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100 Jahre Freistaat: Warum Volksmusik so erfolgreich ist wie nie

100 Jahre Freistaat

Warum Volksmusik so erfolgreich ist wie nie

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    Szene vom Drumherum-Festival in Regen (Bayerischer Wald), wo es nicht nur Konzerte gibt, sondern auch teilnehmende Besucher – zuletzt 50.000. 
    Szene vom Drumherum-Festival in Regen (Bayerischer Wald), wo es nicht nur Konzerte gibt, sondern auch teilnehmende Besucher – zuletzt 50.000.  Foto: Michael Lukaschik

    Worauf ist man gefasst, wenn man einen wie Dr. Elmar Walter zu Rate zieht, um über die lange Tradition und den heutigen Zustand der Volksmusik in Bayern zu reden?

    Walter ist beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege zuständig für den Bereich Volksmusik und wird also wohl liefern: eine Hymne auf die Breite und die Tiefe der eigentlichen Volksmusik, die sich in den alpenländischen Gefilden besonders gut erhalten hat – vom Landler bis zum Walzer? Dazu eine entschiedene Abgrenzung zu dem, was spätestens seit dem Naabtal-Duo und deren Hit „Partona Bavariae“ als Volkstümliche Musik großes Publikum findet und von Caroline Reiber bis Florian Silbereisen schon Geschichte hat, mit immer größerer Nähe zum Schlager? Schließlich eine gewisse Sympathie für die sogenannte Neue Volksmusik, die mit Figuren wie Willy Michl, Biermösl Blosn und Haindling begann, und seit einigen Jahren mit Gruppen wie La Brass Banda und Kofelgschroa, ja sogar mit Mundart-Rappern wie dicht&ergreifend ziemlich hip ist?

    Der Schlager bedient Gefühle

    Nun, das alles liefert Dr. Elmar Walter eigentlich nicht. Er sagt zwar, dass der Schlagerbereich für den Schutz und die Pflege der „kulturellen Überlieferung“, der der Landesverein laut Bayerischer Verfassung verpflichtet ist, weniger interessant sei: weil dort meist einfach nur Versatzstücke der Tradition für kommerzielle Unterhaltungsproduktionenen verwendet würden, um Gefühle wie Glaube, Liebe, Hoffnung und Heimat zu bedienen. Und er sagt, dass die Neue Volksmusik schon interessanter sei, weil deren Vertreter nicht selten in den Archiven stöberten, um sich davon inspirieren zu lassen in ihren kreativen Prozessen, die dann zu einer Schöpfung von etwas wirklich Neuem führten. Aber im Grunde will Dr. Elmar Walter von Grenzen gar nichts wissen. Im Gegenteil, er sagt: „Nur wenn die Volksmusik durchlässig und offen bleibt, hat sie Zukunft.“ Und zum Stand der Dinge sagt er: „Der Volksmusik geht es heute so gut wie nie.“ Wovon also spricht der Mann, wenn er von Volksmusik spricht?

    Walter schwärmt von Festivals wie „Drumherum“ in Regen im Bayerischen Wald, bei dem alle Genre-Grenzen zerfließen würden und es vor allem ums Musizieren gehe, nicht ums Konsumieren. Denn ein Charakteristikum der Volksmusik sei, dass sie selbst gemacht werde und im Leben verankert sei. Das kann vom Schlaf- bis zum Totenlied im Privaten reichen, führe aber auch an öffentliche Orte des gemeinsamen Singens. Und die seien heute eben weniger Wirtshäuser, sondern Vereinsheime, auch Fußballstadien. Die FC-Bayern-Hymne „Stern des Südens“ ist demnach Volksmusik. Aber auch das neue geistliche Lied „Danke für diesen guten Morgen“, das enorme Popularität und sich dadurch bereits in verschiedenen Versionen entwickelt habe – noch so ein Charakteristikum. Und so wird auch der Song „Eigenurin“ von der Couplet AG zum Fall für den Bayerischen Landesverein für Heimatpflege.

    Ein Musical-Hit wird zum Standard der Volksmusik

    Wem das nun willkürlich erscheinen und wie ein Verrat an einer Art Traditionskanon erscheinen mag, an Krachlederner, Tuba und Quetschn, dem kann Elmar Walter die hübsche Geschichte des sogenannten „Automobil-Schottisch“ erzählen. Ursprünglich war der ein Musicalhit aus den 1930ern, ist aber längst harmonisch zum Standard auch der geblasenen Volksmusik geworden. Und Salonmusik, die ja eher der Klassik nahestehe, gehöre klassisch ebenfalls zum Bestand der Volksmusik in Bayern. „Sie war noch nie so etwas wie ein geschlossenes Genre.“

    Was aber das konservative Bild von Tracht, Dialekt und Darstellungstanz angeht: Das ist nach dem Experten vor allem ein Klischee, das die Wittelsbacher befördert, der Tourismus schon früh zementiert und die Politik identitätsstiftend instrumentalisiert habe. Darum noch mal der Walter-Satz: „Nur wenn die Volksmusik durchlässig und offen bleibt, hat sie eine Zukunft.“ Ob das so nicht auch für den wieder in Mode gekommenen Begriff der Heimat gelten kann?

    Die Aufmerksamkeit für die Heimat wird zum Schneeballsystem

    Mit dessen Konjunktur hängt jedenfalls der zweite Walter-Satz zusammen: „Der Volksmusik geht es heute so gut wie nie.“ Der Fachmann führt aus: „Die Menschen entdecken diese Heimat wieder – und dass sehr viel dahintersteckt.“ Die gestiegene Aufmerksamkeit dafür in den Medien bestärke den Trend, und gerade auch bei der Jugend pflanze sich die neue Aufmerksamkeit im „Schneeballsystem“ fort. Und die Jugend findet man dann auch beim „Drumherum“ in Regen oder beim „Mittendrin“ in Eichstätt.

    Der Wandel und das Comeback – sie zeigen sich dort auch strukturell. Abhanden gekommen sei, so der Volksmusikexperte, in der multimedialisierten Moderne und den Jahrzehnten, in denen der Heimatbegriff nicht so opportun war, die Selbstverständlichkeit, sich im Alltag zum Musizieren zusammenzufinden. Die jetzt wieder steigende Nachfrage werde von Veranstaltern, Vereinen und Organisationen bedient, von denen es immer mehr gebe. Und die, die sich für Pflege und Vermittlung der Volksmusik einsetzen, bewegten sich heute darum oft „an der oberen Kapazitätsgrenze“. Deshalb ergänzt Elmar Walter seinen zweiten Grundsatz zur Volksmusik noch: „Es gibt eine Szene wie noch nie.“

    Kanonische Grenzen von Klang und Sprache gibt es nicht

    Und nachdem Walter so manches gesagt hat, auf das man nicht gefasst war, dann auch noch dieses: Der für den Bereich Volksmusik beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege Zuständige ist 39 Jahre alt. Und sehr gespannt, was sich in den kommenden Jahrzehnten beim Musizieren in solcher Breite als lebensbegleitend herausstellen wird, welche Varianten sich entwickeln, was zur Tradition wird. Kanonische Grenzen von Klang und Sprache gibt es jedenfalls keine. Es kommt nicht aufs Volk, sondern auf die Menschen an.

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