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Film: Der Fluch des starken Jahrgangs

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Der Fluch des starken Jahrgangs

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    Kandidaten für die Auszeichnungen beim Filmfest Venedig: „First Man“ mit Ryan Gosling in der Rolle des Mond-Eroberers Neil Armstrong; „The Favourite“ mit Olivia Colman als Königin Anne. 	<b>Fotos: Universal; Twentieh Century Fox/dpa</b>
    Kandidaten für die Auszeichnungen beim Filmfest Venedig: „First Man“ mit Ryan Gosling in der Rolle des Mond-Eroberers Neil Armstrong; „The Favourite“ mit Olivia Colman als Königin Anne. <b>Fotos: Universal; Twentieh Century Fox/dpa</b>

    Venedig Manchmal kann ein starker Wettbewerb bei einem Filmfestival auch ein Fluch sein. Denn dann gibt es so viele Beiträge, die eine Auszeichnung verdient hätten, dass die Jury mit ihren Preisen unmöglich alle berücksichtigen kann. Die diesjährige Ausgabe bei den Festspielen in Venedig scheint genau solch ein Jahrgang zu sein. Denn während sich die Festivalbesucher über zahlreiche gute Beiträge freuen konnten, hat sich gleichzeitig kein klarer Favorit herauskristallisiert. Wer am Samstagabend den Goldenen Löwen für den besten Film gewinnen wird, ist noch völlig offen.

    Mit am wagemutigsten – aber auch umstrittensten – war der Italiener Luca Guadagnino, der in „Suspiria“ Dakota Johnson und Tilda Swinton in einer Horror-Tour-de-Force durchs Westberlin der 70er Jahre schickte. Deutlich einiger waren sich Publikum und Kritiker dagegen bei „The Favourite“: Dem Griechen Yorgos Lanthimos gelang ein bissiger, satirisch-überhöhter Blick auf die Intrigen am Hof der britischen Queen Anne. Das war so unterhaltsam wie originell und blieb außerdem wegen des herausragenden Frauen-Trios Olivia Colman, Emma Stone und Rachel Weisz in Erinnerung. Deutlich stiller inszenierte Oscar-Gewinner Damien Chazelle („La La Land“) das Leben von Neil Armstrong, dem ersten Mann auf dem Mond. Er ehrt in „First Man“ die technischen und menschlichen Leistungen, ganz ohne patriotischen Kitsch – was in den USA bereits für Kritik sorgte.

    Überhaupt schauten in dieser Festivalausgabe viele Filmemacher zurück in die Vergangenheit. Die Coen-Brüder Ethan und Joel beispielsweise legten einen Western vor, der Brite Mike Leigh blickte auf die Anfänge moderner Demokratie in England. Auffälligerweise aber wurden kaum aktuelle Fragen und drängende Probleme der Gegenwart thematisiert. Eine der wenigen Ausnahmen war Paul Greengrass, der in „22 July“ die Anschläge in Oslo und auf der Insel Utøya in den Mittelpunkt rückte. Bemerkenswert war darüber hinaus, wie kunstvoll gleich mehrere Filmemacher ihre Werke inszenierten. Der Mexikaner Alfonso Cuarón etwa wählte für „Roma“, einer Ode an sein früheres Kindermädchen, wunderschöne Schwarz-Weiß-Bilder. Der Ungar László Nemes wiederum ließ die Kamera in „Napszállta (Sunset)“ elegant durch das Budapest kurz vor dem Ersten Weltkrieg gleiten. Um Kunst ging es auch im deutschen Beitrag „Werk ohne Autor“ von Florian Henckel von Donnersmarck. Der kam bei der Kritik zwar nicht sehr gut, dafür aber besser beim Publikum an.

    Bei den Darstellerpreisen hat die Jury um ihren Präsidenten Guillermo del Toro ebenfalls die Qual der Wahl. Unter den Frauen drängen sich unter anderem Olivia Colman als Queen Anne und Dakota Johnson aus dem Nerven aufreibenden „Suspiria“ auf. Bei den Männern stechen Willem Dafoe und John C. Reilly heraus. Dafoe verkörperte eindringlich den Maler Vincent van Gogh in „At Eternity’s Gate“, dessen letzte Jahre Regisseur Julian Schnabel in von Sonnenlicht durchströmten Bildern einfing. Und John C. Reilly verlieh seinem Charakter in dem Western „The Sisters Brothers“ von Jacques Audiard so viel Tiefe und Facetten, dass auch er eine venezianische Auszeichnung mehr als verdient hätte.

    Doch bei den Darstellern gilt ebenfalls: Die Konkurrenz ist in diesem Jahr stark – das Rennen bleibt also zum Schluss offen. Aliki Nassoufis, dpa

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