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Ulm/Neu-Ulm: Die Wolken am deutsch-türkischen Himmel werden immer dunkler

Ulm/Neu-Ulm

Die Wolken am deutsch-türkischen Himmel werden immer dunkler

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    Seit dem niedergeschlagenen Putsch im Sommer vergangenen Jahres gegen den türkischen Präsidenten Erdogan ist Hizmet, die Gülen-Bewegung, Staatsfeind Nummer eins. Die Reaktionen der Regierung auf Regimekritiker belasten längst auch das Zusammenleben in Deutschland.
    Seit dem niedergeschlagenen Putsch im Sommer vergangenen Jahres gegen den türkischen Präsidenten Erdogan ist Hizmet, die Gülen-Bewegung, Staatsfeind Nummer eins. Die Reaktionen der Regierung auf Regimekritiker belasten längst auch das Zusammenleben in Deutschland.

    Ulm/Neu-Ulm Die deutsch-türkischen Beziehungen werden dieser Tage auf eine harte Probe gestellt. Auch in Ulm: Am Mittwoch, 22. März, hat sich der Leiter der deutschen Repräsentanz der Gülen-Bewegung („Gesellschaft für Dialog“), Ercan Karakoyun, angekündigt. Im Haus der Begegnung stellt er sein Buch „Die Gülen Bewegung – was sie ist, was sie will“ vor. Ein Vortrag mit Sprengkraft: Denn die Bewegung wird von der türkischen Regierung als Terrororganisation eingestuft, weil der in die USA emigrierte Fethullah Gülen Drahtzieher des niedergeschlagenen Putschversuchs sein soll – was die Gülen-Anhänger von sich weisen. Vor dem Hintergrund der Absage von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker in Deutschland erscheint der Auftritt einigen Lokalpolitikern, als würde Öl ins Feuer gegossen. Der türkischstämmige SPD-Stadtrat und Erdogan-Kritiker Haydar Süslü befürchtet etwa, dass der Vortrag „zur Verschärfung“ einer aufgeheizten Situation beiträgt. Auch der Verfassungsschutz warnte jüngst, die Auseinandersetzungen in der Türkei könnten Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland. Karakoyun, deutscher Staatsbürger, der den türkischen Pass nach eigenen Angaben „ganz bewusst“ vor 15 Jahren niederlegte, spricht gegenüber unserer Zeitung von einer „Hexenjagd“ in der Türkei, die längst auf Deutschland übergegriffen habe. Er selbst habe seitdem „zwei Dutzend“ Morddrohungen gegen sich bei der Polizei angezeigt. Das Referendum in der Türkei, das Erdogans Weg in die Alleinherrschaft ebnen könnte, wolle Karakoyun allerdings – wenn überhaupt – nur am Rande thematisieren. Dennoch rechnet der 1980 in Schwerte geborene, studierte Raumplaner damit, dass sein Vortrag nicht ohne starke Polizeipräsenz ablaufen könne. Das sei bei seinen Veranstaltungen immer so. Schließlich gilt die Gülen-Bewegung in der Türkei als Staatsfeind Nummer eins. Ihre Mitglieder werden mit Ausreiseverboten belegt, entlassen, enteignet oder ins Gefängnis gesteckt. Wie eine Nachfrage beim Ordnungsamt und dem Ulmer Polizeipräsidium ergab, ist die Veranstaltung bei den Behörden nicht angemeldet. Muss sie rein rechtlich auch nicht sein, schließlich handelt es sich, oberflächlich betrachtet, nur um eine Buchvorstellung. „Doch wir nehmen das in den Blick“, sagt Polizeisprecher Wolfgang Jürgens. Die Polizei ist bewusst, dass rund um Ulm Ableger sämtlicher Konfliktparteien agieren, die in der Türkei für gewalttätige Auseinandersetzungen sorgen: Aleviten, Kurden, Erdogan-Fans und Erdogan-Kritiker. Die Union Europäisch-Türkischer Demokraten Ulm/Neu-Ulm (UETD) agiert als Interessenvertretung des türkischen Staatspräsidenten Erdogan und seiner Partei AKP, wie etwa daran zu erkennen ist, dass der Verein auf seiner Facebook-Seite Werbevideos von Regierungsmitgliedern teilt. Die Gülen-Anhänger sind in der „Gesellschaft für Dialog Ulm“ versammelt, die auch als Veranstalter des Karakoyun-Vortrags auftritt. Der Erdogan-Regierung kritisch gegenüber steht auch die – weltliche – Organisation der türkischen Sozialdemokraten in Deutschland. Vorsitzender des Vereins HDB ist SPD-Stadtrat Süslü. Der Ulmer Arzt spricht von einer spürbaren Zuspitzung der Lage in Ulm. Allerdings sei die Stimmung rund hier noch entspannter als in anderen Städten. Als „völlig inakzeptabel“ bezeichnet Süslü die Politik von Erdogan. Zwar sei die türkischstämmige Gemeinschaft rund um Ulm zerrissen wie nie. Doch der Gesprächsfaden mit der – gezwungenermaßen Erdogan-treuen – „Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion“ (Ditib), sei nicht gänzlich abgebrochen. Nach seinen Informationen habe Ditib Ulm als eine von 30 der insgesamt 900 derartigen Vereine in Deutschland, die aus der Türkei vorgeschlagene Einheitssatzung abgelehnt. Ditib geriet, wie berichtet, in die Schlagzeilen, weil offenbar einige Imame in Nordrhein-Westfalen Informationen über Gülen-Anhänger nach Ankara schickten. Israfil Polat, Ditib-Imam und Sprecher des Rats der Religion, wollte sich am Telefon nicht äußern. Sein Kollege, der Ulmer Pfarrer Volker Bleil, weiterer Sprecher des Rats, der sechs Religionsgemeinschaften eine Plattform des Austauschs bietet, sieht keinen Platz für die Austragung innertürkischer Konflikte in Ulm. Die Zusammenarbeit im Rat funktioniere ohne Einschränkung. Religion und Politik müsse getrennt werden. Funktioniert hat das bisher wohl auch, weil eine Zerreißprobe bisher ausgeblieben ist: Die in der Türkei als Terror-Organisationen eingestufte Gülen-Bewegung hat noch keinen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt. Auf das Gemeinsame setzen will Elis Schmeer von der Koordinierungsstelle Internationale Stadt in ihre Arbeit. Denn weder Kurden, Aleviten noch Erdogan- oder Gülen-Anhänger wollten einen Stellvertreter-Krieg ihrer Kinder auf den Schulhöfen der Region.

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