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Ausstellung: Als die Kunst vor Verlogenheit nur so strotzte

Ausstellung

Als die Kunst vor Verlogenheit nur so strotzte

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    Krasser Gegensatz: Arno Brekers "Zehnkämpfer" (rechts) und "Die Hungernde" von Karel Niestrath.
    Krasser Gegensatz: Arno Brekers "Zehnkämpfer" (rechts) und "Die Hungernde" von Karel Niestrath. Foto: Kunstforum Regensburg

    Sie waren bis Mai 1933 einige Monate sogar Zimmernachbarn in der Deutschen Akademie in der Villa Massimo in Rom – die jungen deutschen Künstler Felix Nussbaum und Arno Breker. Scharf wie ein Beilhieb war der Einschnitt, den die Machtübernahme durch Hitler und die Nazis brachte. Es entschied sich beider Schicksal. Der eine verfolgt und ermordet, der andere gefeiert und hofiert.

    Der jüdische Maler Felix Nussbaum musste ins Exil nach Belgien fliehen, wo sein Dachbodenversteck 1944 an die Gestapo verraten wurde. Nussbaum wurde ins Konzentrationslager deportiert. Der Bildhauer Arno Breker aber wurde ein Günstling Hitlers und machte mit seinen hohlen Kraftprotz-Skulpturen einzigartige Karriere in der Diktatur. Breker wurde die Galionsfigur des tumben nationalsozialistischen Kunstideals. Die Werke der beiden führt nun ein ungemein aufschlussreiche, aufwühlend spannungsgeladene Ausstellung zusammen. „Artige Kunst“ heißt sie.

    Soll man die Kunst der Nazis zeigen oder nicht?

    Sie konfrontiert Schlüsselwerke der Nazi-Kunst, die von Hitler und seinem engen Umfeld nicht nur ausgewählt, sondern auch persönlich erworben wurden, mit Werken verfemter und verbotener Künstler, die in der berüchtigten Münchner Schau „Entartete Kunst“ 1937 von den Nazis an den Pranger gestellt wurden. Das Attribut „artige“ ist dabei mehrdeutig zu verstehen. Es bedeutet sowohl brav und angepasst wie auch „kunstartig“ und reagiert natürlich auf das niederträchtige „entartet“. Darf man Nazi-Kunst, die seit Jahrzehnten in Giftschränken weggeschlossen wird, im Museum zeigen? Es ist ein Dauerstreitthema in Deutschland. Die von der Stiftung Situation Kunst konzipierte Ausstellung, die nun in dritter Station im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg gezeigt wird, beantwortet die Frage eindeutig. Ja, man kann nicht nur – man muss sogar, wenn einem an ernsthafter Aufklärung und Entlarvung von „innerer Falschheit“ gelegen ist und an der Zerstörung von Mythen.

    Stichprobe 1: Bernd Templins Gemälde eines Stahlwerks unter Dampf, im Vordergrund ein Bauernpaar bei der güldenen Roggenernte von Hand, um 1939, von Hitler für seine Sammlung angekauft. Wie hier die kraftstrotzende deutsche (Rüstungs-)Schwerindustrie mit dem bäuerlichen Blut- und Bodenidyll verknüpft wird, ist typisch für die systemkonforme „Unkunst“. Stichprobe 2: Carl Theodor Protzens heroisches Monumentalgemälde „Straßen des Führers“ von 1940, das den landschaftsumstürzenden Autobahnbau in der Hallertau zeigt. Im Bildrahmen steht: „Rodet den Forst. Sprenget den Fels. Ziehet die Bahn durch deutsches Land“. Ein paar Schritte weiter hängt Ludwig Meidners Aquarell „Reichsbahn“ von 1943, von dem verfemten Künstler im Exil geschaffen. Es zeigt einen offenstehenden Güterwaggon, aus dem Leichen quellen.

    Diese Schau führt vor, wie unfassbar hart der Bruch war, den die Nazis unter ihrem obersten Geschmacksrichter Hitler in der Kunst erzwangen. Qualität und Avantgarde, Lebendigkeit, Individualität, Brüche, Spott und Wahrhaftigkeit (man darf nicht vergessen: Die großen Revolutionen wie Abstraktion, Dadaismus, Expressionismus waren bis 1930 alle schon längst in der Welt!) wurden verdammt und mit brutaler Gewalt entfernt. Was statt dessen kam, lässt sich in Regensburg nun betrachten: aufgeblasene Oberflächlichkeit, arischer Kitsch, finsterer Heroismus, muskelbepackte Verherrlichung von Arbeit, Sport und Krieg, leeres Pathos, verklärender Bauernstuben-Traditionalismus. In der Gegenüberstellung von als „entartet“ diffamierter Kunst und der „artigen“ Kunst wird der ungeheuere Verlust deutlich, die Katastrophe, die Hitler mit seinem auf vermeintliche „Verfallskunst“ gerichteten Zerstörungswahn anrichtete.

    Wer vor Felix Nussbaums Gemälde „Angst (Selbstbildnis mit seiner Nichte Marianne)“ von 1941 steht, das den Maler in dunkler Verzweiflung mit aufgerissenen Augen vor einem Nachthimmel mit schwarzem Bomber zeigt, erfährt etwas von der existenziellen Wahrhaftigkeit der Kunst. Dagegen Arno Brekers Bronze-Herold „Zehnkämpfer“, der ihm den Durchbruch brachte: ein seelenloser Protz, Körperlichkeit als Ideologie, der genormte Gemeinschaftsmensch aus dem Wunschlabor. In Regensburg steht der Zehnkämpfer der ausgemergelten „Hungernden“ gegenüber, einer ausdrucksstarken Bronzefigur, geschaffen von Karel Niestrath und mit 650 anderen Kunstwerken aus 32 Museen in der Schau „Entartete Kunst“ diffamiert. Unter den verhöhnten Werken stand damals: „Bezahlt von den Steuergroschen des arbeitenden deutschen Volkes“.

    Noch Adenauer ließ sich von Arno Breker porträtieren

    Solche Konfrontationen machen augenfällig, wie künstlerisch dürftig die Nazi-Kunst ist. Blonde Gretelfrisur-Frauen, blauäugig und mit glatten Körpern wie aufblasbare Mutterkreuzpuppen hier – und George Grosz’ „Eva“ mit wahrem Körper und Hängebusen dort. Mitunter erinnern Gemälde der Nazikunst wie Leopold Schmutzlers „Arbeitsmaiden, vom Felde heimkehrend“ (1940) an den sozialistischen Realismus oder an die knallige, fast schon surrealistisch-propagandistische Bildsprache in Nordkorea. Winken, Strahlen, Lachen.

    So einfältig, verlogen und leer viele nazikonforme „Kunstwerke“ sich auch darbieten – die Ausstellung und insbesondere der hervorragende Katalog zeigen auch, dass unter Hitler niemand gezwungen war, solches oder gar bewusst „Propagandakunst“ zu produzieren. „Dem Satz ,Nie war Kunst derart unterdrückt‘, muss ein anderer Teil der Wahrheit hinzugefügt werden: ,Nie waren Künstler derart zu Unterdrückern geworden.“

    12550 Kunstwerke wurden zwischen 1937 und 1944 in der alljährlich zelebrierten Leistungsschau „Große Deutsche Kunstausstellung“ (GDK) im Haus der Kunst in München gezeigt. In der Auswahljury saßen Hitler und Goebbels. Hitler, der schon 1936 auch die Kunstkritik verbieten ließ, kaufte 1314 dieser Werke für seine Kunstsammlung! Nichts entlarvt in dieser Ausstellung die hohlen Hervorbringungen der von Hitler zu „Gottbegnadeten“ Beförderten radikaler als der Blick auf die große Kunst der Verfemten. Jawlensky, Beckmann, Dix, Schmidt-Rottluff … Und Felix Nussbaum, ermordet 1944 in Auschwitz. Arno Breker dagegen starb 1991 im Alter von 90 Jahren. Adenauer, aber auch Olympiasiegerin Ulrike Meyfarth ließen sich gerne von ihm porträtieren.

    Laufzeit Bis 29. Oktober, Di bis So 10-17 Uhr, Do bis 20 Uhr. Der Katalog (Kerber Verlag) kostet im Musum 28 ¤.

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