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Premiere: Geteiltes Reich ist doppeltes Leid

Premiere

Geteiltes Reich ist doppeltes Leid

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    Da sitzt er nun, der arme Lear: Der König (Heiner Stadelmann) hat nur wenige Freunde (hinten im Bild: Fabian Gröver und Aglaja Stadelmann).
    Da sitzt er nun, der arme Lear: Der König (Heiner Stadelmann) hat nur wenige Freunde (hinten im Bild: Fabian Gröver und Aglaja Stadelmann). Foto: Jochen Klenk

    Wo ist er, der Sturm, der die Welt aus den Angeln hebt? In Andreas von Studnitz’ Inszenierung von Shakespeares „König Lear“ am Theater Ulm schweigen die Elemente, nur das leise Rasseln eines Kettenvorhangs durchbricht die Ruhe. Ausgerechnet in dem Moment, als die pure Naturgewalt jegliche Hoffnung zerbersten lässt, ist Lear allein in der Stille. Der Sturm findet, wenn überhaupt, nur im Kopf des Zuschauers statt. Oder in dem des Königs.

    „König Lear“ ist die Tragödie eines stolzen Monarchen, der in einem Moment der Stärke glaubt, seine Macht und sein Reich teilen zu können, ohne dabei den Thron verlassen zu müssen. Dabei verstößt er ausgerechnet jene seiner drei Töchter, die ihn am meisten liebt – weil sie, anders als ihre Schwestern, nicht bereit ist, mit verlogener Schmeichelei die Eitelkeit des alten Mannes zu bedienen. Es gibt viele Arten, diesen Text zu lesen, und in dieser Zeit, wo weltweit alte mächtige Männer, die von Speichelleckern umgeben sind, das Rad der Zeit zurückdrehen wollen, würde einem so manch aktueller Bezug einfallen.

    Doch Intendant Andreas von Studnitz lässt keinen kraftstrotzenden Machtmenschen aufmarschieren. Heiner Stadelmann gibt den Lear als zwar egozentrischen, aber schwachen Greis, der schon zu Beginn des Stückes Honig im Kopf hat. Der 73-Jährige ist ein Mime der alten Schule, Vertreter einer Theatergeneration, die derzeit das Rampenlicht verlässt – und auch deshalb eine gute Besetzung. Zudem ergibt sich durch das Gastspiel die hübsche Konstellation, dass Stadelmann neben seiner in Ulm fest engagierten Tochter Aglaja spielt, die die Königstochter Regan verkörpert.

    Die Inszenierung, bei der fast das gesamte Ensemble mitwirkt, setzt auf ein reduziertes Bühnenbild. Die gesamte Handlung spielt auf einer rotierenden Erdscheibe, um die wiederum der erwähnte Kettenvorhang kreist. Farbe und Abwechslung bringt Ausstatterin Marianne Hollenstein mit den Kostümen in die Handlung: Renaissance-Kragen, Ritterrüstung, aber auch Business-Anzug – teils mit grellen Farben besprüht. Ähnlich grell, aber nicht ganz schlüssig ist die Textfassung, die der Inszenierung zugrunde liegt. Studnitz’ Übersetzung schmiegt sich mal an die Verse der Vorlage an, setzt aber auch ein paar Kalauer („Von Regan in die Traufe“) und eine drastische Gossensprache ein: Graf Kent (Timo Ben Schöfer) beschimpft andere Anwesende so unflätig, dass er auch Ehrenmitglied der Kesselflicker-Innung werden könnte. An anderer Stelle erweist sich der Intendant dagegen als Shakespeare-Fan und lässt unter anderem Edgar (Christian Streit) in englischen Original-Versen sprechen. Letzteres dürfte wohl eher Anglisten und Theaterwissenschaftler als den Normalbesucher freuen.

    Nach der Pause ordnet sich manches in der knapp dreistündigen Inszenierung. Dafür geht ihr einiges an Drive verloren. Beim großen Monolog des verrückten Lear scheint die Zeit stehenzubleiben, und Regieeinfälle wie der Techno-Tanz des Chef-Intriganten Edmund (Jakob Egger) irrlichtern durch die Inszenierung. Dieser inhaltlich unentschlossene „König Lear“ entfacht keinen Sturm – aber über manche Flaute retten ihn das überzeugende Ensemble und einige intensive Szenen (wie die Blendung von Graf Gloster) hinweg. Das Premierenpublikum honoriert dies mit freundlichem Applaus – und einigen Bravo-Rufen für „Lear“ Heiner Stadelmann.

    Wieder am 11., 15., 17., 18. und 25. März im Großen Haus. Weitere Vorstellungen bis Ende Juni.

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