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Köln: Das Ende einer Dynastie: Mach et jut, Millowitsch-Theater

Köln

Das Ende einer Dynastie: Mach et jut, Millowitsch-Theater

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    "Der Etappenhase" war das erste Stück des Millowitsch-Theaters, das 1953 im Fernsehen lief: In der Mitte Willy Millowitsch, links sein Sohn Peter.
    "Der Etappenhase" war das erste Stück des Millowitsch-Theaters, das 1953 im Fernsehen lief: In der Mitte Willy Millowitsch, links sein Sohn Peter. Foto: Horst Ossinger, dpa (Archiv)

    Auf diesen einen Tag hatte sich Peter Millowitsch gründlich vorbereitet. Also setzte er sich im Foyer der "Volksbühne am Rudolfplatz" vor die Presse, in jenem Theater, das bis vor zweieinhalb Jahren noch seinen Namen trug. Und weil es Besonderes zu verkünden gab, hatte er sich jedes Wort aufgeschrieben, um nur nicht ins Stottern zu kommen. "Mit mir endet in Köln eine wunderbare Ära, die über sieben Generationen gedauert hat", sagt der Sohn des großen Willy Millowitsch also. Der Schritt falle ihm nicht leicht, sagt er. "Ich lebe und atme das Millowitsch-Theater, seit ich denken kann."

    Ein letztes Mal wollte der 68-Jährige noch den "Etappenhasen" auf die Bühne bringen – jenes Stück, mit dem sich der Kreis schließen sollte. Es war der Schwank, mit dem das Kölner Millowitsch-Theater im Oktober 1953 erstmals im Fernsehen zu sehen war und die erste Live-Übertragung eines Bühnenwerks im Deutschen Fernsehen überhaupt. Ja, erst hat Millowitsch die Menschen rund um Köln begeistert. Und später auch den Rest der Deutschen. Mit "Tante Jutta aus Kalkutta" etwa, dem Stück, das 1962 eine Einschaltquote von unvorstellbaren 88 Prozent erreichte.

    Das Millowitsch-Theater wird nach 75 Jahren geschlossen

    Das Volkstheater im Fernsehen

    Volkstheater im BR:  In Bayern ist das Volkstheater noch verbreitet. BR Fernsehen sendet es immer sonntags um 20.15 Uhr.Es gibt fünf unterschiedliche Formate: Das "Chiemgauer Volkstheater", den "Komödienstadel", das "Bayerische Volkstheater aus den Regionen", die "Heimatbühne Bayern – auf Tour" sowie die "Komödie aus Franken" mit Volker Heißmann und Martin Rassau.

    Volkstheater im NDR: Der Norddeutsche Rundfunk arbeitet nach wie vor mit dem Ohnsorg-Theater zusammen. Pro Jahr zeigt der Sender zwei im Ohnsorg-Theater in Hamburg neu aufgezeichnete Stücke, dazu kommen Wiederholungen zu verschiedenen Sendezeit.

    Kulturgut Volkstheater: Im Februar hat der Deutsche Kulturrat das Millowitsch-Theater auf die Rote Liste bedrohter Kultureinrichtungen gesetzt. Zudem wurden zwei Kultureinrichtungen aus Baden-Württemberg auf die Liste genommen: Die Gemeindebücherei Leseinsel Waldbronn und das Luna Filmtheater in Metzingen. (sok)

    Und es ist ja unvergessen – wie man vor dem Fernseher saß, der gelbe Vorhang sich öffnete und die polternde Stimme über die Bühne dröhnte, noch bevor man Willy Millowitsch überhaupt zu Gesicht bekam. Die Zeiten aber haben sich geändert. Peter Millowitsch hat es kommen sehen. 1998 hat er das Theater vom Vater übernommen, ein Jahr vor dessen Tod. Seither erlebte das Haus einen schleichenden Niedergang. Erst verfrachtete der Westdeutsche Rundfunk die Stücke ins Mittagsprogramm – zuletzt nur noch an Montagen. 2016 dann kündigte der Sender an, das Volkstheater gar nicht mehr zu übertragen.

    Diese Entscheidung, sagt Millowitsch, "hat uns schwer getroffen, die Manpower, das Können und, ja, auch das Geld fehlen sehr". Was Bühne und Ensemble kosteten, wurde zuletzt nicht mehr hereingeholt. "Ich zahle nur noch drauf", erklärt der Theaterdirektor. "Es geht einfach nicht mehr." Und dann sagt er diesen Satz, mit dem man irgendwie auch gerechnet hat. "Außerdem scheint das gute alte Volkstheater langsam aus der Mode, es kommen immer weniger Zuschauer."

    Welche Zukunft hat das Volkstheater?

    Ist das Volkstheater in der Krise? Steht diese spezielle Mischung aus Folklore, Heimattümelei und Boulevard vor dem Aus? Beim WDR heißt es, das Publikum sei viel stärker an eigens für das Fernsehen hergestellten Sitcoms und Komödien interessiert. "Das Gemeinschaftserlebnis des Theaters ist nicht mehr ins Fernsehen zu übertragen."

    In Bayern sieht man das anders. BR Fernsehen jedenfalls hält am Volkstheater fest. Immer sonntags, zur besten Sendezeit, geht es um Geschichten aus Bauernstuben und Wirtshäusern, um List und Lust, um Sünd und Sühne – mal gespielt vom "Chiemgauer Volkstheater", mal aus dem "Komödienstadel". Die Einschaltquoten sind deutlich besser als beim Millowitsch-Theater. Beim jüngsten Komödienstadl lag der Marktanteil bei 6,2 Prozent. Wie hoch die Quoten bei Stücken von 1959 und 1974 sind, die ebenso gezeigt werden – darüber schweigt man sich allerdings aus.

    Früher, ja früher, war einiges anders. 1792 soll die Geschichte der kölschen Theater-Dynastie begonnen haben. Mit einem Briketthändler namens Michael Millowitsch, der Theaterstücke mit Stockpuppen spielte. Sein Sohn professionalisierte das mit einer mobilen Bühne und verkürzte so Passanten, die über den Rhein wollten, die Wartezeit. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ersetzte Wilhelm Josef Millowitsch die Stockpuppen durch richtige Schauspieler, brachte Schwänke, Parodien und Revuen auf die Bühne.

    Adenauer soll Willy Millowitschs Theater unterstützt haben

    Den Grundstein für den Erfolg aber, so viel ist überliefert, legte Konrad Adenauer 1945. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag Köln in Trümmern, das Dach des Theaters war weggeblasen. Der wieder eingesetzte Oberbürgermeister Adenauer bestellte Willy Millowitsch ein und soll verkündet haben: "Ich will, dat Se so bald wie möglich wieder Theater spielen können. Die Leute sollen wieder wat zu lachen haben." Die Bezugsscheine für das erforderliche Baumaterial und alles Weitere werde er schon regeln.

    Einst das "Millowitsch-Theater", jetzt ist es die "Volksbühne am Rudolfplatz".
    Einst das "Millowitsch-Theater", jetzt ist es die "Volksbühne am Rudolfplatz". Foto: Oliver Berg, dpa

    Der 36 Jahre alte Millowitsch konnte sein Glück kaum fassen. "Nix lieber wie dat…", stammelte er seinen Memoiren zufolge. Als er schon in der Tür war, soll ihn Adenauer noch einmal zurückgerufen haben: "Verjessen Se dat eine nich: Schicken Se mir zur Premiere zwei Karten. Aber Freikarten bitte!" So wurde das Millowitsch-Theater das erste, das wieder öffnete.

    Und heute? Dass die große Geschichte der Theater-Dynastie enden dürfte, darüber gab es schon länger Gerüchte. Schon, weil es keine Nachfahren gibt, die weitermachen könnten. Peter Millowitsch hat keine Kinder, die Nichten und Neffen wollten nicht. Seine drei Schwestern Katharina, Susanne und Mariele wollten nicht in die Fußstapfen des großen Vaters treten und Volksschauspielerinnen werden. "Wenn ich mal nicht mehr bin, geht das hier den Bach runter", hat Willy Millowitsch selbst gesagt.

    Mariele Millowitsch: "Das hätte unserem Vater auch passieren können"

    Seine jüngste Tochter Mariele hat die Worte nicht vergessen. Ihr Vater war ein schwieriger Charakter, einer, der keinen König neben sich duldete, erzählt sie. "Ich bin mir nicht sicher, ob unser Vater mit dem Theater nicht auch in Schwierigkeiten gekommen wäre. Das hätte ihm auch passieren können." Die 62-Jährige hat die Schauspielerei der Bühne vorgezogen, man kennt sie aus TV-Serien wie "Nikola". Den Schritt ihres Bruders kann sie nachvollziehen, auch wenn er sie traurig macht. "Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende."

    Und was heißt all das für die Zukunft des Volkstheaters? Martin Wölzmüller ist Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege. Er kennt das Volkstheater, hat früher selbst in Prittriching den Knecht gegeben. Die Laienbühnen auf den Dörfern haben noch immer ihren Erfolg. "Der Reiz ist, dass man die Akteure kennt, dass die Menschen plötzlich ganz anders als im normalen Leben sind." Das große Volkstheater aber, das noch dazu im Fernsehen übertragen wird? "Früher war das eine Institution, schon, weil es ganz viele unterschiedliche Leute zusammengebracht hat", sagt Wölzmüller. Heute aber sei der Schwank zu bieder, zu flach, zu weit weg von der heutigen Gesellschaft – die Klischees vom dummen Knecht und dem fensterlnden Jüngling, meint auch Klaus Voglgsang, Theaterbeauftragter an der Universität Augsburg. Steht das Volkstheater also vor dem Aus? "In Bayern halten sich die Traditionen vielleicht einfach nur länger."

    Das Theater ist bereits neu vermietet

    Peter Millowitsch sagt: "Ich zahle nur noch drauf."
    Peter Millowitsch sagt: "Ich zahle nur noch drauf." Foto: Henning Kaiser, dpa

    Solche Bühnengrößen wie Willy Millowitsch aber gab es im Freistaat nie – auch keine Theater-Dynastie wie seine Familie. Die gäbe selbst genug Stoff fürs Theater her: Erfolge und Krisen, Rivalitäten und große Gefühle und die Beziehung zwischen Alt und Jung, die oft nicht einfach war. Willy Millowitsch wurde der einzige Kölner, der schon zu Lebzeiten ein Denkmal bekam. Ein Ehrenbürger, der keinen Schulabschluss brauchte. Viele unvergessene Auftritte verbinden sich mit seinen letzten Lebensjahren, wie die letzte große Fahrt durch seine Stadt auf einem Wagen des Rosenmontagszuges 1998.

    Für seinen Sohn Peter kam das Ende schneller als gedacht. Im kommenden Jahr wollte er eigentlich aufhören. Nun ist schon am Sonntag Schluss. Es gibt keine neue Spielzeit, keine Neuaufführung des "Etappenhasen". Das Theater ist bereits neu vermietet. Christian Seeler, der frühere Intendant des Hamburger Ohnsorg-Theaters, zeigt "Tratsch im Treppenhaus" – mit Peter Millowitsch. Künftig wird der 68-Jährige Angestellter im Theater sein, das früher seines war. "Es gab Schlimmeres in meinem Leben", sagt er.

    Sechs Jahre war Peter Millowitsch alt, als er das erste Mal neben seinem Vater Willy auf der Bühne stand. "Mich hat immer eine Hassliebe mit dem Theater verbunden", sagt er. "Ich war innerlich zerrissen, weil ich schnell erkannt habe, dass es das sein wird, was ich mein Leben lang machen werde. Es gab keine Befreiung, weil ich heiße, wie ich heiße." Nun freut er sich auf neue Rollen, darauf, dass der Druck weg ist. Und er hat sich ja gut vorbereitet auf diesen wichtigen Tag. "Ich wusste schon mit 20, dass ich als letzter Millowitsch-Mohikaner das Licht ausmachen muss", sagt er. (mit dpa)

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