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NSU-Prozess: Zschäpes Verteidiger helfen ihrer Kollegin Sturm

NSU-Prozess

Zschäpes Verteidiger helfen ihrer Kollegin Sturm

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    Streit im NSU-Prozess: Beate Zschäpe will ihre Anwältin Anja Sturm entbinden.
    Streit im NSU-Prozess: Beate Zschäpe will ihre Anwältin Anja Sturm entbinden. Foto: Andreas Gebert (dpa)

    Das sind die Verteidiger von Beate Zschäpe

    Als «Sturm, Stahl und Heer» gehören die Anwälte von Beate Zschäpe neben den Angeklagten zu den prominentesten Beteiligten im NSU-Prozess. Vor allem ihre martialisch klingenden Namen ließen zu Beginn der Verhandlung aufhorchen.

    Wolfgang Heer: Im NSU-Prozess ist er der Wortführer der Zschäpe-Verteidigung. Zunächst hatte er das Mandat allein übernommen, seine Kollegen kamen später hinzu.

    Mit zahllosen Anträgen brachte er vor allem zu Beginn der Verhandlung die Nebenkläger gegen sich auf. Heer ist kein Mitglied einer Partei und betonte zu Prozessbeginn:_«Das ist kein politisches Verfahren. Es geht darum, dass die Vorwürfe strafrechtlich untersucht werden.»

    Geboren wurde er 1973 in Köln. Dort studierte er auch Rechtswissenschaften. Sein Schwerpunkt lag nach Angaben auf der Homepage seiner Kölner Kanzlei, die er gemeinsam mit seiner Kollegin Sturm führt, von Anfang an auf dem Strafrecht. Seit 2004 ist er als Rechtsanwalt zugelassen.

    Wolfgang Stahl: Im Zschäpe-Mandat sieht er auch eine Karrierechance, wie er zu Beginn des Prozesses selbst sagte. «Dies ist aus Verteidigersicht ein ähnlich bedeutendes Verfahren wie die RAF-Verfahren in den 70er Jahren», erklärte er.

    In den Scharmützeln mit dem Vorsitzenden Richter hat er auch schon mal wutentbrannt den Verhandlungssaal verlassen.

    Stahl ist Fachanwalt für Strafrecht und nach Angaben seiner Koblenzer Kanzlei ausschließlich als Strafverteidiger tätig. Seine Schwerpunkte liegen demnach eigentlich im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht. Er ist FDP-Mitglied und Oberstleutnant der Reserve und bearbeitete viele Jahre Wehrstraf- und Wehrdisziplinarsachen der Bundeswehr.

    Anja Sturm: Anja Sturm wurde nach Angaben auf der Homepage ihrer Kanzlei 1970 in Ithaca in den USA geboren, studierte Rechtswissenschaften in Bayreuth und Kiel und machte sich 1999 als Anwältin in Berlin selbstständig, seit 2003 ist sie Fachanwältin für Strafrecht.

    Nach der Geburt ihrer Kinder ging sie 2004 nach München. Seit 2012 arbeitete sie in einer renommierten Berliner Kanzlei - bis sie das Zschäpe-Mandat übernahm.

    Ein Jahr später wechselte Anja Sturm in eine gemeinsame Kanzlei mit ihrem Kollegen Heer in Köln. Ihre Berliner Kanzlei soll sie zuvor für ihre Mandatsübernahme im Fall Zschäpe kritisiert haben. Mitglied einer Partei ist sie nicht.

    «Als Verteidigerin reizt mich das Gefühl, einer der Übermacht des Staates ausgelieferten Person mit rechtlichen Mitteln beizustehen», sagte Sturm. «Auch Frau Zschäpe befindet sich in einer solchen Position.» dpa

    Auch am Montag war kein Ende im Streit zwischen der im NSU-Prozess angeklagten Beate Zschäpe und ihren Verteidigern in Sicht. Das Oberlandesgericht (OLG)verschickte Stellungnahmen ihrer Anwälte Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer an die Prozessbeteiligten. Beide springen darin ihrer Kollegin Anja Sturm bei, deren Entbindung Zschäpe vergangene Woche verlangt hatte.

    Streit zwischen Beate Zschäpe und ihren Verteidigern

    Anwalt Stahl schrieb in einer Stellungnahme an das OLG München, die "Behauptungen von Frau Zschäpe" seien für ihn "nicht nachvollziehbar". Rechtsanwalt Heer widersprach Zschäpe ebenfalls. Er schrieb dem Gericht, seine Mandantin habe ihm entgegen ihrer Behauptung "zu keinem Zeitpunkt" berichtet, dass Sturm vertrauliche Informationen im Prozess verwendet habe.

    Das ist Beate Zschäpe

    Beate Zschäpe wurde am 2. Januar 1975 in Jena geboren. Dem Hauptschulabschluss folgte eine Ausbildung als Gärtnerin.

    Von Mitte 1992 bis Herbst 1997 ging Beate Zschäpe einer Arbeit nach, zweimal unterbrochen von Arbeitslosigkeit. So steht es in einem Bericht des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer für die Thüringer Landesregierung. «Ihre Hauptbezugsperson in der Familie war die Großmutter», heißt es weiter.

    Mit dem Gesetz kam Zschäpe erstmals als 17-Jährige in Konflikt. Der Schäfer-Bericht vermerkt 1992 mehrere Ladendiebstähle. 1995 wurde sie vom Amtsgericht Jena wegen «Diebstahls geringwertiger Sachen» zu einer Geldstrafe verurteilt.

    Zu der Zeit war sie aber häufiger Gast im Jugendclub im Jenaer Plattenbaugebiet Winzerla, bald an der Seite des Rechtsextremen Mundlos. Über das ungewöhnliche Dreiecksverhältnis zwischen ihr, Mundlos und Böhnhardt ist viel spekuliert worden.

    Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt beteiligten sich zu der Zeit an Neonazi-Aufmärschen im ganzen Land.

    Im Alter von 23 Jahren verschwand die junge Frau mit den beiden Männern aus Jena von der Bildfläche. Zuvor hatte die Polizei ihre Bombenbauerwerkstatt in der Thüringer Universitätsstadt entdeckt.

    Danach agierte Zschäpe mit einer Handvoll Aliasnamen: Sie nannte sich unter anderem Silvia, Lisa Pohl, Mandy S. oder Susann D. Zeugen beschrieben sie als freundlich, kontaktfreudig und kinderlieb. Bei Diskussionen in der Szene soll sie jedoch die radikaleren Positionen ihrer beiden Kumpane unterstützt haben.

    Nach der Explosion in Zwickau am 4. November 2011 war Zschäpe mit der Bahn tagelang kreuz und quer durch Deutschland unterwegs. Sie verschickte auch die NSU-Videos mit dem menschenverachtenden Paulchen-Panther-Bildern. Am 8. November stellte sie sich der Polizei in Jena.

    Im Prozess schwieg Zschäpe lange Zeit. An Verhandlungstag 211, im Juni 2015, antwortete sie dem Richter ein erstes Mal, und zwar auf die Frage, ob sie überhaupt bei der Sache sei.

    Zu den Vorwürfen äußerte sich Zschäpe erstmal im September 2015. Ihr Verteidiger las das 53-seitige Dokument vor, in dem Zschäpe ihre Beteiligung an den Morden und ihre Mitgliedschaft im NSU bestritt. Lediglich die Brandstiftung in der letzten Fluchtwohnung des Trios gestand sie.

    Ein psychologisches Gutachten aus dem Januar 2017 beschreibt Zschäpe als "voll schuldfähig".

    Unterdessen wandte sich Zschäpe mit einem handgeschriebenen Brief an das Gericht und bat um eine verlängerte Frist für eine Stellungnahme. Sie benötige Rücksprache mit "einem Anwalt".

    Frist für die Stellungnahme: Mittwoch bis 15 Uhr

    Das Gericht gab Zschäpe für eine Stellungnahme Zeit bis Mittwoch 15 Uhr. Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt. Zschäpe hatte ihrer Anwältin Sturm vorgeworfen, sie unter Druck gesetzt und vertrauliche Aussagen in der öffentlichen Gerichtsverhandlung verbreitet zu haben. Sturm wies die Vorwürfe zurück. Der Prozess wird am Dienstag dennoch fortgesetzt. Zschäpe ist wegen zehnfachen Mordes angeklagt.

    Die Angeklagten im NSU-Prozess

    Das sind die Beschuldigten im Münchner NSU-Prozess:

    Beate Zschäpe: Sie tauchte 1998 gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unter, um einer drohenden Festnahme zu entgehen. Die drei Neonazis aus dem thüringischen Jena gründeten eine Terrorgruppe und nannten sich spätestens ab 2001 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).

    Ralf Wohlleben: Der ehemalige Thüringer NPD-Funktionär mit Kontakten zur militanten Kameradschaftsszene soll Waffen für das Trio organisiert haben. Der 40-Jährige wurde am 29. November 2011 verhaftet. Nach Ansicht der Ermittler wusste er von den Verbrechen - er ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

    Carsten S.: Der 35-Jährige hat gestanden, den Untergetauchten eine Pistole mit Schalldämpfer geliefert zu haben. Er ist wie Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

    Andre E.: Der gelernte Maurer (35) war seit dem Untertauchen 1998 einer der wichtigsten Vertrauten des Trios und soll die mutmaßlichen Rechtsterroristen zusammen mit seiner Frau regelmäßig besucht haben. E. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.

    Holger G.: Der 40-Jährige gehörte wie Wohlleben und die drei Untergetauchten zur Jenaer Kameradschaft. Er zog 1997 nach Niedersachsen um. G. spendete Geld, transportierte einmal eine Waffe nach Zwickau und traf sich mehrfach mit dem Trio. Auch G. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.

    Wenige Kilometer vom Gericht entfernt, erinnerten die Familie, Freunde und Politiker mit einem Gedenkgottesdienst an den vor genau zehn Jahren vom NSU ermordeten Griechen Theodoros Boulgarides. "Bis heute hat sich in meine Erinnerung der schreckliche Anblick (...) eingebrannt", sagte der Erzpriester der griechisch-orthodoxen Gemeinde, Apostolos Malamoussis, beim Gottesdienst. 

    Gedenkgottesdienst: Boulgarides war das siebte Opfer der NSU

    Die Zeit nach dem Mord sei schrecklich für die Familie gewesen. Freunde und Bekannte hatten sich wegen falscher Verdächtigungen seitens der Behörden distanziert. "Wir alle bedauern alle damaligen Fehler zutiefst", so der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der ebenso wie Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde in München, Charlotte Knobloch, an der Gedenkfeier teilnahm. 

    Boulgarides war am 15. Juni 2005 in seinem Schlüsseldienst-Laden in München mit drei Kopfschüssen getötet worden. Er war das siebente Mordopfer des NSU und das zweite Münchner Opfer nach dem türkischen Gemüsehändler Habil Kilic, den Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Jahr 2001 ermordet haben sollen. AZ/dpa/lby

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