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Alltagsgeschichten: 2016: Liebe in den Zeiten des Hasses

Alltagsgeschichten

2016: Liebe in den Zeiten des Hasses

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    Geschichten, die uns berührten: Pinguin Dindim beim Kuscheln mit Lebensretter Joao Pereira de Souza.
    Geschichten, die uns berührten: Pinguin Dindim beim Kuscheln mit Lebensretter Joao Pereira de Souza. Foto: Georg Ismar, dpa

    Am Ende des Tages siegt vielleicht doch das Gute. Klingt naiv? Arglos, treuherzig, unkritisch? Vielleicht. Gerade nach so einem Jahr. Krieg, Terror, Amok, Dramen selbst vor der Haustür. Abschied von Bowie, Prince, Ali, Genscher, Scheel, Götz George.

    Und wo war jetzt das Gute? Oder um es auf die Spitze zu treiben, und ist das Jahresende nicht dafür gemacht?: Wo war 2016 die edelste Form des Guten, die Liebe? Allzu oft weggedrückt in die Randspalten der Aktualität. Oder gleich ganz ignoriert. Dabei hat sie doch immer trotzig den Kopf herausgestreckt aus der Nachrichtenlawine. Hat „Hier bin ich, hier bin ich“ gerufen, in froher Erwartung auf etwas Anerkennung, und lief sie in noch so unscheinbarer Verpackung über den Meldungsticker.

    Zum Glück ist die Liebe hartnäckig. Ihre großen und kleinen Geschichten drängeln im Jahresendputz aus dem Papierberg und betteln um eine Würdigung. Sie treffen mitten ins Herz. Beginnen wir die kleine Reise durch die romantischen Momente des Jahres 2016 bei unseren Freunden aus der Tierwelt. Erstens, weil Tiere immer gehen. Zweitens, weil sie in Liebesdingen im Regelfall eine ehrliche Haut sind – außer vielleicht die falsche Schlange, aber das ist eine andere Geschichte.

    Pinguin Dindim reist jedes Jahr zu seinem Lebensretter

    Da ist also Dindim, der Pinguin. Schwer mitgenommen, ein Bein gebrochen und mit Öl verklebt, strandet er bereits 2011 auf einer brasilianischen Atlantikinsel. Rentner Joao Pereira de Souza, heute 71 Jahre alt, findet den Kleinen und pflegt ihn gesund. Irgendwann verabschiedet sich Dindim, und alles ist gut. Ein Jahr später steht er plötzlich wieder am Bambuszaun vor dem Häuschen seines Retters. Einfach mal auf ein Hallo. Zwölf Monate später wieder, und dann wieder... 2016 im fünften Jahr in Folge.

    Normalerweise lebt das Tier rund 4000 Kilometer weiter südlich in Patagonien, ist also jedes Jahr geschätzte 8000 Kilometer unterwegs. Pinguin-Forscher Klemens Pütz nennt die Rückkehr ungewöhnlich, aber plausibel. Der Ort liege an der Route der Magellan-Pinguine, nach dem Brüten in Patagonien schwimmen sie im Winter oft Tausende Kilometer in den wärmeren Norden bis Brasilien. Und: Es komme immer wieder vor, sagt Pütz, dass sich Pinguine in ihre Retter verlieben. Aber dass sie gleich so treu sind...

    Die Geschichte von Shayne ist zugegeben nicht ganz so rührend-schön, sondern im Grunde ziemlich traurig. Aber am Ende wird’s besser, versprochen. Shayne also, ein australisches Koalababy, wird eines Tages allein am Straßenrand gefunden. Die Mutter ist von einem Auto getötet worden. Shayne saß wohl auf dem Rücken der Mutter, als der Unfall passierte, und wurde ins Gebüsch geschleudert. Mitarbeiter eines Zoos im Bundesstaat Queensland päppeln das Tier auf. Damit es sich im Körbchen nicht so allein fühlt, legen sie ihm einen Plüsch-Koala dazu. Baby Shayne liebt die Ersatzmutter aus der Spielwarenfabrik vom ersten Tag an heiß und innig. Es gehe ihm gut, sagen die Leute vom Zoo. Und versprechen, den Koala eines Tages wieder in die Freiheit zu entlassen.

    Gut, dass Tiergeschichten in 2016 für Entzückung gesorgt haben

    Ach, gäbe es das liebe Vieh nicht. Eine einzige Liebelei. Da ist die in diesen Zeiten doch erstaunliche Liebe zur Politik, die eine Entenfamilie in Stuttgart derart umtreibt, dass sie im Sommer kurzerhand ins Haus der Abgeordneten zieht. Beschäftigte des Landtags waren so nett und haben ihr die Tür geöffnet, später – wie süß – sogar ein Planschbecken für sie aufgebaut. Nix da, sagen die Herren des Parlaments, in unserem hohen Haus wird nicht geschnattert. Mitarbeiter der Wilhelma bringen die politisch frisch gebildeten Enten in den Schlossgarten. Auch kein schlechtes Heim.

    Geschichten, die uns berührten:  Pippi-Langstrumpf-Papagei Douglas mit Zoodirektor Matthias Reinschmidt.
    Geschichten, die uns berührten: Pippi-Langstrumpf-Papagei Douglas mit Zoodirektor Matthias Reinschmidt. Foto: Uli Deck, dpa

    Noch besser ist wahrscheinlich nur Taka-Tuka-Land. Dort beziehungsweise am zugehörigen Filmset hat einst Papagei Douglas (im Film „Rosalinda“) an der Seite von Pippi Langstrumpf seinen großen Auftritt. Weil das Leben auch für einen Pippi-Papagei kein Ponyhof ist, muss er später in einen Zoo im schwedischen Malmö umziehen. Das geht ein paar Jahrzehnte gut, bis der Zoo behauptet, keinen Platz mehr für Douglas zu haben. Ergo: Dem Hellroten Ara, zu dem Zeitpunkt 49 Jahre alt, droht der Papageien-Himmel, zum wiederholten Male schon. Weil in Karlsruhe die Liebe zu den Helden unserer Kindheit besonders ausgeprägt zu sein scheint, erklärt sich der dortige Zoo bereit, Douglas und seine gleichaltrige Mitbewohnerin Gojan aufzunehmen. Gojan stirbt leider kurz darauf. Douglas ist jetzt Witwer. Aber er lebt. Und wird immer leben.

    Nun bleibt die Liebe nicht stehen, sondern häutet und schält sich mit der Zeit, bis am Ende so eine Art Liebe 4.0 herauskommt. Wieder ist die Stuttgarter Wilhelma Schauplatz. Es treffen aufeinander: ein Zoo, der moderne Verkupplungsmethoden pflegt. Und: die Orang-Utan-Damen Sinta und Conny, die sich mangels adäquatem lokalem Männerangebot solchen Methoden gegenüber aufgeschlossen zeigen.

    Orang-Utan Damen testen Video-Dating

    Sinta und Conny testen also Video-Dating. Wen nimmst du, wen nehme ich, hin und her, zack, und schon funkt es. Sinta verguckt sich in Orang-Utan-Mann Gempa aus Belgien, es knistert angeblich auch auf der Gegenseite, und Ende Mai kommt es zum ersten Date. Conny wiederum zieht Mitte Juni in den Hamburger Tierpark Hagenbeck – in ein Liebesnest, in dem schon Männchen Tuan wartet.

    Geschichten, die uns berührten: Orang-Utan-Dame Sinta beim virtuellen Flirten.
    Geschichten, die uns berührten: Orang-Utan-Dame Sinta beim virtuellen Flirten. Foto: Harald Knitter, dpa

    Und was soll man sagen: Die Liebesmüh ist – in einem Fall – nicht vergeblich. Gerade erst meldet die Wilhelma, Sinta sei schwer verknallt und der Schwangerschaftstest liege quasi bereit. Dass Tuan im Hagenbeck Conny ziemlich links liegen lässt, verschweigen wir an dieser Stelle. Nur die Liebe zählt.

    Sie hat ja so viele Gesichter. Freilich: Zwei Seelen in Harmonie vereint, welche andere Konstellation, ob tierisch oder menschlich, entfaltet eine ähnlich himmlische Wirkung? Und doch muss man auch jene Menschen ernst nehmen, deren Zuneigung sich eher aufs Materielle konzentriert. Einer Liebe zu, sagen wir: einem Kreuzworträtsel. Oh ja, auch diese Liebe kann magisch anziehen. Hannelore K., nicht mehr praktizierende Zahnärztin, weil stolze 90 Jahre alt, entdeckt ein solches Kreuzworträtsel im Neuen Museum Nürnberg. Blöd nur, dass dieses Teil einer Collage des Künstlers Arthur Köpcke ist. Und wenn schon am Bildrand die Aufforderung „Insert words“ – Setze Wörter ein – steht, nun bitte, da liegt es doch auf der Hand, dass... Hannelore K. greift zum Kugelschreiber und fängt an, wie man das halt so macht.

    Die 90-Jährige, die im Museum Kreuzworträtsel löste

    Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Der Vorfall ruft sogar die Staatsanwaltschaft auf den Plan, die Kripo ermittelt wegen „gemeinschädlicher Sachbeschädigung“. Und die Seniorin? Eingeschüchtert? Von wegen. Sie geht zum Gegenangriff über. Lässt über ihren Anwalt mitteilen, das Bild habe dank ihr sogar noch an Wert gewonnen. Weil: Sie habe es „im Sinne des Künstlers vervollständigt“. Das Ende vom Lied: Hannelore K. kommt straffrei aus der Nummer heraus, das Verfahren wird eingestellt. Ihre „künstlerische Vervollständigung“ hingegen wird mithilfe spezieller Lösungsmittel entfernt. Rückstandsfrei.

    Unser Liebesheld des Jahres ist ein vierjähriger Bursche aus Leinfelden-Echterdingen nahe Stuttgart. Der liebt das, was alle kleinen Jungs in dem Alter lieben: die Polizei. Eines Tages nötigt er seine Mutter, den Familien-Kleinwagen zu einem Art Einsatzwagen umzurüsten, indem sie auf dem Dach des Fahrzeugs zwei bemalte Joghurtbecher anbringt. Junior setzt Polizeimütze auf, tatütata, Junior glücklich.

    Pflichtbewusst schaltet sich an diesem Punkt ein aufmerksamer Nachbar ein, der – die Situation lässt keine andere Folgerung zu – eine Straftat befürchtet und vorsichtshalber die Polizei ruft, die echte Polizei. Achtung, Gefahr im Verzug! Es droht mindestens: Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen, Paragraf 132a Strafgesetzbuch, Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Also: Einsatz! Das Ergebnis teilen die echten Beamten später mit. Sie schreiben, über den Besuch seiner Idole habe sich der Knirps sehr gefreut.

    Ein Sprung in den Atlantik für die Liebe

    Die Liebe ist besonders erhebend, wenn sie sich versöhnungsartig über einem vorherigen Streit ausbreitet. Urlaubsinsel Madeira. Ein Ehepaar auf Kreuzfahrt bekommt sich in die Wolle. So sehr, dass an eine Fortsetzung der Reise nicht zu denken ist. Am Flughafen Funchal kaufen sie Tickets für den Rückflug in die Heimat. Plötzlich ist er weg. Sie, 65, gerät in Panik. Ist er doch zum Schiff zurück? Ab in den Hafen. Kreuzfahrtschiff hat gerade abgelegt. Sie stürzt sich ins Meer – und schwimmt hinterher. Muss doch irgendwie einzuholen sein, das Ding.

    Die Wahnsinns-Liebestat geht gerade noch gut. Fischer ziehen sie, stark unterkühlt, aus dem Atlantik. Der Ehemann ist natürlich nicht auf dem Schiff. Er hat tatsächlich den Flieger genommen. Wie er später auf die Aktion seiner Frau reagiert? Tja, das wüssten wir auch gerne.

    So ist das: Liebe ohne Kummer ist selten. Deshalb gibt es ja den Liebeskummer. Und der kann laut sein. In Göppingen hören Passanten des nächtens verzweifelte Schreie einer Frau. Sie vermuten eine Straftat. Die herbeigerufene Polizei stößt auf zwei junge Frauen. Die erzählen, dass ihre Freundin geschrien habe, da sich deren Freund an ihrem Geburtstag von ihr getrennt habe. Die 20-Jährige selbst treffen die Beamten nicht an. Hinterher heißt es im Polizeibericht: Der Fall sei geklärt. Besagte Frau sei in einen nahegelegenen Klub weitergezogen. Um sich einen neuen Freund zu angeln.

    Wer weiß, vielleicht wird daraus die große Liebe? Und schon bald läuten die Hochzeitsglocken wie 2016 bei TV-Sternchen Daniela Katzenberger und Musikproduzent Lucas Cordalis. Sie erinnern sich: Jede einzelne Träne live plus Zeitlupe bei RTL II. Oder: Bastian Schweinsteiger und Ana Ivanovic. Mario Gomez und Pelé – also nicht er ihn, sondern jeder seine Braut.

    Ein Hochzeitsantrag für die Geschichtsbücher

    Und: Saskia und Thomas Quast aus Brandenburg. Null prominent, aber in der Kategorie Hochzeitsantrag topp. Er bastelt Schild: „Heirate mich!“ Setzt sich in ihr Auto, mitsamt Tochter Sharon. Plan: Gleich ums Eck ist ein automatischer Blitzer. Bisschen zu doll aufs Gas, Schild schön in die Kamera halten – blitz! Paar Tage später Brief ins Haus, natürlich an sie adressiert. Sie öffnet, große Augen, tränenerfüllte Stimme: Jaaaaaaaaa! Soweit die Theorie.

    Die Praxis: Drei Tage lang, die Ausreden gehen ihm schon aus, kurvt er durch die Straßen. Er zählt schließlich 40 Versuche an mehreren Blitzern. Kein einziges Mal löst das doofe Ding aus. Wenn es einmal soll, dann klappt es nicht.

    Tag vier. Endlich: Tempo 117 auf der Autobahn in der 100er-Zone. Blitz! Alles gut? Nein. Tage vergehen, aber der Brief kommt nicht. Er ruft an, ruft an, ruft an, die müssen sonst was denken. Dann endlich große Augen, tränenerfüllte Stimme: Jaaaaaaaaa! Hochzeit im Sommer. Was denn der Antrag am Ende gekostet habe, will Günther Jauch beim RTL-Jahresrückblick wissen. Sie antwortet: „Kein Punkt, aber eine Menge Geld.“ Nach unserer Rechnung maximal 30 Euro. Verkraftbar für die ewige Liebe.

    Siegt am Ende des Tages also doch das Gute? Nun, zumindest an dieser Stelle. Und zumindest am Ende des Jahres. (mit dpa)

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