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Debatte: Widernatürlich? Die Kirche und ihr Verhältnis zur Homosexualität

Debatte

Widernatürlich? Die Kirche und ihr Verhältnis zur Homosexualität

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    Männer in inniger Zuneigung zeigt dieses Flachrelief aus der altägyptischen Nekrople Sakkara.
    Männer in inniger Zuneigung zeigt dieses Flachrelief aus der altägyptischen Nekrople Sakkara. Foto: akg-images

    Der Apostel Paulus fand es schlicht widerlich und widernatürlich, wenn Männer zu Männern und Frauen zu Frauen in Begierde zueinander entbrennen. Schändlich sei diese Leidenschaft, predigte er den Christen in Rom: „Wer so handelt, verdient den Tod.“ Damit zitierte der einst glühende Pharisäer Paulus das 3. Buch Mose, das gleichgeschlechtlichen Verkehr ebenso schroff aburteilt wie den Verkehr mit Tieren, mit Mutter oder Vater oder während der Menstruation. Es sei dem Herrn „ein Gräuel“, sprich der Heiligkeit der in Israels Gottesbund Erwählten nicht würdig.

    Fundamentalistische Christen berufen sich immer noch gern auf die beiden biblischen Stellen, wenn sie homosexuelle Partnerschaften prinzipiell bekämpfen. Als im März Disneys Neuverfilmung des Märchens „Die Schöne und das Biest“ anlief, wetterten wegen einer Szene mit zwei miteinander tanzenden Männern weltweit strenge Sittenwächter. Malaysia ließ den Film gar nicht erst ins Kino, Russland gab ihn erst ab 16 frei. Der konservative Duma-Abgeordnete Witali Molonow schrieb an die Regierung, „dass unter dem Vorwand des Märchens eine offensichtlich und schamlose Sünde gezeigt wird“.

    Das konservativ-christliche Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft plädiert nach wie vor für eine „Reparativtherapie“. Homosexualität, so schreibt die Leiterin Christl Ruth Vonholt, sei „ein Hinweis darauf, dass etwas Tieferliegendes – und zwar die Verunsicherung in Bezug auf die eigene geschlechtliche Identität – heil werden soll“. Denn oft resultiere sie aus unbeantwortet gebliebenen Bedürfnissen des Kindes nach Nähe, Bestätigung, Zuwendung und Ermutigung durch den gleichgeschlechtlichen Elternteil. Ganz in der Nähe solcher Auffassungen bewegte sich der Zwischenbericht der katholischen Bischofssynode 2014 in Rom. „Die große Herausforderung wird darin bestehen, eine Pastoral zu entwickeln, der es gelingt, das rechte Gleichgewicht zwischen der barmherzigen Annahme der Menschen und ihrer schrittweisen Begleitung hin zur authentischen menschlichen und christlichen Reife zu wahren.“

    Der homosexuell empfindende Mensch leidet also an einem Defizit. Er ist im Urteil der Kirche unreif. Dabei konzediert der Katechismus der katholischen Kirche von 1993: „Sie haben diese Veranlagung nicht selbst gewählt.“ Und appelliert, ihnen mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen. Freilich: Gelebte Homosexualität sei „in keinem Fall zu billigen“. Homosexuelle seien zur Keuschheit gerufen und sollten sich durch die Tugenden der Selbstbeherrschung zur inneren Freiheit erziehen. Immerhin erwog die Synode, dass Schwule und Lesben die christliche Gemeinschaft bereichern könnten.

    Für den Bau einer Brücke zwischen der Kirche und den Homosexuellen sprach sich zuletzt der amerikanische Jesuit James Martin, Berater von Papst Franziskus, in seinem Buch „Building a Bridge“ aus. Das beginne damit, Homosexuelle nicht als klinische Fälle zu behandeln, sondern als Individuen wahrzunehmen und ihre Begabungen wertzuschätzen. Dazu passt, dass der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki noch als Berliner Erzbischof sich 2011 mit Schwulen- und Lesbenverbänden traf. Er äußerte dabei seine Achtung davor, wie Partner in gleichgeschlechtlichen Beziehungen füreinander sorgen.

    Hatte er den verstorbenen, ehemaligen Außenminister Guido Westerwelle vor Augen, dessen Partner sich in der Zeit der Krankheit aufopferungsvoll um ihn sorgte? Oder Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit, der 2001 als erster Politiker die Flucht nach vorne antrat mit seinem berühmt gewordenen Ausspruch: „Ich bin schwul und das ist gut so.“

    Trotz legaler Verpartnerung und künftig erlaubter Eheschließung lasten auf homosexuellen Paaren noch gewaltige Vorbehalte. Schwule Männer gelten einerseits als zeugungsunfähige Schlaffis und „Schwuchteln“, andererseits als besonders zügellose Lüstlinge. Schrille Auftritte bei Gay-Pride-Paraden mögen solche Vorurteile verstärkt haben, aber mit der Wirklichkeit dürften sie nur wenig zu tun haben. Viel Unpassendes wird hier zusammengemixt: die Tunte in Frauenkleidern, der extravagante, transsexuelle Transvestit, die schmierige Stricherszene in den Bahnhofsvierteln. Kaum Platz in diesem Horrorkabinett findet dagegen die treue gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft, die ebenso wie ein lang anhaltende Ehe wahrlich noch andere Bezugspunkte hat außer dem Sex – und anstelle davon.

    Der berüchtigte Paragraf 175 und seine Folgen für die Homosexuellen

    In den Untergrund hatte nicht zuletzt die Gesetzgebung die Schwulen gedrängt. Seit 1871 stand die „widernatürliche Unzucht“, wie sie im deutschen Kaiserreich hieß, unter Androhung staatlicher Strafe. Der berüchtigte Paragraf 175 im Strafgesetzbuch war zwar schon 1969 und 1973 liberalisiert worden. Doch erst am 10. März 1994 wurde er in Deutschland endgültig außer Kraft gesetzt. Die Nationalsozialisten weiteten den Tatbestand auf sämtliche unzüchtige Handlungen aus und verhängten bis zu zehn Jahre Zuchthaus oder Konzentrationslager im Zeichen des rosa Winkels.

    Über hundert Jahre lang wurden auf der Grundlage dieses Paragrafen etwa 140000 Männer verurteilt. Erst vor wenigen Tagen, am 22. Juni, wurden tausende verurteilte Homosexuelle gesetzlich rehabilitiert. Die Bundesrepublik wird sie mit 3000 Euro je aufgehobener Verurteilung und 1500 Euro je angefangenem Haftjahr entschädigen. Bundesjustizminister Heiko Maas sprach von einem „späten Akt der Gerechtigkeit“.

    Zu tun bleibt noch genügend. In einer aktuellen Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt sich, dass ablehnende Einstellungen noch weit verbreitet sind. So bezeichnen es 38 Prozent der Befragten als „sehr“ oder „eher unangenehm“, wenn zwei Männer in der Öffentlichkeit ihre Zuneigung zeigen. 18 Prozent halten Homosexualität sogar für „unnatürlich“. Je mehr das Thema Homosexualität ihren privaten Lebensbereich berührt, desto skeptischer äußern sich die Befragten: Relativ wenige, rund 12 Prozent, empfinden es als „sehr“ oder „eher“ unangenehm, wenn Arbeitskollegen homosexuell sind. Hingegen sagen rund 40 Prozent der Befragten, es wäre ihnen „sehr“ oder „eher unangenehm“ zu erfahren, dass die eigene Tochter lesbisch oder der eigene Sohn schwul ist. Und acht von zehn Befragten halten die Aussage, Homosexuelle würden in Deutschland immer noch diskriminiert oder benachteiligt, für „voll und ganz“ oder „eher“ zutreffend.

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