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Hereditary: Der Schrecken in uns: Darum sind Horrorfilme so erfolgreich

Hereditary

Der Schrecken in uns: Darum sind Horrorfilme so erfolgreich

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    Szene aus „Nosferatu“ (1922) von Friedrich Wilhelm Murnau – der Mutter aller Horrorfilme.
    Szene aus „Nosferatu“ (1922) von Friedrich Wilhelm Murnau – der Mutter aller Horrorfilme. Foto: Akg

    Auf Dauer nicht da hinzuschauen, wo es wehtut, tut selten gut. Und als eine frühe Übung dieser therapeutischen Binse über den Umweg des Fiktionalen könnte man – zumindest seit einigen Jahrzehnten – den Horror-Film bezeichnen. Wenn beispielsweise ein paar übel und in der Art von Iltissen ausdünstende Pubertierende auf der elterlichen Couch sitzen (sturmfrei!), sich zeitweise und abwechselnd immer wieder unter den Couchkissen verstecken und im Anschluss an, sagen wir, „Tanz der Teufel“, nur gemeinsam und mit einem Besen bewaffnet in den Keller trauen, um sich rasch die auf diese Mutprobe, Initiations-Erfahrung hin dringend benötigten Biere zu holen.

    Doch genug der Jugenderinnerungen. Zumal einem damals nicht im Entferntesten eingefallen wäre, dass es neben dem schaurigen Schauwert ja noch um etwas ganz anderes gehen, einen Mehrwert geben könnte, etwa und um die Gebrüder Grimm zu zitieren: auszuziehen und das Fürchten zu lernen. Und vielleicht ja besten Falls sogar noch das eine oder andere darüber hinaus.

    Manches im Horrofilm ist schwer erträglich

    Allen, die nun bildungsbürgerlich-besorgt die Nase rümpfen: Ja, es gab und gibt viel Schund auf diesem Markt. Und nochmal ja, manches ist schwer erträglich. Aber ein generelles Verdikt ist gleichwohl nicht angebracht. Was man schon an einem der ersten Vertreter der Gattung beziehungsweise der Mutter aller Horrorfilme, nämlich „Nosferatu – eine Symphonie des Grauens“ (Deutschland 1922) von Friedrich Wilhelm Murnau sehen kann. Die Dracula-Verfilmung, ohne die entsprechende US-Produktionen in den 30er, 40er Jahren nicht denkbar wären, gilt heute als ein Klassiker des Weimarer Kinos, in dem die Unübersichtlichkeit, Instabilität und Gewaltanfälligkeit der Zwischenkriegszeit aufscheint. Der Soziologe und Filmtheoretiker Siegfried Kracauer sah in dem Vampir sogar bereits die „Tyrannenfigur“, die von Caligari (nach dem Stummfilm von Robert Wiene) unmittelbar zu Hitler führt. Das mag man überspannt finden, zeigt aber, dass auch das Horror-Kino im besten Fall etwas aussagt über die jeweilige Zeit und Gesellschaft. Was es allerdings von anderen Genres unterscheidet, ist das Vehikel, mit dem es das tut: nämlich die Furcht.

    Die besorgten Bildungsbürger mögen sich da vielleicht an Aristoteles erinnern, für den eines der wesentlichen Mittel der Tragödie das „Schaudern“ darstellt. Ziel ist natürlich die Katharsis, also die Läuterung, oder, moderner ausgedrückt: die Befreiung von psychischen oder emotionalen Konflikten, Spannungen. Dass dieses Schaudern aber noch vor jeder reinigenden auch eine ästhetische, durchaus lustvolle Erfahrung ist, kann vielleicht am ehesten mit Kant verstanden werden. Der Philosoph schreibt in seiner Kritik der Urteilskraft: „In Beziehung auf das Gefühl der Lust ist ein Gegenstand entweder zum Angenehmen, oder Schönen, oder Erhabenen, oder Guten (schlechthin) zu zählen.“

    Das Grausen und der heilige Schauer

    Und das Erhabene ist nun die Kategorie, die im Zusammenhang mit dem Schauder interessiert, denn: „Das Wohlgefallen am Erhabenen der Natur ist daher auch nur negativ (stattdessen das am Schönen positiv ist), nämlich ein Gefühl der Beraubung der Freiheit der Einbildungskraft durch sie selbst (...) Die Verwunderung, die an Schreck grenzt, das Grausen und der heilige Schauer, welcher den Zuschauer (...) ergreift, ist, bei der Sicherheit, worin er sich weiß, nicht wirkliche Furcht, sondern nur ein Versuch, uns mit der Einbildungskraft darauf einzulassen, um die Macht eben desselben Vermögens zu fühlen.“ Mit anderen Worten: Etwas schaudert, gruselt, ja, überwältigt mich und übersteigt meine Vorstellungskraft (bei Kant mangels zeitgenössischer Horrorfilme die Natur, „tiefe Schlünde, tobende Gewässer“), durch die sichere Distanz des Kino- oder Fernsehsessels gerinnt daraus dann aber im fast selben Moment so etwas wie ein ästhetisches Vergnügen.

    Das mag sich nun gerade angesichts von Horrorfilmen für manchen komisch anhören, beschreibt aber nur den grundlegenden Mechanismus. Klar ist aber auch, dass man als Zuschauer – je nach individueller Genreerfahrung, Toleranz und Schmerzgrenze – auf diese Weise gewissermaßen perzeptiv aufgeschlossen, womöglich umso empfänglicher ist für das Gezeigte. Und das, was es einem unter Umständen zu sagen hat.

    Kapitalismuskritik im Zombiefilm

    Denn wie bereits erwähnt ist der Horror- wie vielleicht sonst nur noch der Science-Fiction-Film dazu geeignet, Zeitdiagnostisches in mehr oder minder expliziten Plots zu transportieren. Man denke dabei nur an George A. Romeros Zombie-Filme aus den 70ern, deren Kritik des Konsumkapitalismus sich jedem erschließt (erst recht, wenn man zum Vergleich morgens den Berufsverkehr oder samstags die Augsburger Fußgängerzone betrachtet). Auch die sogenannten Slasher-Filme der 80er Jahre, in denen meist Teenager dezimiert werden, die etwa Drogen probieren oder gar Sex haben, stellen die zugrunde liegende gesellschaftliche Moral nur umso drastischer aus. Und Folterfilme wie die „Saw“-Reihe fügen sich ebenfalls ein in eine Zeit des Schönheits- und Körperkults, in der zeitgleich am anderen Ende der Welt aber auch ganz real gefoltert wird. Das alles sagt natürlich nichts über die Güte und ästhetische Qualität der Filme, und gerade die letztgenannten kann man mit Fug und Recht abscheulich finden.

    Was man jedoch – umso erfreulicher – beobachten kann: Dass sich das Genre, dem lange ein Schmuddelimage anhaftete, seit geraumer Zeit öffnet für künstlerische anspruchsvollere Ansätze (etwa durch Guillermo del Toro). Und sich nach der Gesellschaft mittlerweile mit dem Thema Familie den letzten Rückzugsort und Stabilitätsanker vornimmt, wovon Filme wie „The Babadook“ oder jetzt eben und von fulminanten Kritiken begleitet „Hereditary“ zeugen. Die beiden Beispiele unterscheidet von oft nur auf den reinen Schau(er)wert setzenden Produktionen, dass sie des Gruselfaktors eigentlich fast gar nicht bedurften. Sie sind erschreckend genug, weil sie aufzeigen, was aus elterlicher Fürsorge werden kann (schon in „A Nightmare on Elm Street“ bekanntlich das Monster Freddy Krueger) und wie Geheimnisse und Unausgeprochenes Familien einholen, heimsuchen können.

    Die Bühne für das Drama ist die Familie

    Das mag viele Fans, die lediglich auf drastische Effekte hoffen, langweilen, aber die Formel guter, zeitgenössischer Horrorfilme beschreibt Erfolgsproduzent Jason Blum („Get Out“, „Split“) so: Kurz bevor ein Film beendet ist, lasse er stets sämtliche Gruselelemente herausnehmen, um zu schauen, ob er auch so als Drama funktioniert. Und was ist eine bessere Bühne für ein Drama als – genau, die Familie.

    Es sind – wie die New York Times dieser Tage schrieb – keine Vampire, Zombies, Werwölfe, vor denen wir abgeklärten Erwachsenen uns noch fürchten, es sind vielmehr die Schatten, Geister dessen, was wir verloren haben. Oder nie erreicht.

    Denn der größte Schrecken wohnt eben in uns selbst. Deswegen sollte man hinschauen. Sonst bekommt man es womöglich irgendwann mit sich zu tun. Und erst recht der Angst.

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