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Norwegen: Psychiaterin: Breivik wirkt strukturiert und logisch

Norwegen

Psychiaterin: Breivik wirkt strukturiert und logisch

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    Richter haben Anders Breivik für Schuldfähig befunden. Das war die Voraussetzung für die Verurteilung zur Höchststrafe von 21 Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung.
    Richter haben Anders Breivik für Schuldfähig befunden. Das war die Voraussetzung für die Verurteilung zur Höchststrafe von 21 Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung. Foto: dpa

    Dreizehn Monate nach den Anschlägen in  Norwegen mit 77 Toten ist der Attentäter Anders Behring Breivik zur Höchststrafe von 21 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ein Gericht in Oslo sprach Breivik am Freitag wegen "Terrorakten" für  schuldig und setzte eine anschließende Sicherungsverwahrung fest. Mit dem Urteil befanden die Richter den 33-Jährigen für zurechnungsfähig - wie er es während des Prozesses selbst gefordert  hatte.

    Frage der Schuldfähigkeit Kernfrage im Prozess

    Mit dem Urteil ging ein aufsehenerregender Prozess zu Ende. Im  Zentrum stand die Frage, ob Breivik für zurechnungsfähig erklärt wird und ins Gefängnis muss oder ob das Gericht Unzurechnungsfähigkeit feststellt und ihn in eine Psychiatrie  einweist. Dazu gab es zwei entgegengesetzte Gutachten.

    In einem Rollentausch wurde Breivik analysiert

    In einem seltenen Rollentausch hatte die Verteidigung auf Wunsch  Breiviks das Gericht aufgefordert, bei einer Verurteilung die Schuldfähigkeit festzustellen. Die Staatsanwaltschaft dagegen  wollte den Angeklagten als unzurechnungsfähig eingestuft wissen. Psychiaterin Kjersti Narud sagte der einer Nachrichtenagentur, Breivik habe während seiner Haftzeit einen hohen "Grad an Konstanz"  gezeigt und sei "strukturiert" und "relativ kohärent" (logisch) aufgetreten,  daher sei die Feststellung der Schuldfähigkeit gerechtfertigt. Demgegenüber haben die Richter das rechtspsychologische Gutachten kritisiert, das den norwegischen Massenmörder für unzurechnungsfähig erklärt. Die Experten hätten nicht genug Gewicht auf Breiviks politische Einstellung gelegt, sagte die Vorsitzende Richterin Wenche Elizabeth Arntzen am Freitag. Breiviks Äußerung, er befinde sich im Bürgerkrieg, müsse beispielsweise nicht zwingend als Anzeichen für eine Psychose gewertet werden, sondern könne auch im politischen Kontext gesehen werden. "Das Gericht ist der Meinung, dass der Angeklagte keine Zwangsvorstellungen im klinischen Sinne hatte", sagte Arntze

    Überlebende und Angehörige begrüßen das Urteil

    Überlebende und Angehörige von Opfern der Anschläge begrüßten das  Urteil, Breivik selbst reagierte mit einem Lächeln. Der  Rechtsextremist hatte gestanden, am 22. Juli 2011 bei einem  Bombenanschlag in Oslo und dem anschließenden Massaker im Jugendlager der sozialdemokratischen Arbeiterpartei auf der Insel  Utöya insgesamt 77 Menschen getötet zu haben. Dennoch plädierte er auf Freispruch wegen Notwehr, da er mit seinen "präventiven Angriffen" das norwegische Volk, dessen Kultur und Land vor einer drohenden Islamisierung habe bewahren wollen.

    Frühestens nach zehn Jahren bedingte Haftentlassung

    Da das norwegische Recht keine lebenslange Haft vorsieht, sind 21  Jahre die Höchststrafe. Sollte der Verurteilte anschließend weiter als Gefahr für die Gesellschaft eingestuft werden, könnte er dauerhaft inhaftiert bleiben. Breivik könne frühestens nach zehn Jahren Haft eine bedingte Haftentlassung beantragen, erklärte die  Vorsitzende Richterin Wenche Elizabeth Arntzen.

    Breivik nahm Urteil mit Lächeln auf

    Breivik nahm den Urteilsspruch mit einem Lächeln auf, nachdem er zu Sitzungsbeginn einen rechtsextremen Gruß gezeigt hatte. Später  ließ er durch seinen Anwalt Geir Lippestad mitteilen, dass er nicht  in Berufung gehen wolle, "jetzt, da er als zurechnungsfähig  eingestuft wurde".

    Anders Behring Breivik: Zahlen und Fakten zum Prozess

    Der Prozess dauerte zehn Wochen, insgesamt gab es 43 Gerichtstage.

    Mehr als 100 Zeugen sagten aus, davon rund 40 teils schwer verletzte Jugendliche, die das Massaker auf Utøya überlebt hatten. Allein für ihre Zeugenaussagen waren 16 Tage eingeplant.

    Breivik ist nach Paragraf 147 und 233 des norwegischen Strafgesetzes wegen Terrorismus und vorsätzlichen Mordes angeklagt.

    Rund 800 Journalisten von 170 norwegischen und internationalen Medien verfolgten den Prozessauftakt.

    An einigen Tagen wurde der Prozess von 2000 Menschen live verfolgt - im Osloer Gericht und zahlreichen weiteren Gerichten im ganzen Land. Der Prozessauftakt wurde weltweit im Fernsehen übertragen.

    Im Hauptverhandlungssaal, wo auch das Urteil verkündet wird, ist Platz für 193 Zuhörer - Opfer, Hinterbliebene und Presse.

    Die notwendigen Umbauten am Gericht und die umfassenden Sicherheitsvorkehrungen verschlangen dem norwegischen Rundfunksender NRK zufolge mehr als 13,5 Millionen Euro.

    Die Feststellung seiner Zurechnungsfähigkeit war Breivik immens wichtig, damit seine Ideen, die er auf mehr als 1500  Seiten in einem rassistischen "Manifest" darlegte, nicht als  Wahnvorstellungen eines Geisteskranken abgestempelt werden. Ein  weiterer Anwalt des Attentäters sagte, das Urteil habe Breivik "nicht überrascht".

    Überlebende des Massakers von Utöya meldeten sich nach dem  Urteilsspruch im Kurznachrichtendienst Twitter zu Wort.  "Jaaaaaaaa!!!", twitterte Emma Martinovic. "Vorbei. Punkt", schrieb  Viljar Hanssen, dem Breivik auf Utöya eine Kugel in den Kopf  schoss. "Dieser Mist ist endlich vorbei, jetzt kann das Leben  beginnen", schrieb Ingrid Nymön. Die Mehrheit der Familien der Opfer sowie die Mehrheit der  norwegischen Bevölkerung hatte eine Haftstrafe befürwortet. Eine am  Freitag in der Zeitung "Verdens Gang" veröffentlichte Umfrage  ergab, dass 72 Prozent der Norweger Breivik für ausreichend  zurechnungsfähig halten. (afp)

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