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Germanwings-Absturz: Bewegende Trauerfeier im Kölner Dom: "Trockne unsere Tränen"

Germanwings-Absturz

Bewegende Trauerfeier im Kölner Dom: "Trockne unsere Tränen"

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    Sarah (links) liest als Sprecherin der Hinterbliebenen eine Fürbitte für die Opfer des Germanwings-Abstruzes vor.
    Sarah (links) liest als Sprecherin der Hinterbliebenen eine Fürbitte für die Opfer des Germanwings-Abstruzes vor. Foto: Oliver Berg, dpa

    Ihr Name ist Sarah. Die junge Frau bleibt an diesem Tag die einzige, die aus dem streng abgeschirmten Kreis der Angehörigen heraustritt, an das Pult des Kölner Doms geht und ihre Fürbitte vorträgt: „Herr, ich bitte dich: Trockne unsere Tränen, stärke die schönen Erinnerungen und schenke uns allen neuen Lebensmut.“ Die letzten Worte werden von Tränen verschluckt. Eine Notfallseelsorgerin hat sie in den Altarraum begleitet. Nun stützt sie die junge Frau, die beim Absturz vom Germanwings-Flug 4U9525 am 24. März ihre Schwester verloren hat.

    Vor dem Altar brennen 150 Kerzen

    Freitagmittag in Köln. 24 Tage nach der Flugzeug-Katastrophe in den französischen Alpen finden ein ökumenischer Gottesdienst und der offizielle Gedenkakt statt – in dieser weltweit bekannten gotischen Kathedrale am Rhein, die schon so viele Trauerfeiern erlebt hat. Aber dieses Mal ist alles anders. Es gibt niemanden zu würdigen und nichts zu loben. „Wo warst du, Gott?“, wagt selbst der Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki zu Beginn der Feier zu fragen, indem er einen Psalm zitiert. „Wir schreien um Hilfe“, ergänzt Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen. „Unbegreifliches ist geschehen. Und Unbegreifliches wurde getan.“

    Auf den Stufen brennen 150 Kerzen – nicht nur 149 für jeden getöteten Passagier und die Crew, sondern auch eine für den Co-Piloten Andreas Lubitz, der den Airbus nach bisherigen Erkenntnissen bewusst zum Absturz brachte. „Es sind 150 Todesopfer“, hatte sich Woelki im Vorfeld der Feier gegen Vorwürfe verteidigt, die Einbeziehung des „Täters“ könne die Hinterbliebenen der Opfer beleidigen. Die Eltern des Co-Piloten hatte man ebenfalls eingeladen. Es heißt, sie seien nicht nach Köln gekommen.

    „Viele Tränen wurden geweint, seit es dunkel geworden ist – erst in einem Herzen, dann in den Herzen so vieler anderer“, sagt Kurschus in ihrer Ansprache. Viele Tränen der Freude, der Rührung, der Liebe blieben nun ungeweint. Nie sei Mitmenschlichkeit notwendiger als jetzt. „Familien, Häuser und Nachbarschaften, Schulen, Dörfer und Städte, ein ganzes Land, ja mehr als nur ein Land, rücken zusammen im Aushalten-Wollen und im Begreifen-Wollen.“

    Angela Merkel und Joachim Gauck unter den Gästen

    Der Kölner Kardinal, der – gerade mal ein halbes Jahr im Amt – noch am Morgen in einem Rundfunk-Interview bekannte, er „zittere auch ein wenig davor, das richtige Wort in diesem Augenblick zu finden“, bekennt dann: „Wir sind versteinert vor Schmerz.“ Aber als Christ glaube er an das ewige Leben. „Wir glauben, dass diese 150 Menschen nicht verschwunden und ins Nichts gegangen sind, als sie aus der Welt schieden.“

    1400 Gäste sind gekommen, um dies zu hören. Bundespräsident Joachim Gauck, Kanzlerin Angela Merkel, NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, große Teile des Bundes- und Landeskabinetts, Minister aus Spanien und Frankreich, Vertreter der Notfallseelsorger, der Helfer, der Polizei – und auch von Germanwings und dem Lufthansa-Mutterkonzern, obwohl deren Angehörige gleich nebenan in „Kölns guter Stube“, dem Gürzenich, eine eigene Trauerfeier abhalten.

    Und: Es sind etwa 500 Angehörige von Opfern da, heißt es offiziell. Genau weiß das niemand, soll wohl auch niemand wissen. Diejenigen, die der Einladung gefolgt sind (Lufthansa hatte sich nach einem Streit im Vorfeld bereit erklärt, fünf Angehörige je Opfer nach Köln einzuladen), werden mit Bussen zur Kirche gefahren – mit verdunkelten Scheiben. Sie sollen in Ruhe gelassen werden. Selbst das Fernsehen zeigt nur die ersten Reihen der Politiker und wechselt immer wieder zu den Heiligenfiguren der Kathedrale.

    Die Betroffenen bekommen eine Stadt zu sehen, die zwar für ihren rheinischen Frohsinn bekannt ist, aber an diesem Tag ungewöhnlich still bleibt. Eine Minute vor Beginn der Feier um zwölf Uhr lassen die örtlichen Verkehrsbetriebe alle Straßenbahn- und Buslinien für eine Gedenkminute anhalten. Die bunten Werbetafeln rund um den Dom sind in der Nacht zuvor gegen schlichte schwarz-weiße Plakate mit der Flugnummer 4U9525 ausgetauscht worden. Baustellen, sonst eine typische und ständige Begleiterscheinung des gotischen Bauwerks, hat man geräumt, Fahnen wehen auf halbmast.

    Viele Kölner verfolgen die Zeremonie auf Leinwänden

    Tödliche Abstürze mit deutschen Opfern

    11. Januar 1959: Eine Lockheed Super Constellation (Flug LH 502) aus Hamburg stürzt beim Landeanflug auf den Flughafen Rio de Janeiro/Galeão ab. 36 der 39 Flugzeuginsassen sterben.

    28. Januar 1966: Eine Convair CV 440 Metropolitan der Lufthansa (Flug LH 005) stürzt nach einem Durchstartmanöver hinter der Startbahn des Flughafens Bremen ab. Alle Insassen – 42 Passagiere und vier Besatzungsmitglieder – kommen ums Leben.

    3. Dezember 1972: Während des Starts auf dem Flughafen Santa Cruz auf Teneriffa stürzt ein Convair-Charterjet der spanischen Fluggesellschaft Spantax mit deutschen Touristen an Bord ab. 144 Bundesbürger kommen ums Leben.

    20. November 1974: Eine Boeing 747 der Lufthansa (Flug LH 540) stürzt kurz nach dem Start in Nairobi ab. Von den 157 Insassen kommen 59 ums Leben. Der Jumbo war nur halb besetzt gewesen.

    10. September 1976: Bei Zagreb in Kroatien stoßen eine DC-9 der jugoslawischen Linie Inex und eine Trident der British Airways im Flug zusammen. 107 deutsche Urlauber an Bord der jugoslawischen Chartergesellschaft sterben.

    2. Januar 1988: Eine Boeing 737-200 der Condor (Flug 3782) kollidiert beim Anflug auf den Flughafen Izmir mit einem Berg. Keiner der elf Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder an Bord überleben.

    6. Februar 1996. Eine hauptsächlich mit Reisenden des deutschen Anbieters Öger Tours besetzte Boeing 757 der türkischen Airline Birgenair stürzt nach dem Start in Puerto Plata in der Dominikanischen Republik ins Meer. Von den 189 Toten an Bord stammen 165 aus Deutschland.

    25. Juli 2000: Eine von einer Kreuzfahrtreederei aus Deutschland gecharterte Concorde der Fluggesellschaft Air France stürzt nach dem Start in Paris ab. An Bord sind 113 Menschen, darunter 97 Deutsche. Alle sterben.

    2. Juli 2002: Über Überlingen am Bodensee stoßen eine russische Tupolew einer baschkirischen Fluggesellschaft und ein Frachtflugzeug des deutschen Logistikkonzerns DHL in der Luft zusammen. 71 Menschen kommen uns Leben.

    6. November 2002: Eine Fokker der Gesellschaft Luxair verunglückt beim Anflug auf den Flughafen Luxemburg und stürzt auf ein Feld. Unter den 20 Toten sind 15 Deutsche.

    1. Juni 2009: Über dem Südatlantik stürzt ein Airbus der französischen Fluglinie Air France auf dem Flug von Rio de Janeiro nach Paris ab. An Bord sind 28 Deutsche.

    24. März 2015: In Südfrankreich stürzt ein Airbus A320 der Germanwings ab. 150 Menschen sterben. Den Ermittlungen zufolge hatte der Copilot den Absturz bewusst herbeigeführt. (AZ/afp)

    Tausende Kölner stehen draußen vor dem Wahrzeichen ihrer Stadt, sie verfolgen die Zeremonie auf Großleinwänden und in einem benachbarten Gotteshaus. „Ich saß selbst in einem Flieger, als das Unglück passierte“, erzählt eine ältere Frau. „Ich war total geschockt, ich habe eh solche Flugangst.“ Hans-Dieter Trogisch ist aus Duisburg angereist. Eines der Todesopfer stammte aus der Nachbarschaft. „Ich kannte sie nicht, aber es ging mir so nahe“, sagt er. Als drinnen im Dom ein Ensemble des Gymnasiums Haltern, das 16 Schüler und zwei Lehrerinnen verloren hat, die Titelmusik aus dem Film „Schindlers Liste“ von John Williams anstimmt, weinen die Menschen.

    „Seit diesem Tag ist für die Angehörigen nichts mehr, wie es war“, fasst Bundespräsident Gauck drinnen die Empfindungen zusammen. „Wir stehen nebeneinander, das soll Ihnen auch in dieser schweren Stunde zeigen: Wir sind verbunden.“ Aber Gauck ist es auch, der der Wut über den Absturz Ausdruck gibt: „Dieser eine hat die vielen mit in den Tod gerissen, weil er selbst aus dem Leben scheiden wollte.“ Dieses Wissen habe die „Trauer in Wut und Zorn umschlagen“ lassen.

    Der Präsident sagt dann noch: „Es gibt kein vollkommen kontrolliertes Leben. Wir spüren plötzlich, es hätte jeden von uns treffen können.“ Niemand könne wissen, wie es „in der Seele des Co-Piloten ausgesehen“ habe. Aber auch dessen Angehörige „haben einen Menschen verloren, den sie liebten“. Und so erinnert das Staatsoberhaupt an dieser Stelle Zugführer, Busfahrer und Piloten an ihre große Verantwortung und wirbt fast schon dafür, sich auch wieder jenen zu überlassen, die „alles tun, um das in sie gesetzte Vertrauen durch Regeln, Überprüfungen und Vorsichtsmaßnahmen zu rechtfertigen“.

    Lufthansa-Chef Carsten Spohr, selbst ein erfahrener Airbus-Pilot, sitzt in der zweiten Reihe und dürfte ahnen, was dieser Appell Gaucks für sich und sein Unternehmen bedeutet. Dass bei der Feier auch Angehörige seines Hauses anwesend sind, weiß man. Aber Lufthansa hat denen, die gekommen sind, untersagt, die offizielle Dienstuniform zu tragen. Man ist erkennbar bemüht, die Trauer der Angehörigen nicht zu stören. Für ihre eigenen Mitarbeiter hat die größte deutsche Fluggesellschaft deshalb auch eine Alternative organisiert. Rund 1800 Firmenangehörige verfolgen den Gedenkgottesdienst in der Wartungshalle des Super-Airbus A380 am Frankfurter Flughafen. Rund um die Welt habe es große Anteilnahme an weiteren Standorten gegeben, heißt es. In vielen Tageszeitungen ließ die Lufthansa schlichte Anzeigen veröffentlichen, die nur den Satz „Wir werden sie nie vergessen“ tragen.

    Die Trauer hört nie auf

    „Angesichts des unglaublichen Schmerzes, der hier zum Ausdruck gekommen ist, kann man nur noch wenig sagen“, sagt der französische Verkehrsminister Alain Vidalies als letzter Redner. „Aber man kann Zeugnis ablegen von der europäischen Solidarität, die sich hier zeigt.“ Dann ist alles vorbei.

    Als die Trauernden den Dom verlassen, halten sie einen kleinen Holzengel in der Hand, der ihnen von Notfallseelsorgern überreicht wurde. Es sind Schnitzereien, die in einer Behindertenwerkstatt im russischen Pskow gefertigt wurden, ein Versöhnungsprojekt der „Initiative Pskow“ der Evangelischen Kirche im Rheinland. „Sie sollen dazu ermutigen, trotz aller Trauer nach Quellen der Kraft und Bestärkung zu suchen“, sagt einer der Helfer, von denen viele an diesem Tag im Einsatz sind, weil viele Angehörige auch 24 Tage nach der Katastrophe noch keinen Halt gefunden haben.

    So sind es auch viele Hände, die sich nun hilfesuchend und fast schon flehentlich an den kleinen Symbolen festhalten. Damit die Trauer, wie es Kardinal Woelki in seiner Predigt ausgedrückt hat, „irgendwann erträglich wird – auch wenn sie nie aufhört“.

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