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Detmold: Sie kam im KZ zur Welt: Angela Orosz sagt im Auschwitz-Prozess aus

Detmold

Sie kam im KZ zur Welt: Angela Orosz sagt im Auschwitz-Prozess aus

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    Als Angela Orosz in Auschwitz das Licht der Welt erblickte, wog sie etwa ein Drittel dessen, was ein Neugeborenes normalerweise auf die Waage bringt. Das Konzentrations- und Vernichtungslager überlebte sie nur, weil sie zu schwach zum Schreien war. Babys hatten dort keinerlei Chance. Sie wurden von der SS bei Entdeckung sofort ermordet.

    Heute ist Orosz 71 Jahre alt und wird als Zeugin im Prozess gegen den früheren Auschwitz-Wachmann Reinhold H. aussagen, der sich seit Donnerstag vor dem Landgericht Detmold wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 170.000 Fällen verantworten muss.

    "Weil seit damals so viel Zeit vergangen ist, ist es wichtig, dass die letzten noch verbliebenen Überlebenden das Wort ergreifen", sagte Orosz im kanadischen Montreal, wo sie lebt, der Nachrichtenagentur AFP. "Ich bin wahrscheinlich die jüngste von ihnen, aber für mich ist es eine Pflicht, die Erinnerung am Leben zu halten." Reinhold H. sei Teil jener "Tötungsmaschinerie" gewesen, die in Auschwitz 1,1 Millionen Leben vernichtet habe.

    Orosz ist nach eigenem Wissen eines von nur zwei Babys, die in der Hölle des Todeslagers geboren wurden und überlebten. Ihre schwangere Mutter und ihr Vater waren von den Nazis 1944 aus Ungarn dorthin verschleppt worden und mussten Sklavenarbeit verrichten.

    Während ihr Vater an Erschöpfung starb, blieb die Schwangerschaft ihrer Mutter wegen deren ausgezehrten Zustands unbemerkt. Bei der Befreiung von Auschwitz im Januar 1945 war Orosz gerade einmal einen Monat alt. Auch ihre Mutter überlebte den Holocaust.

    Nach Auschwitz kehrte Orosz erstmals vergangenes Jahr zurück. "Ich zögerte, weil meine Mutter immer zu mir sagte: 'Wenn Du keine Erinnerungen hast, belasse es dabei'. Aber ich habe lange darüber nachgedacht und schließlich habe ich den Mut aufgebracht". Es sei "hart" gewesen, berichtete Orosz. "Aber zugleich wollten ich und andere Überlebende der Welt zeigen, dass wir überlebt haben, dass Hitler nicht gewonnen hat, dass das jüdische Volk stark ist und bleiben wird."

    Kritik an Verfahren gegen rangniedere SS-Angehörige wie H. ließ Orosz nicht gelten. Die Behauptung, diese seien nur Befehlen gefolgt, sei eine Lüge. "Sie wussten, dass Kinder, Männer und Frauen ermordet wurden, sobald sie in Auschwitz ankamen. Sie rochen das brennende Fleisch in den Krematorien. Wenn sie dort waren, waren sie Teil dieses Massenmords."

    Auch dass die Angeklagten in den Prozessen mehr als 90 Jahre alt sind, sei für sie nicht das Problem, betonte Orosz. "Die Verbrechen, die in Auschwitz begangen wurden, sind so unbeschreiblich, dass wir nicht einfach aufhören und sagen können, es sei zu spät dafür."

    Der Terror, den die Nazis entfesselt hätten, müsse in der menschlichen Erinnerung der wachgehalten werden, betonte Orosz. "Es sieht so aus, als sei die Welt sehr vergesslich. Und wenn ich höre, dass Antisemitismus und Extremismus in Europa heute wieder auf dem Vormarsch sind, werde ich wütend. Aber zugleich überzeugt es mich davon, dass diese Prozesse stattfinden müssen." (afp)

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