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London: Missbrauchs-Vorwürfe: Glam-Rocker Gary Glitter schuldig gesprochen

London

Missbrauchs-Vorwürfe: Glam-Rocker Gary Glitter schuldig gesprochen

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    Gary Glitter wurde von einem Londoner Gericht des Missbrauchs Minderjähriger sowie der versuchten Vergewaltigung schuldig gesprochen.
    Gary Glitter wurde von einem Londoner Gericht des Missbrauchs Minderjähriger sowie der versuchten Vergewaltigung schuldig gesprochen. Foto: Julian Abram Wainwright/Archiv (dpa)

    Wenn er in seinen silbern-glitzernden Overalls auf der Bühne stand, jubelten ihm tausende von Fans zu. Aber was seine Anhänger damals, in den 70er und 80er Jahren, nicht wussten: Hinter der Bühne lebte der Glam-Rock-Musiker Gary Glitter seine pädophilen Neigungen aus, indem er sich an jungen Mädchen vergriff. Am Donnerstagabend wurde der 70-Jährige nun von einem Londoner Gericht des Missbrauchs Minderjähriger sowie der versuchten Vergewaltigung schuldig gesprochen.

    Als das Urteil verkündet wurde, riss er seine Augenbrauen nach oben und warf Luftküsse zur Galerie, wo die Journalisten ihn beobachteten.

    Zuvor hatten Zeuginnen unter Tränen von ihren Erfahrungen berichtet. Eine Krankenschwester, heute in ihren 40ern, erzählte, wie der Superstar sie damals in seinem Rolls-Royce abholte und zu seinem Anwesen brachte. Die Achtjährige war begeistert. Vom Schwimmbad, vom Pony, von den Süßigkeiten. Doch nachts kam Paul Gadd, so sein bürgerlicher Name, zu ihr ins Bett geschlichen und versuchte, sie zu vergewaltigen.

    "Immunität des Ruhms": Gary Glitter blieb 40 Jahre ohne Strafe

    40 Jahre blieb der Ex-Rocker ohne Strafe, aufgrund einer „Immunität des Ruhms“, wie es der Staatsanwalt nannte. Auch wenn das Strafmaß erst Ende des Monats verkündet wird, vermuten Beobachter, dass er wohl in Haft sterben wird.

    Der schaurige Fall reiht sich ein in jene Missbrauchsskandale, die das Vereinigte Königreich seit Jahren erschüttern. Viele Vergehen liegen lange zurück. Begonnen hat die juristische Aufarbeitung jedoch erst spät im Zuge der Ermittlungen um den mittlerweile verstorbenen Star-Moderator Jimmy Savile, der über Jahrzehnte hunderte Kinder und Erwachsene missbrauchte und sich sogar an Leichen vergangen haben soll.

    Redakteure des britischen Senders BBC sollen bereits kurz nach Saviles Tod von den Anschuldigungen gegen den Entertainer gewusst haben. Die Vertuschungsvorwürfe trafen die BBC bis ins Mark. Anwälte der Savile-Opfer verkündeten, ihre Mandanten gingen davon aus, dass es in den 70er und 80er Jahren bei der BBC einen organisierten Pädophilenring gab.

    Neben weiteren Verurteilungen wurde im vergangenen Jahr auch der ehemalige BBC-Starmoderator Rolf Harris schuldig gesprochen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 84-Jährige, dessen Show in den 70er Jahren bei Millionen von Kindern beliebt war, zwischen 1968 und 1986 mehrere Mädchen und junge Frauen zwischen sieben und 19 Jahren belästigte und vergewaltigte.

    Aufarbeitung zahlreicher Pädophilie-Fälle in Großbritannien begonnen

    Doch die Enthüllungen betrafen nicht nur die Entertainment-Branche. Hinter den altehrwürdigen Mauern von Westminster sollen Parlamentarier Affären mit Jugendlichen gehabt haben, in staatlichen Krankenhäusern des britischen Gesundheitssystems NHS haben Mitarbeiter Leichen geschändet und dann kam wohl der abgründigste Fall ans Licht. Im nordenglischen Rotherham wurden über 16 Jahre mindestens 1400 Kinder Opfer von Sexualstraftätern – vergewaltigt, geschlagen, zur Prostitution gezwungen und versklavt. Interne Berichte über die Situation seien unterdrückt oder ignoriert worden, hieß es in dem veröffentlichten Report. Kinderschutz-Behörden und Polizei hätten versagt, so der Vorwurf.

    Auch wenn in Großbritannien die Suche nach den Gründen für die Skandale begann, eine wirkliche gesellschaftliche Debatte wurde nicht losgetreten. Nur vereinzelt stand die tief verwurzelte Tradition des Klassensystems in der Kritik.

    Der frühere Vorsitzende der Konservativen, Norman Tebbit, sagte im Zusammenhang mit den Anschuldigungen gegen Politiker: „Die meisten gehen wahrscheinlich davon aus, dass man damals das Establishment, das politische System, schützen wollte.“ Das war vielleicht wichtiger, als weiter nachzuforschen. Nun hat die Aufarbeitung begonnen. Für viele Opfer aber kommt sie viel zu spät.

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