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Krawalle in Ferguson: Ferguson: Szenen einer Nacht

Krawalle in Ferguson

Ferguson: Szenen einer Nacht

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    Brennende Gebäude, Autos und eingeworfene Fenster: So entlädt sich die Wut in Ferguson. Der weiße Polizist Darren Wilson hatte dort im August einen schwarzen Jugendlichen erschossen.
    Brennende Gebäude, Autos und eingeworfene Fenster: So entlädt sich die Wut in Ferguson. Der weiße Polizist Darren Wilson hatte dort im August einen schwarzen Jugendlichen erschossen. Foto: Jewel Samad, afp

    Als die Feuerwehr weiterfährt, sind von dem Einkaufszentrum in Fergusons West Florissant Street nur noch schmauchende Trümmer übrig. Der Löschzug hat es eilig: Es ist halb sieben Uhr morgens; im weiteren Straßenverlauf lodern noch offene Brände. „Ich schäme mich“, sagt Michael J., der seinen vollen Namen nicht nennen will. Der 22-jährige Afroamerikaner schaut fassungslos auf den glimmenden Schutt zu seinen Füßen. „Wir leben doch hier. Die Leute brennen die Einrichtungen nieder, die wir benutzen müssen!“

    Appelle zur Friedfertigkeit nützen nichts

    Michael J. wohnt gleich um die Ecke; er hat die Nacht im Fernsehen verfolgt: Die Nachricht, dass die Jury im Fall des schwarzen Teenagers Michael Brown endlich über den Todesschützen entscheiden würde – der weiße Polizist Darren Wilson hatte den unbewaffneten 18-Jährigen am 6. August erschossen; er machte Notwehr geltend. Die flehenden Appelle zur Friedfertigkeit im Vorfeld vom Gouverneur des Bundesstaates Missouri über diverse Sicherheitsbeamte bis hin zu Präsident Barack Obama.

    In Ferguson bricht das Chaos aus

    Um 20 Uhr (Ortszeit) tritt Bezirksstaatsanwalt Robert McCulloch im nahegelegenen Clayton vor die Kameras und verkündet das Ergebnis dreimonatiger Beratungen: Die Geschworenen sehen nicht genug Anhaltspunkte, um Wilson anzuklagen, weder für Mord noch für Totschlag. Präsident Obama tritt erneut vor die Kameras, um zehn Uhr nachts. Er ruft dazu auf, die enormen Fortschritte im Verhältnis zwischen den Rassen zu sehen. Obama bittet beide Seiten um Zurückhaltung. Aber es nutzt alles nichts: In dieser Nacht versinkt Ferguson in den schlimmsten Krawallen, die die USA seit langem erlebt haben.

    Das Image der Kleinstadt wird von wenigen Nächten des Sommers geprägt, viele der damaligen Randalierer sollen von außerhalb gekommen sein. Seither haben Fergusons Einwohner drei Monate lang friedlich protestiert. Die Kleinstadt sehnt sich verzweifelt nach Normalität; ihre Haupteinkaufsmeile zeugt davon auf verzweifelt hilflose Art: Die South Florissant Street ist im Gegensatz zu ihrer armen Schwester im Westen herausgeputzt, überall sind volkstümliche Adventsveranstaltungen plakatiert. Grüße zum Fest leuchten in bunten Lettern über der Straße.

    Stadt steht in Flammen, Polizei reagiert mit Tränengas

    An diesem Abend aber wird die Glühgirlande schon vor Mitternacht zum grellen Hohn: Erst fliegen darunter Ziegelsteine, dann klirren Scheiben. Supermärkte werden geplündert; Geschäfte und Restaurants angezündet. Die Polizei kontert, zuerst mit Rauch, dann mit Tränengas. Bald stehen sich die Fronten so unversöhnlich gegenüber wie im August.

    Als zwei Polizeiautos brennen, ist klar, dass die Lage außer Kontrolle gerät. Immer wieder sind Schüsse zu hören, offenbar mit scharfer Munition: Ein Polizist wird am Arm getroffen. Weil sie weder Quelle noch Richtung orten können, schließen die Sicherheitskräfte vorsichtshalber die Landebahn des nahegelegenen Flughafens von St. Louis. Mindestens zwölf Häuser stehen in Flammen. Die Beamten nehmen rund 60 Menschen fest, die sie für Plünderer halten.

    Jury findet keine Vorwürfe gegen Darren Wilson

    Die Geschworenen im Fall Ferguson haben an 25 Tagen beraten; sie hörten in 70 Stunden rund 60 Zeugen an. Die 12-köpfige Jury bestand aus neun Weißen und drei Schwarzen, das entspricht der Verteilung in der Bezirksbevölkerung.

    Die Juroren entschieden nach dem Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“. Unabhängig davon untersucht die Bundespolizei FBI, ob Wilson Browns Bürgerrechte verletzt hat. Dieses Verfahren soll weitergehen. Darren Wilson hat sich gestern erstmals zu Wort gemeldet. Er bedauere den Tod des schwarzen Teenagers Michael Brown, würde aber nicht anders handeln, sagte er dem TV-Sender ABC. Er habe im August um sein Leben gefürchtet und nur seinen Job getan.

    Familie von Michael Brown ruft zur Gewaltlosigkeit auf

    Browns Eltern zeigen für das Urteil wenig Verständnis. Unmittelbar nach der Bekanntgabe der Entscheidung bricht Mutter Lesley McSpadden in Tränen aus, ihr Anwalt sagt der USA Today: „Das Rechtssystem hat schon wieder versagt.“ Die Familie ruft allerdings dazu auf, Gewalt zu vermeiden.

    Nicht nur in Missouri kommt es zu Demonstrationen; in weiten Teilen des Landes halten sich die Menschen an friedliche Formen des Protests. Rund um St. Louis aber eskaliert der Zorn. „Ich denke nicht, dass wir nicht ausreichend vorbereitet waren“, erklärt der Chef der Bezirkspolizei, Jon Belmar, in einer Pressekonferenz nachts um halb drei. Auch Jeff Bayton sieht das im Fernsehen, ein weißer, 21-jähriger Student aus dem nahegelegenen Bellefontaine. Er fährt nach Ferguson, um das Unglaubliche mit eigenen Augen zu sehen: „Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht. Ich habe Proteste erwartet, aber doch nicht so etwas! Ich wüsste gern, wie viele von denen wirklich aus Ferguson kommen!“

    Bayton nimmt sich Zeit, besonders lang schaut er den Löscharbeiten an einem ausgebrannten Einkaufszentrum in der West Florissant Street zu. Um kurz nach sechs gesellt sich ein junger Schwarzer zu ihm. „Ich schäme mich“, sagt Michael J. „Ich würde nie zu Gewalt greifen, um ein Argument durchzusetzen.“ Die beiden treffen sich zum ersten Mal, aber sie haben beide von Rassenspannungen in ihrer bisherigen Umgebung wenig bemerkt. Die beiden schauen über die blaulichtflackernde Straße. „Ich hoffe wirklich, es kommt niemand um.“

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