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    So ähnlich könnte die Wunderkammer auch im Wohnhaus des Sammlers Christoph Weickmann ausgesehen haben, das als Modell auf dem Tisch zu sehen ist. Ganz rechts eines der wertvollen westafrikanischen Gewändern, hinten rechts eine Raphiabastdecke aus dem Kongo.
    So ähnlich könnte die Wunderkammer auch im Wohnhaus des Sammlers Christoph Weickmann ausgesehen haben, das als Modell auf dem Tisch zu sehen ist. Ganz rechts eines der wertvollen westafrikanischen Gewändern, hinten rechts eine Raphiabastdecke aus dem Kongo. Foto: Oleg Kuchar, Museum Ulm

    Ulm Alle wollen den Löwenmenschen sehen. Die etwa 40000 Jahre alte Figur ist der bekannteste Fund aus den Höhlen, die seit Anfang Juli das Siegel Unesco-Weltkulturerbe tragen, und damit der Star des Museums Ulm. Ein Schatz, der wahrscheinlich auch schon Christoph Weickmann (1617-1681) fasziniert hätte. Der Ulmer Kaufmann hatte ein Faible für Schönes, Wertvolles und Kurioses aus aller Welt. Das Besondere: Weickmanns „Kunst- und Naturalkammer“ ist in Teilen bis heute erhalten – und für das Museum der Münsterstadt weit mehr als ein Kuriosum, wie Direktorin Stefanie Dathe sagt. „Ihr Wert ist unermesslich. Sie ist für unser Haus ein Alleinstellungsmerkmal.“

    Zur Zeit Weickmanns war das noch anders. Denn, wie Kuratorin Eva Leistenschneider berichtet, gab es einst allein in Ulm mehrere solcher Wunderkammern. Die Geschichte dieser Einrichtungen, die als Vorläufer unserer heutigen Museen gelten können, reicht zurück bis ins 14. Jahrhundert. Damals entstanden an Fürstenhöfen, später auch in Häusern vermögender Bürger, solche Kabinette. Diese folgten einer anderen Logik als heutige Museen, wie Leistenschneider erklärt: „Hinter ihnen steht eine humanistische Idee. Wenn eine Wunderkammer etwas taugt, ist sie ein Abbild der göttlichen Schöpfung.“ In der Praxis bedeutete dieses Ideal, dass ganz verschiedene Exponate nebeneinander gezeigt wurden, wobei die einzelnen „Abteilungen“ festgelegt waren: Naturalia (beispielsweise Tierpräparate, Mineralien), Scientifica (wissenschaftliche Instrumente), Mirabilia (kuriose Objekte), Artificialia (Kunstwerke) und Exotica (Exponate aus fernen Ländern).

    Wie gut diese Bereiche bestückt waren, hing von den Vorlieben und Möglichkeiten des Eigentümers ab. In fürstlichen Kabinetten glänzte mehr Gold und Silber. „Den Unterschied sieht man sofort“, so Leistenschneider. Wobei man eher „sah“ sagen müsste. Denn nur die wenigsten Kunst- und Wunderkammern blieben bis in die heutige Zeit erhalten, zumeist gingen sie entweder in Museen auf oder wurden zerstreut. Besonders berühmt ist die des habsburgischen Erzherzogs Ferdinand II. in Schloss Ambras bei Innsbruck. Das dort eigens für die Aufnahme der Sammlung errichtete Unterschloss gilt als einer der frühesten Museumsbauten überhaupt.

    Das Weickmannsche Kabinett in Ulm ist ein vorzügliches Beispiel einer bürgerlichen Kunst- und Wunderkammer. Und die kann nun endlich so glänzen, wie sie es verdient hat. Nachdem die etwa 80 erhaltenen Stücke rund 30 Jahre in zwei eher unattraktiven Räumen gezeigt wurden, sind sie nun in einen neuen Raum im Kiechelhaus zu sehen, der selbst ein Renaissance-Juwel ist. Kuratorin Leistenschneider hat zusammen mit dem Gestaltungsbüro Space 4 die Atmosphäre einer historischen Wunderkammer nachgeahmt. Alte Schränke wurden zu Vitrinen umgebaut, in der Mitte des Raums steht, wie einst üblich, ein Tisch mit verschiedenen Objekten.

    Eine überfällige Maßnahme, denn bisher ließ sich leicht übersehen, welche Bedeutung manche Exponate haben. Herausragend sind zwei westafrikanische Gewänder, die als die ältesten erhaltenen Kleidungsstücke aus Subsahara-Afrika gelten – durch ihre Nennung in einem von Weickmann selbst veröffentlichten Sammlungskatalog stammen sie aus der Zeit vor 1659. Auch andere Objekte kommen aus Afrika: Etwa eine Decke aus Raphiapalmbast und eine Kalebasse, also ein Trinkgefäß, die 2015/16 zentrale Stücke einer Kongo-Ausstellung im New Yorker Metropolitan Museum waren. Die „Exotica“ sind die zweifellos wertvollsten Stücke aus Weickmanns Wunderkammer. Anderes erscheint aus heutiger Sicht kurios: etwa zwei Figürchen, gefertigt aus Pflanzensamen und Insektenteilen, oder eine Weltchronik in Form eines Fliegenwedels. „Das waren reine Schaustücke“, erklärt die Kuratorin. „Sie hatten keine Funktion, außer Wundern und Staunen auszulösen.“

    Was sich da heute im Museum Ulm bestaunen und manchmal auch belächeln lässt, ist freilich nur ein Bruchteil dessen, was Weickmann einst zusammentrug – übrigens nicht auf eigenen Reisen, sondern unter anderem aus der Hand von Handelsreisenden wie dem Augsburger Johann Abraham Haintzel, der Mitte des 17. Jahrhunderts im Auftrag der Schwedisch-Afrikanischen Handelskompanie auf dem schwarzen Kontinent unterwegs war. Einst umfasste die Sammlung den beiden Katalogen zufolge etwa 1000 Stücke, darunter sogar „ein ausgedörrter gantzer Mohr ( …), an welchen Haut, Fleisch, Adern, Gebein ( …) noch gantz unversehret seyn“, wie Weickmann in seinem Inventar schreibt. Die Spur der Mumie verliert sich in der Weltkriegszeit. Am deutlichsten ist der Schwund beim einst umfangreichen Bereich der „Naturalia“. So gehörten dem Kaufmann beispielsweise ein Murmeltierskelett, Schlangenhäute und „ein sehr grosser und gantzer Crocodill, 14 Werckschuh lang und 5 Schuh dick“.

    Eva Leistenschneider vom Museum vermutet, dass einige der Objekte der naturkundlichen Sammlung der Stadt einverleibt und später im Schulunterricht als Anschauungsobjekt genutzt wurden. Manches ging dabei wohl kaputt oder wurde von Pennälern stibitzt. Doch die große Zeit der Wunderkammern endete ohnehin im 18. Jahrhundert – die Kuriositätenkabinette genügten nicht mehr den Ansprüchen der aufgeklärten Gelehrten. Denen ging es um Ordnen, Erforschen, Verstehen, nicht mehr um das Staunen über Gottes Schöpfung.

    Für die Zeitgenossen Weickmanns muss der Besuch eines solchen Kabinetts jedoch eine wundersame Erfahrung gewesen sein. Denn natürlich waren diese dafür gedacht, anderen präsentiert zu werden. „Man bezahlte einen kleinen Obolus und Weickmann selbst führte einen durch die Wunderkammer“, sagt Kuratorin Leistenschneider. Darüber erfahren wir aus einem Reisebericht eines Franzosen, der 1664 Ulm besuchte: „Es scheint mir aber, der Mann müsse eben von grossen Mitteln nicht seyn, weil er von denen Geld nimmt, die sein Cabinet besehen wollen, allermassen sowol unser Herzog als die nach uns hineingeführten Herren de Mercy aus Lothringen, ihm etwas geben mussten.“ Weickmann mag die Welt in seiner Kammer vereint haben. Ein Schwabe ist er trotzdem geblieben.

    Ausstellung Parallel zur Eröffnung der neugestalteten Wunderkammer zeigt das Museum Ulm bis 15. Oktober „Erwarten Sie Wunder!“ Zu sehen ist Gegenwartskunst, die sich mit Wundern und Kuriositäten beschäftigt.

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