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Christo: Floating Piers von Christo: Am Iseosee ist der Teufel los

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Floating Piers von Christo: Am Iseosee ist der Teufel los

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    Floating Piers von Christo zieht die Menschenmassen an.
    Floating Piers von Christo zieht die Menschenmassen an. Foto: Filippo Venezia, dpa

    Man kann nicht behaupten, dass der Lago d’Iseo gerade seine übliche, familiäre Besinnlichkeit verströmt. Der See liegt ja eigentlich im gemütlichen Schatten zwischen Gardasee und Comer See in Norditalien, wo sich entweder Massen süddeutscher Touristen oder der internationale Jetset im Windschatten von George Clooney sonnen. In diesen Tagen aber hat der Iseosee der Konkurrenz den Rang abgelaufen, weil der durch die Verhüllung des Berliner Reichstags berühmt gewordene Künstler Christo 220000 Plastik-Schwimmwürfel mit Stoff überziehen ließ, auf denen man nun über das Wasser laufen kann. Über eine Länge von drei Kilometern.

    Und in Sulzano, dem sonst so beschaulichen 2000-Einwohner-Dorf, wissen sie seit Samstag nicht, wo ihnen der Kopf steht. „Seit die Bilder weltweit in den Nachrichten sind, ist der Ort von morgens bis abends voll“, sagt Ida Bottanelli in geschliffenem Englisch. Weil die Frau ein Sprachtalent ist, hat der Bürgermeister sie kurzerhand gebeten, die Stimme der Gemeinde und damit des Kunstprojekts zu werden. Also versucht sie nun jedem geduldig zu erklären, wie Sulzano jeden Tag aufs Neue versucht, den Ansturm auf die Floating Piers von Christo rgendwie zu bewältigen.

    Der Ort ist an den Zufahrten abgeriegelt, nach Sonnenaufgang kommt praktisch kein Besucher mehr mit seinem Auto ins Zentrum. Etwa 4000 Parkplätze stehen in der Peripherie zur Verfügung, unzählige Shuttle-Busse bringen die Menschen zu dem leuchtend orangefarbenen Stoffteppich aus deutscher Herstellung.

    Floating Piers von Christo: Veranstalter wirken etwas überfordert

    „Floating Piers“ nennen sich die ebenso bewunderten wie nicht ganz unumstrittenen Stege. Sie ziehen sich vom Rathaus von Sulzano bis hinüber zu den Inseln Monte Isola und Isola di San Paolo und versetzen den See noch bis zum 3. Juli in ein fröhliches, aber teilweise grenzwertiges Delirium. Als der 81 Jahre alte Christo jüngst eine Pressekonferenz zu seinem wundersamen Werk gab, wurde er auf einmal ganz fürsorglich. Christo wies auf seine rote Nase und empfahl den Besuchern dringend, die Sonnencreme nicht zu vergessen. Der helle Stoff reflektiere das Licht extrem, er habe das am eigenen Leib erfahren.

    Auf der Facebook-Seite der Veranstalter wird der Aufruf letzten Mittwoch sogar erweitert: „Heute ist der bisher heißeste Tag. Tragt einen Hut, bringt einen Schirm und Wasser mit!“ Ältere Menschen und Kinder sollten sich erst nach Sonnenuntergang auf die Stege begeben. Das klingt nach Abenteuer bei den Floating Piers von Christo, dem einige nicht gewachsen sind.

    Am Donnerstag, als das Thermometer problemlos die 30-Grad-Marke meistert, müssen immer wieder Touristen ärztlich versorgt werden. Mehrfach durchbricht das Geheul von Rettungswagen die ländliche Ruhe. In den Tagen zuvor ist dies nicht anders gewesen. 400 Mal musste der Notarzt anrücken, um erhitzten Gemütern auf dem Iseosee beizustehen.

    Entsprechend beherrscht ein Gefühl der Anspannung die Veranstalter der Floating Piers von Christo. Hier und da wirken sie überfordert angesichts des Massenansturms. Etwa 55000 Besucher pro Tag, also bisher gut 300000 Menschen, sollen die Pontons erkundet haben, mit zweifellos chaotischen Folgen für die sonst in Geruhsamkeit schwelgende Gegend. Die Veranstalter haben mit halb so viel Zuspruch gerechnet.

    Wie soll das alles funktionieren? „Wir müssen den Besucherstrom kanalisieren“, sagt Ida Bottanelli vielsagend. Wenn die Floating Piers von Christo voll sind – maximal 11000 Menschen auf einmal sind erlaubt –, kommt es vor dem Rathaus zur Blockabfertigung. Dann werden nur noch so viele über das Wasser gelassen wie an Land gehen. Und: „Wir stoppen die Zubringerbusse vor dem Ort oder halten den Zugverkehr an.“

    „Schwarmverhalten“ sagt man gerne, wenn Massen an einen Ort strömen und das wiederum neue Massen anzieht. Das allein erklärt aber nicht den Erfolg des Projekts. Die Szenerie hat ja was, beispielsweise nachts, wenn die schwimmenden Stege im dunklen See leuchten, oder wenn sich in der Dämmerung ihre Konturen aus der Berg- und Seenlandschaft schälen.

    ---Trennung _Floating Piers von Christo bekommt auch Kritik_ Trennung---

    Christo: Floating Piers mit beeindruckenden Dimensionen

    Die Dimensionen der Floating Piers von Christo sind aus der Höhe betrachtet gewaltig. Als die ersten Fotos am Montag in den Zeitungen erscheinen, setzen sich Tausende spontan ins Auto und fahren zum Iseosee. Friedhelm Hummel aus Bruchsal etwa. „Wer weiß, was Christo überhaupt noch macht. In Berlin war ich schon nicht. Als ich die ersten Fotos sah, habe ich gewusst, da muss ich hin“, sagt er. Abends um acht ist der 59-jährige Pensionswirt losgefahren und an diesem Morgen um fünf als einer der Ersten auf dem Pier gewesen. Dafür musste er noch eine hochalpine Etappe einlegen. „Wegen Revisionsarbeiten war der Gotthardtunnel gesperrt, dann stand ich doch tatsächlich um halb zwei auf der Passhöhe.“

    Als um sieben der Frühzug aus Brescia eintrifft und die ersten Besucher ausspuckt, ist Hummel schon wieder auf dem Weg zum Auto. Nachmittags um vier ist er zu Hause angekommen, mailt er später.

    Wettermäßig bildet dieser Tag einen idealen Rahmen. Das beste Licht hat die neuen Gäste begrüßt. Durch die grauen Regenwolken brechen die Sonnenstrahlen durch. Der Schauer bei Tagesanbruch hat die Luft rein gewaschen, die Farben des Teppichs erhalten eine unfassbare Leuchtkraft. Als die Geschwister Bettina und Franz Wimmer aus Traunstein unabhängig voneinander die ersten Fernsehbilder gesehen haben, war beiden sofort klar: Hier müssen wir hin.

    Im Takt des schwimmenden Floating Piers von Christo spazieren die beiden nun mit noch wenig Gleichgesinnten auf Monte Isola zu, deren liebliche Uferpromenade wie auf einer Theaterbühne von der Morgensonne in Szene gesetzt wird. „Mich begeistern Christos Ideen. Der verhüllte Reichstag in Berlin war schon faszinierend, und diese Dimension wollte ich unbedingt erleben“, sagt die Oberbayerin. Nach der morgendlichen Ruhe sitzen sie zwei Stunden später in einem der voll besetzten Cafés und lassen den Menschenstrom vorbeiziehen.

    Das Problem ist hier, erst mal zur Attraktion hinzukommen. Es haben sich schon Szenen zugetragen, wie man sie sonst eher von bierseligen Volksfesten kennt. Überhitzte und überfüllte Zugwaggons, bis zum letzten Platz besetzte Shuttle-Busse, stundenlanges Anstehen. Sogar handfeste Verzweiflung soll sich mancherorts breitgemacht haben. Einige überforderte Busfahrer umfuhren die planmäßigen Haltestellen, weil sie den wartenden und protestierenden Massen entgehen wollten. Im Gegenzug stoppten verzweifelte Touristen die überfüllten Busse auf der Straße und zwangen die Fahrer, sie mitzunehmen.

    Weil ungeduldige Passagiere gewaltsam die Türen öffnen wollten, kam einer der Busse sogar innerhalb der Schranken eines Bahnübergangs zum Stehen, zum Glück ohne Folgen. Dass am Montag eine Passagier-Fähre den Steg leicht gerammt hat, auch dies, ohne Schaden zu verursachen, wirkt da nur wie eine Fußnote.

    Was also tun? Die Organisatoren treten auf die Bremse. Nachts werden die Floating Piers von Christo nun geschlossen, einerseits, weil wegen der vielen Besucher Wartungsarbeiten notwendig sind. Der Stoff nutzt sich schneller ab als erwartet. Andererseits kommt die Straßenreinigung kaum noch mit dem Putzen hinterher, auch der See trägt in Form von Plastikbechern, Kippen und allerlei Flüssigkeiten schon die Spuren der wüsten Party davon.

    Eine Reporterin des Corriere della Sera stellt schockiert bis belustigt fest, gegen Abend verströmten nicht wenige Besucher nach ausgiebigem Alkoholkonsum einen „Atem, der Schwäne töten könnte“. Ins Wasser gefallen ist trotz fehlenden Geländers aber nach offiziellen Angaben noch niemand. 150 Stewards und 30 Rettungsschwimmer passen auf die Partygäste auf.

    Kritik an den Floating Piers von Christo

    Am Sonntag haben die Veranstalter sogar ganz von einem Besuch abgeraten. Valerio Valenti, Polizeipräfekt der nahe gelegenen Stadt Brescia, rief die Besucher dazu auf, nicht an den verbleibenden beiden Wochenenden zu kommen, sondern an Wochentagen. Um dem Andrang Herr zu werden, werden inzwischen zahlreiche Sonderzüge aus Brescia eingesetzt. Längst chartern Kenner Wassertaxis in den Dörfern an der Richtung Bergamo gelegenen Westseite des Sees, um dem Stress in Sulzano und dem Stau am Bahnhof in Brescia zu entgehen.

    Unterdessen werden die kritischen Töne gegen das Projekt lauter. Unbekannte blockierten am Wochenende die Bahnlinie nach Sulzano, indem sie Baumstämme und Äste auf die Gleise legten. Der Protest galt dem italienischen Waffenfabrikanten Franco Beretta, der einen wesentlichen Teil der Projektkosten in Höhe von 15 Millionen Euro beglichen hat und im Namen Christos bei den umliegenden Gemeinden für das Projekt warb. Die San-Paolo-Insel auf dem Iseosee, zu der die Floating Piers von Christo führen, ist im Privatbesitz der Berettas und Sommersitz der Familie. Italiens bekanntester, aber auch umstrittenster Kunsthistoriker Vittorio Sgarbi bezeichnet die Kunstaktion als bierseliges „kapitalistisches Vergnügen“ und „Laufsteg ins Nichts“.

    Und was nicht alles zu sehen ist auf den Stegen. Ein junger Italiener verkleidet sich mit Dornenkrone und weißer Toga als ein auf dem Wasser wandelnder Jesus Christus und verteilt Lutscher. Eine schwangere Frau muss mit einem Sanitätsboot vom Steg ins nächste Krankenhaus gebracht werden, weil sie ihre Wehen bekommen hat. Auch eine Hochzeitsgesellschaft sowie eine Blaskapelle waren schon auf den Stegen unterwegs.

    Christo dürfte das gefallen. Er sagt über die Floating Piers: „Dieses Projekt ist kein Museum, sondern reales Leben mit Sonne, Regen und Wind.“ Über den großen Andrang in den ersten Tagen sei er sehr glücklich. An die vielen Wartenden gerichtet, bittet der Künstler um Geduld. Sein Werk müsse räumlich erfahren werden, das Warten gehöre dazu. Wer es eilig habe, sagt er noch, sollte besser gar nicht erst kommen.

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