Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten
Gesellschaft
Icon Pfeil nach unten

Strohromantik: Krippe im Stall: So sieht es an diesem Weihnachtsort wirklich aus

Strohromantik

Krippe im Stall: So sieht es an diesem Weihnachtsort wirklich aus

    • |
    Ferien auf dem Land: Die Urlaubsgäste dürfen bei der täglichen Arbeit anpacken. Längst nicht immer geht es so idyllisch zu.
    Ferien auf dem Land: Die Urlaubsgäste dürfen bei der täglichen Arbeit anpacken. Längst nicht immer geht es so idyllisch zu. Foto: Roter Hahn/ Frieder Blickle, dpa (Archivbild)

     …und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge …

    Die erste Stallgeschichte, Lukasevangelium. Es ist natürlich die schönste. Von Tieren ist darin nicht die Rede. Von Stroh auch nicht. All das kam erst später dazu. Aber das Bild zur Geschichte ist genau so nun seit Jahrhunderten in den Köpfen: ein Stall, so heimelig, so sauber, dass ein Baby darin seine erste Nacht sicher verbringt, sie in der Krippe verschläft, daneben die wachenden Eltern und sanft schnaufend Ochs und Esel. Wenn man kleine Kinder bittet, ein Bild von einem Stall zu malen, dann kommt etwas Ähnliches heraus: Haus, Stroh, Tiere, kein Baby natürlich und statt des Esels vielleicht ein Pferd. Oder ein Schwein, das grinst. Und irgendwo noch ein toller Traktor. Ein glücklicher Ort jedenfalls für Mensch und Tier. Die Kinder halt. Wenn man Erwachsene um dasselbe bitten würde, sähe es anders aus. Die wissen nämlich schon: Ein Stall ist doch kein Ponyhof! Da muss gewirtschaftet werden, da stehen nicht nur ein Ochs und Esel, sondern auch mal 1500 Schweine. Da stinkt es auch. Da weiß man nicht, wohin mit der Gülle. Definitiv nicht der richtige Ort für ein Neugeborenes. Wenn man aber Erwachsene fragen würde, wie sie sich einen idealen Bauernhof vorstellen, dann käme einer raus wie bei den Kindern: Wie gemalt!

    Michael Lerf, 30, hat drei kleine Kinder und 70 Kühe. Und natürlich einen Stall. Der steht in Dennenberg, Unterallgäu, direkt neben dem Wohnhaus und der Molkerei. Zum Stall geht es eine Eisentreppe hinunter, jetzt aber bleibt man erst mal oben stehen, und Michael Lerf sagt: „Im Winter schaut’s trauriger aus.“ Nein, nicht das Vieh! Keine Ahnung, wie sich eine glückliche Kuh im Gesichtsausdruck von einer sagen wir mal weniger glücklichen unterscheidet. Aber die Kühe bei Lerfs wirken irgendwie alle auf eine ziemlich gleiche Art recht zufrieden. Trauriger, damit meint Lerf die Natur. Die Bäume kahl, ohne Grün, der Himmel heute dezemberfahl. Das Vieh übrigens braun in verschiedenen Nuancen, Allgäuer Braunvieh eben!

    Die Stallgeschichte, die Michael Lerf erzählen kann, ist jedenfalls auch eine schöne. Auch wenn sie manchen Menschen vielleicht immer noch nicht schön genug ist. Es kommt viel sogenannter „Kuhkomfort“ darin vor, eine besondere Milch, die es in Bayern sonst nirgends gibt, außerdem ein Preis und knapp erzählt geht sie so: Vor einundzwanzig Jahren hat der Vater, damals schon Biolandbauer, den Stall gebaut. Mit Fenstern, Laufgängen, und links und rechts einem Auslauf, wo die Kühe raus können, wenn sie auch raus wollen. So hell, so viel Luft, so viel Freiheit, das war damals was. Letztes Jahr hat der Vater den Hof übergeben und im Januar ist Michael Lerf nach Berlin zur Grünen Woche gefahren, weil die Vorzugsmilch der Lerfs als eines der besten Bioprodukte Bayerns ausgezeichnet wurde. Vor kurzem war deswegen auch der Bayerische Rundfunk da für seine Sendung „Unser Land“. Schöne Geschichten über Ställe hört man gerne!

    Der moderne Stall hat ein gewaltiges Imageproblem

    Und das ist die Stelle, an der man jetzt aber auch mal auf die anderen Geschichten kommen muss, von denen man hört. Und die man auf keinen Fall hören will, wenn man gerade vor einem Schnitzel sitzt. Da will man auch kein Zitat serviert bekommen wie dieses. „Zu wenig Platz, zu wenig Beschäftigungsmaterialien, zu wenig wechselnde Klimaeinflüsse. Das ist keine zukunftsfähige Tierhaltung.“ Das sagt jetzt nicht einer von Peta, der Tierrechtsorganisation, sondern es kommt aus dem Munde von Prof. Harald Grethe, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung. Vor zwei Jahren legte der Beirat einen Bericht zur Nutztierhaltung in Deutschland vor, in dem die Experten zu dem Fazit kamen. So, wie es in vielen deutschen Ställen zugeht, so kann es nicht weitergehen. O-Ton: „Nicht vertretbar und gesellschaftlich nicht akzeptabel.“ Eine Stallmisere also!

    Ein Bauernhof ist ein Wirtschaftsbetrieb und muss schwarze Zahlen schreiben. Wie weit muss Tierschutz dabei gehen?
    Ein Bauernhof ist ein Wirtschaftsbetrieb und muss schwarze Zahlen schreiben. Wie weit muss Tierschutz dabei gehen? Foto: Felix Kästle, dpa

    Man könnte es auch sagen: Der moderne Stall hat ein gewaltiges Imageproblem. Taugt schon lange nicht mehr als Idylle und schon gar nicht als der heimelige Ort der Weihnacht. Weshalb man ihn zum Beispiel in der Werbung auch kaum sieht, stattdessen bärtige Bauern, die mit der Sense auf den Almwiesen hantieren, mampfende Kühe und happy Hühner im Gras, grinsende Schweine, fliegende Würste! Aber keinen Stall. Weshalb auch die Kinderbücher voll sind zwar von Ställen, in denen der Bauer das Huhn beim Namen kennt, in denen Mama Muh glücklich vor sich hinschaukelt und die Ferkel blitzrosa durchs Stroh wetzen, Bauernhofromantik eben, aber niemals das zu sehen ist, was ja auch Realität ist: Agrarfabriken mit tausend Tieren und mehr. Gesellschaftlich nicht akzeptabel!

    Eine andere Stallgeschichte daher. Sie handelt von Gabriele Mörixmann, 44, Landwirtin aus der Nähe von Osnabrück. Vor sechs Jahren hat die Familie den Stall umgebaut. In einen Aktivstall. Seitdem gibt es für ihre rund 1000 Schweine verschiedene Bereiche, solche zum Wühlen im Stroh, andere zum Ruhen, Fressen oder auch Spielen. Wenn die Schweine wollen, können sie auch ins Bällebad. Aber auch bei Mörixmann standen schon Tierschützerinnen auf dem Hof und wollten die Tiere freilassen. Wer eine fleischfreie Welt will, der gibt sich mit einem Bällebad nicht zufrieden. Wer sich ums Tier sorgt, aber gerne auch ein Steak auf dem Teller liegen hat, dem erklärt Gabriele Mörixmann, dass das geht, aber eben kostet. Das Fleisch ihrer Schweine ist günstiger als Biofleisch, aber liegt etwa 30 Prozent über dem von konventionell gehaltenen Mastschweinen. Mörixmann ist ein Typ, der das Leben positiv sieht. Aber nicht schönredet. Es gab auch Zeiten, sagt sie, da war sie sich nicht mehr sicher, ob sie das noch länger wird durchhalten können. Finanziell. Stroh, das weiß man, wird nicht so einfach zu Gold. „Tierwohl, Umweltschutz, das zählt in unserer Gesellschaft viel. Aber irgendwie interessiert es keinen, dass sich unser Betrieb auch rechnet“, sagt sie: „Uns aber natürlich schon.“

    Winnie Sonntag, Agrarwissenschaftlerin an der Georg-August-Universität Göttingen, arbeitet mit am Forschungsprojekt „Social.Lab – Nutztierhaltung im Spiegel der Gesellschaft.“ Es geht bei dem Projekt im Grunde darum, was der Gesellschaft an den deutschen Ställen nicht passt, wie sie die Tierhaltung wahrnimmt und wie die Akzeptanz verbessert werden könnte. Was die Forscher festgestellt haben: Das, was sich der Normalbürger unter einem Stall vorstellt, hat mit der Realität wenig zu tun. Die einen Stallgeschichten also nur recht wenig mit den anderen. Die Bilder, die in den Köpfen umherschwirren, ließen sich mit den Begriffen „Museumslandwirtschaft“ und „Massentierhaltung“ kennzeichnen. Kein Dazwischen also! Weil das Dazwischen ja auch kaum mehr einer kennt. Woher auch, wenn man in der Stadt, in der Vor- oder in der Vorvorstadt lebt. Vielleicht aus der Sendung „Bauer sucht Frau“? Anfang des 20. Jahrhunderts arbeiteten noch etwa 38 Prozent der deutschen Bevölkerung in der Landwirtschaft, heute sind es noch etwa zwei. Der Stall ist zu so etwas wie einem exotischen Arbeitsplatz geworden.

    Früher war das Tierwohl den Leuten ziemlich wurscht

    Was die Gesellschaft noch in Ordnung findet, das ist ein Stall wie im Milchhof Lerf. Der sich mit dem schönen Bild im Kopf irgendwie deckt. Den man sich mit den Kindern in den Ferien gerne mal anschaut. Zwei Drittel der Befragten bewerteten einen solchen Hof als akzeptabel. Da wird dann auch mehr für die Milch bezahlt. Das mieseste Image haben dagegen die Geflügel- und Schweineställe. „Da brauchen wir langfristig etwas anderes“, sagt Sonntag. Verbesserte Haltungssysteme, Kompromisse. Schweinezüchterin Mörixmann versucht es. Den Spagat zwischen Ökologie und Ökonomie, wie sie sagt. Mehr Tierwohl, dennoch bezahlbares Fleisch. Mehr Stallglück, dennoch schwarze Zahlen. „Aber alle, die diesen Weg gehen, kämpfen genauso wie wir.“ Mit der Vermarktung, mit dem Emissionsschutz, mit der Politik. Ein Dilemma. Und die Landwirte stecken mittendrin. Dass es da Unsicherheit gibt, manchmal auch eine gewisse Bockigkeit, versteht Sonntag: „Jahrelang wurde ihnen zugetragen, für den Weltmarkt zu produzieren, und plötzlich kommen alle mit dem Tierwohl.“ Und wollen am liebsten Ställe, für die ähnliche Kriterien gelten wie fürs eigene Zuhause: schön hell, sauber und weitläufig. Früher aber war das den Leuten ziemlich wurscht.

    Und damit noch einmal zu Michael Lerf. Sieben Stunden ist er täglich im Stall. Ab halb sechs Uhr morgens. Von Montag bis Samstag. Am Sonntag sind es nur fünf Stunden. „Wenn du das 365 Tage im Jahr machst, musst du deine Arbeit schon mögen“, sagt Michael Lerf. Also auch den Stall. Er sagt, natürlich gäbe es Tage, da will man eigentlich auch mal nichts tun, aber er gehe eigentlich immer gerne in seinen Stall. Seit sie vor drei Jahren auf Heu als Futter umgestellt haben, rieche es jetzt auch gut. Eine schöne Stallgeschichte. Aber: Auch bei ihm sind die Kälbchen zum Beispiel nur einen Tag bei der Mutter. „Natürlich ist es immer schön, wenn das Kalb bei der Mutter ist. Aber dann gibt es halt auch keine Milch.“ Auf Kinderbildern aber ist das Kalb immer bei der Kuh.

    Stallidylle und Stallrealität. Die Agrarwissenschaftlerin Sonntag sagt: „Das, was die Leute immer wollen, können wir nicht hundertprozentig liefern.“ Einen Stall wie gemalt. Mit sanft schnaufendem Ochs und Esel. Und Michael Lerf, der Biobauer, sagt: „Man versucht, das Beste zu machen.“ Auch am Weihnachstag. Um halb zehn Uhr wird er noch einmal in den Stall schauen. Einer muss sich kümmern. Die Kuh, sagt Lerf, ist ja immer da. Letzte Frage: Ob er schon einmal im Stall übernachtet hat. Da lacht Lerf. Noch nie. Schon gar nicht im Winter. Tiergerechter Außentemperaturstall bedeutet: Wenn es draußen kalt ist, dann auch drinnen. Ein Stall ist eben keine Herberge.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden