Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

Indien: Vergewaltigte Frauen: Vergessen, verraten, verstoßen

Indien

Vergewaltigte Frauen: Vergessen, verraten, verstoßen

    • |
    Nach Vergewaltigungen werden in Indien die Verfahren verschleppt, die Opfer werden eingeschüchtert.
    Nach Vergewaltigungen werden in Indien die Verfahren verschleppt, die Opfer werden eingeschüchtert. Foto: Divyakant Solanki (dpa)

    "Das war geistige Folter", sagt die 31-jährige Bhagyalakshmi, die ihr Gesicht nicht zeigen will. Als ihr Mann krank wurde und die Familie verarmte, begann ihr Leid. Mehrere Nachbarn, so erzählt die Synchronsprecherin, hätten vor zwei Jahren ihre Situation ausgenutzt, sie mit Lügengeschichten von daheim fortgelockt und dann der Reihe nach vergewaltigt. Doch als die Frau aus dem südindischen Kerala bei der Polizei Anzeige gegen die Täter erstatten wollte, war die Reaktion der Polizei abweisend.

    "Wie Hunde" habe sie mit ihrem Ehemann vier Tage lang auf der Polizeiwache gesessen und gewartet. Doch damit nicht genug, im Verhör wurden ihr Fragen gestellt wie: "Mit welchem von den Männern hat es am meisten Spaß gemacht?" oder "Welche Größe war die beste?" – "Ich habe mich entschlossen, die Anzeige fallen zu lassen", sagt das Vergewaltigungsopfer.

    Todesstrafe für vier Männer nach Massenvergewaltigung

    Im Dezember 2012 machten die bestialische Vergewaltigung und der Mord an der 23-jährigen Studentin Jyoti Singh in einem Stadtbus in der Hauptstadt Neu-Delhi auch international Schlagzeilen. Ihr Tod sorgte in Indien für wochenlange Straßenproteste. Die Regierung verschärfte als Reaktion darauf das Strafmaß bei Vergewaltigung. Von "Vergewaltigungskultur" und "Vergewaltigungsepidemie" war die Rede.

    Mehr als vier Jahre nach dem Tod der jungen Studentin bestätigte Indiens oberstes Gericht die Todesstrafe für vier Männer wegen Mordes und Massenvergewaltigung. Die Richter nannten das Verbrechen "barbarisch" und "pervers". Der Vater der ermordeten Jyoti Singh gab sich mit dem Urteil zufrieden: "Ich kann heute Nacht ruhig schlafen", kommentierte er die Entscheidung.

    Anwältin Vrinda Grover: "Rechtssystem versagt"

    Doch nicht alle jubeln: "Indien kann seine Vergewaltigungskultur nicht durch das Hängen von Jyoti Singhs Mördern verstecken", kritisierte Ashley Tellis, ein Menschenrechtsaktivist aus Chennai. Er erinnerte an die vielen Verbrechen, die gar nicht erst angezeigt werden: an sexuelle Gewalt gegen Dalit-Frauen, die auf der sozialen Leiter ganz unten stehen, oder an die Frauen aus Nepal, deren Vergewaltigung niemanden kümmere. "Das Rechtssystem versagt immer noch gegenüber den Opfern", sagt auch die bekannte indische Anwältin Vrinda Grover.

    Zwar habe seit 2012 die Zahl der Anzeigen zugenommen, doch die Zahl der Verurteilungen sei gleich geblieben. Laut Polizeistatistik wurden 2015 mehr als 34000 Vergewaltigungen registriert. Die Verurteilungsrate lag jedoch bei unter 30 Prozent. Auch in diesem Jahr kam es bereits zu mehreren Vergewaltigungen. Eine Studentin wurde brutal missbraucht und getötet und erst vor wenigen Wochen wurde eine deutsche Urlauberin vergewaltigt. Die ganze Diskussion um die Todesstrafe für Vergewaltiger lenke nur von den eigentlichen Problemen ab, sagt Grover. "Wir müssen darüber reden, wie die Polizei funktioniert."

    Frauenministerin Maneka Gandhi beschimpft Medien

    Grover ist der Rechtsbeistand für eine Gruppe muslimischer Frauen, die während der Unruhen im September 2013 in Muzaffarnagar, im Bundesstaat Uttar Pradesh, massenvergewaltigt wurden. Das Verfahren werde systematisch verschleppt, die Opfer würden eingeschüchtert. "Das Ganze geht so lang, bis die Frau sagen müssen: Ich bin von einer Gruppe von Männern vergewaltigt worden, aber ich kann die Täter nicht identifizieren", sagt Grover. Inzwischen sei nur noch eine Frau überhaupt bereit, Aussagen vor Gericht zu machen.

    Immer noch suchen viele in Indien die Schuld lieber bei den Opfern als bei den Tätern: Einer der Mörder von Jyoti Singh sagte im Prozess, die junge Frau könnte heute noch leben, wenn sie sich nicht gewehrt hätte. Außerdem hätten "ehrenwerte Frauen" nachts nichts auf der Straße zu suchen. Und Indiens Frauenministerin Maneka Gandhi beschimpfte kürzlich die Medien, das Problem künstlich aufzubauschen. Indien sei eines der vier Länder der Welt mit den wenigsten Vergewaltigungen. Schweden hingegen habe mehr als 30 Mal so viele.

    "Wir haben null Toleranz bei Vergewaltigungen, und unsere Zeitungen schreiben jeden Tag darüber", sagte Gandhi. Darauf hingewiesen, dass im Gegensatz zu Schweden in Indien die Vergewaltigung in der Ehe keine Straftat darstelle, ließ die Ministerin nur wissen, dass westliche Werte nicht ohne Weiteres auf Indien übertragbar seien.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden