekommen"

    Wohin aber führt das? Und wie verändert es die Dörfer, wenn immer mehr Bauern aufhören, wenn die neuen Ställe, auch wegen immer höherer Auflagen, außerhalb der Orte entstehen? Werden die Bauern aus manchen Dörfern ganz verschwinden? LfL-Mann Keymer sagt: „Das wird so kommen.“

    In Ustersbach mit seinen rund 1100 Einwohnern, erzählt Hermann Schmid, gab es früher 55 Milchbauern. Heute sind es drei. Seine Frau Maya sagt: „Das Verständnis füreinander ist abhandengekommen.“ Weil sich mancher schon aufregt, wenn der Traktor Dreck auf der Straße hinterlässt oder es nach Gülle riecht. Dann die Debatten um Glyphosat, um die Nitratbelastung, um die Frage, was tiergerechte Haltung ist. Barbara Schmid schüttelt den Kopf: „Wir konventionellen Betriebe machen unsere Arbeit doch gut.“

    Es sind Themen, die auch den Agrarökonomen Keymer bewegen. Er sagt: „Die Landwirtschaft wird heute so kritisch betrachtet wie noch nie.“ Und dass der Druck viele Betriebsleiter belaste. „Sie versuchen es gut zu machen. Aber das ist sehr schwierig bei der im Moment hyperventilierenden Öffentlichkeit.“

    Lohnt es sich in diesen Zeiten noch, in einen neuen Milchviehstall zu investieren? Wo der Druck immer höher wird, wo so viel über Standards in der Tierhaltung diskutiert wird, aber auch schon wieder von sinkenden Milchpreisen die Rede ist? Philipp Schmid sagt: „Wir werden einen Weg finden, wie das funktioniert.“ Und dass er nicht ein einziges Mal mit dem Gedanken gespielt habe, etwas anderes zu werden. Etwas anderes als der nächste Bauer vom Sonnenhof.

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