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München: Zum Glück "nicht so spießig": Das ist beim Tollwood-Festival geboten

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Zum Glück "nicht so spießig": Das ist beim Tollwood-Festival geboten

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    Zwei riesige Kälber aus Autowrackteilen begrüßen die Besucher auf dem Münchener Tollwood-Festival. Das diesjährigen Motto: "Alles eine Frage der Haltung".
    Zwei riesige Kälber aus Autowrackteilen begrüßen die Besucher auf dem Münchener Tollwood-Festival. Das diesjährigen Motto: "Alles eine Frage der Haltung". Foto: Tobias Hase (dpa)

    In sieben Minuten verspricht Mekks ein Wunder. Durch die „Magie“ des bayerischen Zauberkünstlers gleiten Seile durch geschlossene Ringe und verschwinden kleine braune Kugeln. Die Menschenmenge um ihn herum lässt seine Hände nicht aus den Augen. Genauso wenig die drei braunen Becher vor Mekks. Und dann ist das Wunder doch geschehen: Unter den Bechern sind plötzlich keine Kugeln mehr, sondern gelbe Zitronen. Die Menge johlt. Ihr Klatschen übertönt das Kratzen hunderter Schuhe auf trockenem Kiesboden. Klubmusik vermischt sich mit Rock ’n’ Roll, Steckerlfischgeruch mit indischem Curryduft: Es ist wieder Tollwood im Münchner Olympiapark.

    Tollwood früher als "Müsli-Festival"

    Seit 1988 gibt es das Festival, seit 1992 sein Pendant im Winter auf der Theresienwiese. „Es galt früher als Müsli-Festival“, erzählt Viktoria Raith. Die Allgäuerin ist Chefin des Andechser-Zeltes. Sie arbeitet seit 1993 auf dem Tollwood. Doch seit langem schon wird das Müsli-Festival ernst genommen. Über 800000 Besucher zieht es laut Veranstalter im Sommer an, fast 700000 im Winter. Noch immer hält es an seinem Ökostatus fest. Alle 50 Gastronomen sind bio-zertifiziert – egal ob türkische, griechische oder bayerische Küche geboten wird. Exotisches Essen – das ist auch so eine Besonderheit des Tollwood. „Asiatisches aus dem Wok statt der bayerischen Bratwurst gibt es hier schon länger“, sagt Viktoria Raith.

    Das Motto heuer weist auf artgerechte Tierhaltung hin: „Alles eine Frage der Haltung.“ Deshalb begrüßen die Besucher am Eingang zwei Kälber aus Autoteilen. In einem hat deren finnische Erschafferin Miina Äkkijyrkkä eine VW-Bus-Karosserie verbaut. Am anderen Ende des Geländes liegen rosafarbene Würste in Käfigen – sie zeigen Schweine in Massentierhaltung.

    Am Nachmittag ist es unter der Woche noch ziemlich leer auf dem 30000 Quadratmeter großen Gelände. Schmuck kann man ohne Ende kaufen, in Silber, in Leder und in Glas. In Klamottenständen hängen Vintage-Tops voller Spitze und bunt gemusterte Bandeau-Kleider. Vor dem Andechser-Zelt sitzen zwei Frauen unter einem Sonnenschirm, sie häkeln und stricken. „Wir sind von den Münchner Kulturverstrickungen“, sagt Initiatorin Agnes Maria Forsthofer.

    Bei dem Projekt stricken Flüchtlingsfrauen und Münchnerinnen zusammen, erklärt sie. Dadurch könnten sie auf einer Ebene kommunizieren. Sie stricken auf Festen und haben schon Flüchtlingsunterkünfte mit ihren Maschen verschönert. „Wenn wir schon die ganze Stadt bestricken, dann müssen wir das auch auf dem Tollwood“, sagt Forsthofer. Dort kann jeder mitstricken. Doch noch tun das nicht so viele. „Es ist einfach zu heiß“, meint sie.

    Keine Spießer auf dem Tollwood

    Auf einer wippenden Bank vor dem Caipi Club schaukeln Gitta und Achim Albrecht. Warum sie hier sind? „Da sieht man keine S-Bahn-Gesichter“, sagt die 61-Jährige, und ihr Mann ergänzt: „Es ist ein tolles Flair. Es ist nicht so spießig.“ Der 53-Jährige hat das Festival noch erlebt, „wo es nur vier, fünf Zelte gab“. „Das war total improvisiert“, erzählt der Münchner. „Da bist du mit Gummistiefeln durch den Batz gelaufen. Es gab Bier und rote Würstchen. Jetzt kommen Weltstars. Aber das Flair hat gehalten.“ Sehr professionell sei es geworden, findet er, und zum Teil zu teuer.

    Auch Viktoria Raith weiß von Zeiten, wo sie Bands erklären musste, was das Tollwood ist. Jetzt kommen hunderte Bewerbungen, 690 Veranstaltungen gibt es heuer. Sie erzählt von der Zeit der neuen Volksmusik, als Ringsgwandl, Hubert von Goisern und Konstantin Wecker auf dem Tollwood anfingen. Sie erzählt davon, als der Nouveau Cirque – alternativer Zirkus – stark vertreten war. Raith hat mit Pressearbeit beim Tollwood angefangen, aber schon nach einem Jahr das Zelt aufgemacht. Eigentlich wollte sie damit wieder aufhören, sagt sie. „Doch es hat so viel Spaß gemacht.“ Auch ihren Mann, den Künstler Patrick Brennan, hat sie hier kennengelernt. Er kam mit einem australischen Zirkus.

    Mit dem Abend kommen die Menschenmassen. Im Andechser- Zelt brodelt es zu Rock ’n’ Roll und Twist, eine Inderin balanciert in der Delhi Haat Töpfe auf ihrem Kopf. Im Hacker-Brettl gibt der zehnjährige Louis mit dem Schlagzeug den Takt zu Country-Musik an – für Erik Berthold and friends. Und draußen? Da vollbringt Mekks schon wieder ein Wunder.

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