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Urteil im Kachelmann-Prozess: Der ewige Verdacht

Urteil im Kachelmann-Prozess

Der ewige Verdacht

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    „Wir sind überzeugt, dass wir die juristisch richtige Entscheidung getroffen haben. Befriedigung empfinden wir dadurch aber nicht.“Der Vorsitzende Richter Michael Seidling
    „Wir sind überzeugt, dass wir die juristisch richtige Entscheidung getroffen haben. Befriedigung empfinden wir dadurch aber nicht.“Der Vorsitzende Richter Michael Seidling

    Jörg Kachelmann blickt ohne eine Regung an die gegenüberliegende Wand. Selbst als donnernder Jubel den Saal 1 des Mannheimer Landgerichts erfüllt, verzieht der Wettermoderator keine Miene. Nur sein Verteidiger Johann Schwenn lächelt selbstbewusst. Aus und vorbei: Freispruch. Welche Last mag von seinen Schultern fallen, was denkt Kachelmann in diesem Moment? Kann er überhaupt klar denken?

    Auf der anderen Seite des Saals steht Sabine W. (Name geändert). Auch sie zeigt nach der Verkündung des Urteils der Fünften Großen Strafkammer keine Regung – vorerst. „Wir sind überzeugt, dass wir die juristisch richtige Entscheidung getroffen haben. Befriedigung empfinden wir dadurch jedoch nicht“, richtet sich der Vorsitzende Richter Michael Seidling in einem persönlichen Wort an den Angeklagten und die Nebenklägerin. Das Gericht entlasse den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht, ein potenzieller Vergewaltiger und eine potenzielle rachsüchtige Lügnerin zu sein. Bei diesen Worten bricht Sabine W. in Tränen aus, kramt ein Taschentuch hervor und putzt sich die Nase. Kachelmann blickt zu ihr – er schaut fast mitleidig.

    Man hätte das Fallen einer Stecknadel hören können

    „Bedenken Sie, wenn Sie künftig über den Fall reden oder berichten, dass Herr Kachelmann möglicherweise die Tat nicht begangen hat“, fährt Seidling fort, „bedenken Sie aber auch umgekehrt, dass Frau W. möglicherweise Opfer einer schweren Straftat war.“ Bei diesen Worten hätte man das Fallen einer Stecknadel hören können.

    „In dubio pro reo – Im Zweifel für den Angeklagten“, so begründen die Mannheimer Richter ihr Urteil. Der Freispruch beruhe nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld Kachelmanns überzeugt sei. Vielmehr bestünden nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Zweifel an der Schuld des Wettermoderators.

    Heftig unter Beschuss der Kammer ist an diesem 44. Prozesstag Kachelmann-Verteidiger Johann Schwenn. Seidling betont, dass bei aller richterlichen Sorgfalt unterschiedliche Sichtweisen zwischen der Kammer und der Verteidigung denkbar seien, dennoch solle dies in einem respektvollen Umgang miteinander ausgetragen werden. „Der Verteidiger ließ dies oft außer Acht“, rügt der Vorsitzende.

    Außerhalb der öffentlichen Verhandlung sei es dagegen „kämpferisch, aber fair“ zugegangen. „Mit dem Wechsel der Verteidigung Ende November hat sich keinerlei Veränderung der Sachlage ergeben“, blickt Seidling zurück.

    Schwenn nimmt die Rüge mit einem Lachen zur Kenntnis, schüttelt immer wieder den Kopf. Später – vor dem Gerichtssaal – wird er seinem Ärger über den Richter freien Lauf lassen. Zwar sei er über den Freispruch zufrieden. „Was wir dann aber hinterher gehört haben, war von einer Erbärmlichkeit, die ihresgleichen in einem Gerichtssaal sucht“, tobt Schwenn. Er unterstellt der Kammer, sie sei den Anforderungen des Falls nicht gewachsen gewesen. Die Staatsanwaltschaft, aber auch Kachelmanns Pflichtverteidigerin Andrea Combé werden dagegen vom Vorsitzenden Richter für den kollegialen Umgang und die sachliche Zusammenarbeit gelobt.

    Der Verteidiger, Internet-Blogs und Medien bekommen von Richter ihr Fett weg

    Neben Schwenn bekommen aber auch die Internet-Blogs und die Medien im Schlusswort des Richters ihr Fett weg. Zwar sei die Meinungsfreiheit ein hohes Gut, aber sie kenne auch Grenzen. „Vorwiegend hinter der Fassade der Anonymität“ seien in den Meinungsforen, Blogs und Kommentaren im Internet die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten, der Nebenklägerin, aber auch die des Gerichts immer wieder mit Füßen getreten worden. Auch angeblich Sachkundige hätten aufgrund von Medienberichten per Ferndiagnose ihre Meinung zum Besten gegeben – und damit alle Klischees bedient. Es sei sogar zu Abstimmungen über die Schuldfrage aufgerufen worden – die Verhandlung verkomme damit zu einem „Event“, kritisiert Seidling. Sowohl Kachelmann als auch W. folgen den Worten mit versteinerter Miene.

    Der häufige Ausschluss der Öffentlichkeit habe die Arbeiten für die Medien zwar erschwert, dies sei aber im Interesse des Angeklagten und der Nebenklägerin geschehen, führte der Vorsitzende Richter weiter aus. „Dies hätte umso mehr Anlass zur Zurückhaltung bei der Berichterstattung sein müssen.“ Bei allem Verständnis für die Medien sollten diese künftig mehr Verständnis für das vorrangige Interesse der Justiz haben.

    Nach fast neunmonatiger Verhandlung erheben sich die Prozessbeteiligten ein letztes Mal. Sabine W. zögert erst, verschwindet dann nach links durch eine Seitentür, Jörg Kachelmann nimmt die rechte Türe. Im Saal 1 des Landgerichts herrscht nicht nur deshalb eine regelrechte Leere.

    Kachelmann-Verteidigerin Andrea Combé freut sich jetzt erst einmal darüber. Auch von ihren Schultern fällt eine Last. „Mir war von Anfang an klar, dass es hier nicht zu einer Verurteilung reichen wird“, sagt die Heidelbergerin.

    Korken knallen

    Im Foyer des Landgerichts knallen dann auch noch Korken. Helga Schulze und ihre Freundinnen stoßen an – „auf den Sieg!“, wie die Frau aus Worms verkündet. Für sie, die den Prozess von Beginn an beobachtet hat, liegen die Dinge klar auf der Hand: Was damals, in der Nacht auf den 9. Februar 2010, in der Schwetzinger Wohnung vor sich ging, geschah ihrer Meinung nach im Einvernehmen. „Die Nebenklägerin wollte halt Frau Kachelmann werden und hat ihn dann aus Hass angezeigt“, vermutet sie.

    Ein Saarländer hatte "all das auch schon durchgemacht"

    Mit besonderer Betroffenheit nimmt ein Paar aus dem Saarland das Urteil auf: „Ich habe all das auch schon durchgemacht“, sagt der Mann. Seine Ex-Frau habe ihn auch der Vergewaltigung beschuldigt – „die konnte wunderbar erzählen“. Der Prozess habe über zwei Jahre gedauert, erst nach 21 Verhandlungstagen kam der Freispruch. Bis dahin habe er viel Geld und viele Freunde verloren, außerdem sei er krank geworden. Auch im Fall Kachelmann habe sich die Nebenklägerin nur rächen wollen. „Wir sind jetzt glücklich und zufrieden“, sagt seine Frau. „Wir freuen uns, wie wir uns damals nach dem Freispruch meines Mannes gefreut haben!“

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