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Kommentar: Tatort: Klischee im Kieler Tatort: Die Leute auf dem Land sind nicht dämlich

Kommentar: Tatort

Klischee im Kieler Tatort: Die Leute auf dem Land sind nicht dämlich

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    Der Tatort führte Kommissar Borowski diesmal an die Nordsee.
    Der Tatort führte Kommissar Borowski diesmal an die Nordsee. Foto: Carsten Rehder, dpa

    Es mochte vielleicht auch damit zu tun gehabt haben, dass es schon die 1049. Folge eines Tatorts war, in der Axel Milberg als Kieler Kommissar Klaus Borowski am Sonntagabend ermitteln durfte. Dass mal wieder ein Klischee breit getreten wurde. So breit, dass es nur allzu stereotyp daherkam. Welches Klischee ist gemeint? Das Klischee von der dämlichen Landbevölkerung. Nun, diesmal war es die Bevölkerung der fiktiven nordfriesischen Insel Suunholt. Mal grundsätzlich: Wie oft wird noch in einer deutschen TV-Produktion Landvolk als einfältig, gestrig-religiös, maulfaul, über-misstrauisch, weltfern, übergewichtig und hässlich, schlecht gekleidet und dialektbeschädigt dargestellt? Mit Dreck unter den Fingernägeln, ausgeblichenen Küchenschürzen und roten Äderchen auf den Wangen und der Nase? Man erinnere sich nur an die Darstellung der Allgäuer Bevölkerung in den Kluftinger-Verfilmungen. Über die sich seinerzeit zurecht viele Menschen hier in unserer Region aufgeregt haben.

    Wer auf dem Land lebt oder gelebt hat, weiß, dass natürlich das eine oder andere Klischee real sein kann. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Auf dem Land finden sich unter den Menschen auch ganz feine Eigenschaften: Hilfsbereitschaft, Nachbarschaft im guten Sinne, Gemeinsinn, Unaufgeregtheit, Sinn für das Praktische und Wesentliche, Naturverbundenheit, viel handwerkliches Geschick – und ein Leben im Rhythmus mit den Jahreszeiten.

    Tatort: Viele Drehbuchautoren wohl von großstädtischer Filmwelt geprägt

    Wer aus der Großstadt kommt und im Dorf spazieren geht, wundert sich oft, dass er auf der Straße gegrüßt wird, obwohl man sich nicht kennt. Diebstahl ist auf dem Land viel weniger verbreitet. Wenn man dort mal über Nacht seinen Wagen nicht abschließt, passiert in der Regel nichts. Der Bildungsstand auf dem Land ist auch nicht niedriger als in der Stadt. Und arm sind die Menschen in den meisten ländlichen Regionen (zumindest Westdeutschlands) schon lange nicht mehr. Auf dem Land findet man zudem viele Menschen, die – wenn vielleicht auch nicht bewusst – quasi englisches Understatement pflegen.

    Wissenswertes zum "Tatort"

    Der ARD-"Tatort" ist die langlebigste und erfolgreichste Krimireihe im deutschen Fernsehen.

    DER ERSTE FALL: Der erste "Tatort" war "Taxi nach Leipzig", der am 29. November 1970 lief. Der Hamburger Hauptkommissar Paul Trimmel (Walter Richter) musste einen deutsch-deutschen Mordfall klären. Der 1000. Tatort heißt ebenfalls "Taxi nach Leipzig".

    DIE ERSTE KOMMISSARIN: Als erste Ermittlerin der Reihe schickt der Südwestfunk (SWF) 1978 Kommissarin Marianne Buchmüller (Nicole Heesters) mit "Der Mann auf dem Hochsitz" ins Rennen. Bis 1980 gibt es drei Folgen.

    GIFTSCHRANK: Einige wenige Folgen dürfen nicht wiederholt werden. Sie haben senderintern einen Sperrvermerk. Die Gründe sind verschieden. So spielen bei "Wem Ehre gebührt" verletzte religiöse Gefühle eine Rolle, bei "Krokodilwächter" die große Brutalität im Film.

    DER MISSGLÜCKTESTE "TATORT": Zu den Tiefpunkten der "Tatort"-Reihe zählen Kritiker die Fälle (1996 - 1998) des Berliner Kommissars Ernst Roiter (Winfried Glatzeder). Aus Kostengründen hatten die Folgen eine billig wirkende Optik. Zudem warf man den Filmen vor, zu sexistisch, brutal oder zu wirr zu sein. Die Quoten waren trotzdem passabel.

    DIE MEISTEN ZUSCHAUER: "Rot - rot - tot" sahen am Neujahrstag 1978 mehr als 26 Millionen Menschen. Das entspricht einer Quote von 65 Prozent. In heutiger Zeit wäre das undenkbar.

    DIE MEISTEN TOTEN: Die Folge "Im Schmerz geboren" mit Ulrich Tukur als Felix Murot stellt einen Leichenrekord in der "Tatort"-Geschichte auf. Experten vom "Tatort-Fundus" zählen 51 Leichen.

    DER VORSPANN: 30 Sekunden mit spannender, hastiger Ohrwurmmusik, zwei Augen in Nahaufnahme, das rechte im Fadenkreuz, ein Mann, der abwehrend die Arme hebt, rennende Beine auf nassem Asphalt und ein Fingerabdruck, dessen Linie den Flüchtenden einkreist.

    Woher kommt es dennoch, dass das Klischee der dämlichen Landbevölkerung immer wieder in Fernsehproduktionen transportiert wird? Wahrscheinlich, weil viele Drehbuchautoren und Regisseure intensiv von der großstädtisch geprägten Filmwelt geprägt werden. Selbst dann, wenn sie ursprünglich nicht aus der Stadt kamen.

    Für die Zukunft: Bitte keine solchen Plattitüden mehr im Tatort. Wer davon nicht wegkommt: Ab aufs Land! Und sich dort einmal unvoreingenommen inspirieren lassen.

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