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Schneckenhofen bei Günzburg: Wo sich Herr Fuchs und Frau Hase Gute Nacht sagen

Schneckenhofen bei Günzburg

Wo sich Herr Fuchs und Frau Hase Gute Nacht sagen

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    Das Wollschweinferkel von Thomas Sonntag.
    Das Wollschweinferkel von Thomas Sonntag.

    Schneckenhofen (AZ) - Geschichten liegen auf der Straße, heißt es. Das stimmt natürlich nicht ganz. Man muss sie schon suchen, muss Menschen finden, die sie erzählen, muss sie aufschreiben.

    Das tun wir in den nächsten Wochen in dieser Serie. Unsere Reporter fahren durchs Verbreitungsgebiet unserer Zeitung und bringen Geschichten mit - spannende, anrührende oder kaum zu glaubende. Reiseziele und Gesprächspartner bestimmt der Zufall.

    Nachweislich und praktisch erprobt führen nicht alle Wege nach Schneckenhofen im Bibertal (Landkreis Günzburg). Aber irgendwie wirkt es, als führten - kaum dass man drin ist - alle recht zügig wieder hinaus.

    Vielleicht, weil Schneckenhofen mit seinen 240 Einwohnern nun nicht so besonders groß ist. Vielleicht auch, weil man ein Ortszentrum im eigentlichen Sinne vergeblich sucht.

    Den Laden im Ort gibt es seit 1982 nicht mehr. Im gleichen Jahr trotteten zum letzten Mal Kinder in die kleine, nur eine Klasse umfassende Schule. Die Dorfwirtschaft hat schon 1975 dichtgemacht. Der Bus fährt nur bei Bedarf. Und doch: Die Welt sollte von Schneckenhofen wissen.

    Warum? Vielleicht, weil man nicht will, dass einem ausgerechnet Wolfgang Fierek und Martin Semmelrogge diesbezüglich etwas voraushaben. Die beiden waren nämlich schon oft hier, in der Schulstraße 1 im Harley-Davidson-Laden von Rolf Kastien.

    Easy Rider, Rocker mit langen Bärten und entsprechenden Maschinen - ja, so etwas gibt es in Schneckenhofen, nicht nur bei den jährlichen Harley-Treffen. Nur hier bekommt man europaweit die extra dicken Motorradlenker mit TÜV-Gutachten. Hier hat die Firma Harley ein Patent eingekauft, und von hier gehen Zubehörteile in alle Welt.

    Das Erstaunen darüber kann Rolf Kastien gar nicht recht nachvollziehen. Nein, sagt er, der kleine Ort ist ihm nicht zu eng. Ganz im Gegenteil. "Hier haben wir doch Freiheit und Weite", sagt er und denkt dabei wahrscheinlich an die Felder und Wiesen am Ortsrand - und vielleicht auch an die Offenheit der Bewohner: "Das war überhaupt kein Problem in die Dorfgemeinschaft integriert zu werden", sagt der Mann, der aus dem Raum Stuttgart zugezogen ist. "Wegen mir könnt's sogar noch ruhiger sein."

    Und das, wo sich hier schon Fuchs und Hase Gute Nacht gesagt haben. Nicht im sprichwörtlichen Sinne, sondern ganz real, nämlich Herr Fuchs und Frau Hase, die aber beide nicht mehr leben.

    Was man über Schneckenhofen noch wissen sollte? "Dass es mich gibt und meine Viecher", findet Thomas Sonntag - freilich nicht ganz im Ernst. Seine Schwester ist tatsächlich mit der nur wenige Häuser weiter wohnenden Frau Montag befreundet und Sonntag selbst wiederum erinnert ein wenig an Robinson Crusoes Kumpel Freitag.

    Er betreibt gewissermaßen den Schneckenhofener Zoo: Er hält Heidschnucken, Gänse, Hasen, Meerschweinchen, Hühner, Ziegen und Wollschweine. Sechs Ferkel purzeln quiekend durch das Gehege und werden später die Kinder aus dem nahegelegenen Neubaugebiet begeistern. Hier ist Leben drin.

    Im Ort auch: Jedes Jahr stiftet ein Landwirt den Maibaum, im Juli feiert man ein Gartenfest. "Ja, die Dorfgemeinschaft gibt's noch", bestätigt Johann Scheer, dem das Auto mit dem fremden Kennzeichen vor seinem Gartenzaun aufgefallen ist. Mit Autonummern kennt er sich nämlich aus, jeden Einheimischen kann er daran identifizieren.

    Seine Schneckenhofener kennt er sehr gut. Er weiß, wann sie Geburtstag, wann geheiratet haben. Warum? Weil er von 1972 bis 1978 Erster Bürgermeister von Scheckenhofen war und nach der Eingemeindung zu Bibertal dort 18 Jahre Zweiter Bürgermeister.

    In dieser Zeit hat er Lohnsteuerkarten geschrieben, Rentenversicherungsbescheide gingen durch seine Hände, er hat Personalausweise verlängert. "Da hasch immer die Zahlen im Kopf." Auch die vom Bau der Filialkirche St. Georg, 1922 war das, und die der ersten urkundlichen Erwähnung des Ortes im Jahr 1225.

    Der heißt übrigens nicht Schneckenhofen, weil es dort besonders viele der Kriechtiere gäbe oder die Bewohner so langsam wären, klärt Johann Scheer auf. Nein, die sind fix, jedenfalls beim Sprechen, denn da heißt der Ort kurz "Schneckofa".

    "Des kommt vom allemanischen Snego, nicht von Schnecken. Des ham mir in der Schul glernet", sagt Scheer. Auch sonst hilft er mit seinem Wissen gerne weiter: Für die Lastwagenfahrer, die sich manchmal hierher verirren, hat er Ortspläne der umliegenden Gemeinden parat. Ja, die Verkehrsanbindung sei schon ein bisschen schlecht. Aber: "So schön und so billig wie da hanne lebsch du nirgends."

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