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Kommentar: Italien versagt bei der Vorbereitung auf Erdbeben

Kommentar

Italien versagt bei der Vorbereitung auf Erdbeben

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    Rettungskräfte suchen in Amatrice (Provinz Rieti, Italien) in den Trümmern nach Opfern. Beim starken Erdbeben in Mittelitalien am 24. August sind über 250 Menschen gestorben.
    Rettungskräfte suchen in Amatrice (Provinz Rieti, Italien) in den Trümmern nach Opfern. Beim starken Erdbeben in Mittelitalien am 24. August sind über 250 Menschen gestorben. Foto: Maurizio Gambarini/dpa

    In schwierigen Situationen, so lautet ein Gemeinplatz, seien die Italiener zu besonderen Leistungen in der Lage. Auch nach dem verheerenden Erdbeben in Mittelitalien ist wieder vom besonderen Zusammenhalt des Landes in einer Krise die Rede. Tatsächlich sind Aufopferung und Hilfsbereitschaft der Retter eindrucksvoll. Das romantisierende Lob der Stärke in der Krise lenkt aber auch von Versagen ab. Italien wird regelmäßig von Erdbeben heimgesucht, bereitet sich aber nur ungenügend darauf vor. Die Nation lässt sich jedes Mal aufs Neue überrumpeln.

    Die Liste der Erdbeben, bei denen Menschen zu Schaden kamen, ist lang. Italien ist an Erdbeben gewöhnt, durchschnittlich alle fünf Jahre gibt es schwere Erdstöße, die von der geologischen Lage Italiens abhängig sind. Diese Katastrophen-routine hat bisher aber nicht dazu geführt, dass man versucht, die

    verheerenden Effekte eines Erdbebens im Vorhinein abzufedern. Möglichkeiten gäbe es genug. Sie reichen von Kursen zur Erdbebenprävention bis hin zur Sicherung gefährdeter Gebäude. Beides gibt es in Italien viel zu wenig.

    Die verheerende Wirkung der Erdbeben in Italien hat gewiss auch mit der alten Bausubstanz der von Touristen bewunderten mittelalterlichen Altstädte zu tun. Die Schönheit Italiens ist daher auch seine Achillesferse. Doch insbesondere die Politiker in Rom haben es versäumt, nach jahrzehntelangen Erfahrungen von Leid und Zerstörung die Weichen zu stellen. Insofern wirken Bestürzung und Ratlosigkeit nach den Erdbeben wie die Quintessenz eines Versagens auch in anderen Bereichen, in Politik oder Wirtschaft. Italien, so heißt es, findet oft erst in der Not zu sich. Langfristige und weitsichtigere Planung würde dieses Aufbäumen erst gar nicht nötig machen.

    Bürokratie und Korruption verhindern bessere Vorbereitung auf Erdbeben in Italien

    Hingegen bündeln sich politische Kurzatmigkeit, Bürokratie und Korruption oft nach entsprechenden Naturkatastrophen. So ist der Erlass einer wirkungsvollen Erdbeben-Gesetzgebung und ihrer Anwendung auch deshalb bis heute Makulatur, weil die in der Vergangenheit stets wechselnden Regierungen nicht am selben Strang zogen. Auch bei der Sicherung von Schulen hinkt die Exekutive hinterher, trotz einer Erdbeben-Katastrophe mit 27 toten Schulkindern im Jahr 2002 in der Region Molise. Steuererleichterungen zur Renovierung gefährdeter Privat-Gebäude stehen zwar auf dem Papier, im Dickicht der italienischen Bürokratie nimmt sie aber kaum jemand in Anspruch. Schließlich wäre da noch der Appetit skrupelloser Unternehmer und Politiker, die sich etwa nach dem Erdbeben in L’Aquila am Wiederaufbau illegal bereicherten. Der Notstand, so hat man den Eindruck, ist in Italien zum Alltag geworden.

    Überfällig ist eine systematische Sicherung öffentlicher und privater Gebäude in den von Erdbeben bedrohten Gebieten, in denen 24 Millionen Italiener leben. Hätten die Regierungen über die Jahre nicht in fragwürdige und oft unvollendete Infrastrukturprojekte investiert, hätte mit diesem Geld die Erdbebensicherung im ganzen Land verbessert werden können. Doch stattdessen verschlangen Machbarkeitsstudien für eine Brücke über die Meerenge von Messina Millionen, die umstrittene Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Turin und Lyon sogar Milliarden. Roms seit Jahren unvollendete dritte U-Bahn-Linie kostet mit knapp sechs Milliarden Euro inzwischen dreimal so viel wie ursprünglich veranschlagt. Auf Kosten der Steuerzahler wurden teure, aber nie genutzte Strukturen für internationale Gipfel oder Schwimm-Weltmeisterschaften gebaut. Italien hat sich grob verzettelt. Das Erdbeben in Latium und den Marken wäre eine Chance zum Umdenken.

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