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Flaschenmütter erzählen: „Ich quälte mich mit einem schlechten Gewissen“

Flaschenmütter erzählen

„Ich quälte mich mit einem schlechten Gewissen“

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    Für mich stand immer fest, dass ich einmal nicht stillen möchte. Wenn Mütter in der Öffentlichkeit ihre Brüste ausgepackt haben, dachte ich mir oft "das geht doch auch unauffälliger". Wenn eine Freundin vor mir gestillt hat, war mir das äußerst unangenehm und ICH habe mich fremdgeschämt. Als ich schwanger wurde, stand für mich von Anfang an fest, dass das Stillen nichts für mich ist. Ich habe mich auch gar nicht weiter mit diesem Thema beschäftigt bzw. mich auch nicht informiert. Als Kompromiss der für mich infrage kommen würde, sah ich das 24 Stunden Stillen bzw. Kolostrum-Stillen. Klar, ich wollte, dass mein Kind die wertvolle Kolostrummilch erhält, aber auf keinen Fall danach weitermachen.

    Meine Tochter kam also zur Welt und als ich sie im Kreissaal anlegte war es, als hätten wir beide noch nie etwas anderes gemacht. Es lief wie am Schnürchen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich wollte doch nicht stillen, und mit jedem Anlegen merkte ich, wie es mir doch gefiel. Das Ende der 24 Stunden rückte näher und ich war hin- und hergerissen. Die Schwestern im Krankenhaus sind natürlich schon merkbar Befürworter des Stillens und auch von der älteren Generation wurde mir suggeriert, dass ich stillen sollte, weil dies ja das Beste für mein Kind sei. Mein Kopf schwirrte, und ich war einfach nicht vorbereitet auf das Stillen bzw. was mich da erwartet.

    Der Blick meiner Tochter sagte: "Mama, warum tust du mir das an?"

    Zudem hatte ich so einige Horrorgeschichten von Bekannten im Kopf, die da lauteten: Brustentzündung (nicht nur eine), Milchstau etc. Da ich mich nicht traute, es zu versuchen, nahm ich also die Abstilltablette. Als meine Tochter dann die erste Milchpulverflasche bekam und sie mir einen Blick à la "Mama, warum tust du mir das an" schenkte, war ich natürlich vollends am Boden. Nicht nur, dass ich mich eh schon wie die mieseste Mutter fühlte, nein, jetzt zeigte es mir auch noch mein frisch geborenes Baby, dass ich die "falsche" Entscheidung getroffen hatte. Da flossen sehr, sehr viele Tränen und ich konnte mir einfach selbst nicht vergeben.

    Vermutlich tat ich mir so schwer, weil ich nicht damit gerechnet hatte, was für ein tolles Team mein Baby und ich beim Stillen sind. Meine Hebamme meinte auch, immer die, die genügend Milch haben (und ich hatte trotz Abstillstablette einen Milcheinschuss) wollen nicht stillen, was schade sei. Ich quälte mich also weiterhin mit dem schlechten Gewissen und schrieb schließlich eine Laktationsberaterin im Nachbarort an. Ich erzählte ihr was in mir vorging und bat um Info, ob es die Möglichkeit gäbe, doch noch zu stillen, auch wenn bereits drei Wochen seit der Geburt vergangen waren. Und tatsächlich, es gibt die Möglichkeit einer Relaktation. Dies ist allerdings eine sehr zeitintensive Maßnahme, die einen unglaublichen Willen voraussetzt, da man viel Geduld braucht.

    Ich war in den Kursen die einzige, die Flasche gab

    Ich wollte nochmal drüber schlafen und entschied mich dann letztlich wieder dagegen. Die Beraterin sagte mir im Gespräch, dass meine Tochter auch mit der Milchflasche gut beraten sei und wenn sie trinkt und zunimmt, was sie tat, sei dies auch vollkommen okay. Es lief auch mit Flasche wirklich gut und mein Mann freute sich, weil er genauso die Fütterung der Tochter meistern konnte wie ich als Mutter. Wir taten dies halt nur mit Flasche und Milchpulver. Vier Wochen nach der Geburt entschied ich mich, das Thema nunmehr beruhen zu lassen. Heute habe ich mir vielleicht immer noch nicht so ganz vergeben, aber wir sind auch mit der Milchflasche gut gefahren und meine Tochter ist ein aktives, fröhliches und vor allem kerngesundes Mädchen.

    Ich dachte vor der Geburt immer, dass heutzutage gar nicht mehr viele Mütter stillen und dass eher die stillenden Mütter die Minderheit sind. Da wurde ich allerdings auch wieder eines Besseren belehrt. Egal ob Babymassage oder Pekip-Kurs, ICH war die Außenseiterin, weil ICH die Einzige war, die Flasche gab. Die anderen Mütter haben alle wie selbstverständlich ihre Babys gestillt. Das erstaunte mich damals sehr.

    Die anderen Mütter haben mich nicht ausgeschlossen oder schief angeguckt. Von meiner Familie wurde ich Gott sei Dank nicht unter Druck gesetzt. Eher von der älteren Generation, sprich Bekannten, die man beim Spaziergang trifft und die das eigentlich nichts angeht. Da kamen dann schon Aussagen wie „Was, du stillst nicht? Stillen ist das Beste für Dein Kind!“ Ich glaube, wenn ich gesagt hätte „ich kann nicht stillen, es klappt nicht“ hätte man dies eher akzeptiert als die Aussage "Das ist nichts für mich, ich will das nicht". Da waren die Blicke dann schon etwas verurteilend. Auch meine Hebamme hat mich das merken lassen, dass sie das nicht gut findet. Wir haben uns dennoch gut verstanden.

    Vielleicht versuche ich des doch noch einmal

    Heute habe ich auch eine etwas andere Einstellung zum Thema Stillen. Sage aber ganz klar auf die Frage, ob ich beim zweiten Kind stillen möchte: "Das kann ich erst entscheiden, wenn das Kind da ist.“ Meine Tochter bekommt noch dieses Jahr einen Bruder, und dieses Mal werde ich mich im Vorfeld von einer Laktationsberaterin beraten lassen, um alle Hintergründe zu kennen. Und vielleicht, ja vielleicht werde ich mein zweites Kind stillen, aber das entscheide ich erst, wenn das Kind da ist. (lea)

    Dieser Text ist ein Teil unseres Wochenend-Journal-Schwerpunktes "Kampfzone Mutterbrust" zum Thema Nicht-Stillen. Mehr als 50 Frauen aus der Region haben sich daran beteiligt und ihre Geschichten erzählt. Die weiteren Gesprächsprotokolle finden Sie unter

    Kampfzone Mutterbrust: Harter Streit um die Milch fürs Baby 

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