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    Sascha Kirschstein weiß, wie es sich anfühlt, ganz unten zu sein. In seiner Karriere erlebte er zahlreiche Höhen und Tiefen. Jetzt ist er beim Zweitligisten Ingolstadt gelandet.
    Sascha Kirschstein weiß, wie es sich anfühlt, ganz unten zu sein. In seiner Karriere erlebte er zahlreiche Höhen und Tiefen. Jetzt ist er beim Zweitligisten Ingolstadt gelandet.

    Kirschsteins Tattoos haben alle eine tiefere Bedeutung. Seien es die Fußabdrücke seiner Tochter (wird in Kürze zwei Jahre alt) auf dem Bauch. Oder eben die roten Kirschen auf dem Arm. Kirsche wird der knapp zwei Meter große Hüne mit dem kahl geschorenen Kopf von seinen Mitspielern gerufen. Kirsche hieß er schon in Hamburg, wo vor fünf Jahren noch nichts darauf hindeutete, dass Kirschstein eines tages beim Zweitligaaufsteiger FC Ingolstadt lande würde. Damals schien der Torwart zu Höherem berufen. Es folgte eine Karriere, die geprägt ist von Extremen.

    Mit 25 durfte Kirschstein zum ersten Mal in der Bundesliga auflaufen, für den HSV. An diesem 26. November 2005 gewannen die Hanseaten mit 1:0 in Leverkusen, Kirschstein wurde zum besten Spieler der Partie gewählt. Kirschstein war ein Mann mit großer Perspektive. Hamburg qualifizierte sich für die Championsleague. Kirschstein spielte gegen Arsenal London erstmals in der Königsklasse des europäischen Fußballs. Sein Einsatz dauerte allerdings nur zehn Minuten. Dann stürmte Arsenals Robin van Persie allein auf Kirschstein zu. Der Torwart hechtete in Richtung Ball, was van Persie zu einer dramatischen Flugeinlage nutzte. "Ich habe ihn nicht berührt", sagt Kirschstein. Die Fernsehbilder geben ihm Recht. Der Schiedsrichter aber hatte es anders gesehen. Er stellte Kirschstein mit Rot vom Platz und verhängte einen Strafstoß. Der HSV unterlag nach großem Kampf mit 1:2. Trotzdem war Kirschstein ganz oben.

    Der Absturz kam eine Saison später. Hamburg tat sich schwer in der Bundesliga, rutschte bis zur Winterpause auf Rang 18 ab. Im Umfeld des Traditionsclubs herrschte akute Abstiegsangst. In ihm habe der damalige Trainer Thomas Doll einen Sündenbock gefunden, sagt Kirschstein heute. Zunächst zog Doll Ersatzmann Stefan Wächter vor, in der Winterpause holte er Frank Rost als neue Nummer eins. Kirschstein pendelte nur noch zwischen Ersatzbank und Tribüne hin und her. Am Ende einer verkorksten Saison entschloss sich Kirschstein dazu, in die zweite Bundesliga zu gehen. "Ich wollte unbedingt spielen."

    Ausgestattet mit einem gut dotierten Vier-Jahres-Vertrag beim Hamburger SV wurde er zur SpVgg Greuther Fürth ausgeliehen. Zwei Jahre spielte er dort, absolvierte 41 Spiele. Glücklich wurde er aber auch dort nicht, private Probleme kamen hinzu. "Ich hatte eine schwere Phase", sagt Kirschstein im Rückblick.

    Den konventionellen Weg wollte der 1,96 Meter große Torwart-Hüne aber auch in dieser Situation nicht nehmen. Seinen Vertrag in Hamburg abzusitzen kam für den gebürtigen Braunschweiger nicht in Frage. Stattdessen entschied er sich zu einem radikalen Schritt. Er löste seinen Kontrakt beim HSV 2009 auf und wechselte für die Saison 2009/2010 in die Niederungen der zweiten Liga, zu Rot Weiss Ahlen. Dort erst fand er Bestätigung, Anerkennung und die Liebe der Fans. "Außer Kirschstein könnt ihr alle gehen", sang die Fankurve. Kirschstein spielte eine überragende Saison, den Abstieg konnte aber auch er nicht verhindern.

    Bereits in der Winterpause habe Ingolstadt Kontakt zu ihm aufgenommen, sagt Kirschstein. Er lehnte einen sofortigen Wechsel ab. "Ich wollte lieber noch ein halbes Jahr zweite Liga spielen." Fünf Wochen vor Ende der vergangenen Saison unterschrieb er dann aber doch einen Zwei-Jahres-Vertrag beim FCI. Das Konzept habe ihn überzeugt. Dazu kommt, dass sein Vertrag nicht schlecht dotiert sein dürfte. Hinter den Kulissen hofft man bei den Schanzern, dass Kirschstein die neue Identifikationsfigur des bisweilen so blutleer wirkenden Aufsteigers werden könnte. Der 30-Jährige ist einer der selten gewordenen Typen, die anecken, die sich nicht verbiegen lassen. Einer wie Andreas "Zecke" Neuendorf, der nach Berlin zurück gekehrt ist. "Ich bin jemand, der seine Meinung sagt, auch wenn das nicht allen passt", beschreibt sich Kirschstein selbst.

    Auf dem Spielfeld polarisiert er. In den meisten Stadien wird er abgrundtief gehasst, beim TSV 1860 München warf ihm ein Fanatiker ein Feuerzeug an den Kopf. Kirschstein beeindruckt das nicht. Ganz im Gegenteil. Er saugt die Energie dieser aufgeheizten Stimmung in sich auf, "das macht mich nur noch stärker". Kirschstein provoziert die gegnerischen Fans. Putscht die Emotionen hoch. Überschreitet Grenzen.

    Manchmal, wenn er sich zu Hause seine Spiele später noch einmal auf DVD anschaut, frage er sich, wer dieser Typ da im Tor ist. "Ist der denn total bekloppt?" Es sei, als wenn sich ein Schalter umlege, sobald er das Spielfeld betritt. Aus dem gutmütigen Riesen wird ein Berserker. "Ich bin eben ein Zwilling", sagt er mit breitem Grinsen. Ein Mann mit zwei Gesichtern. Ein Mann der Extreme. Einer, auf den sich Ingolstadt freuen darf.

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