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Studie: Der hausgemachte Stau beim Asyl

Studie

Der hausgemachte Stau beim Asyl

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    Asylantragsteller warten im Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin. Dort befindet sich ihr erster Anlaufpunkt, um einen Asylantrag zu stellen. Die aktuelle Bertelsmann-Studie sieht erhebliche Versäumnisse im Umgang mit Flüchtlingen.
    Asylantragsteller warten im Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin. Dort befindet sich ihr erster Anlaufpunkt, um einen Asylantrag zu stellen. Die aktuelle Bertelsmann-Studie sieht erhebliche Versäumnisse im Umgang mit Flüchtlingen. Foto: Britta Pedersen, dpa

    Nirgendwo in der EU dauern Asylverfahren länger als in Deutschland. Im Vergleich der Mitgliedsstaaten ist die Bundesrepublik Schlusslicht bei der Bearbeitung von Asylanträgen. Und ein Großteil der Probleme ist hausgemacht und selbst verschuldet. Zu diesem Ergebnis kommt die Bertelsmann-Stiftung in einer aktuellen Studie, die am Dienstag veröffentlicht wurde. „Deutschland hat sich selbst Probleme im Asylverfahren geschaffen“, schreibt der Autor der 47-seitigen Untersuchung, Dietrich Thränhardt, emeritierter Professor für Migrationsforschung an der Universität Münster.

    Durch die Verschleppung der Bearbeitung der Asylanträge sei ein regelrechter Antragstau entstanden mit der Folge, dass die Zahl der unerledigten Verfahren immer größer werde. Zudem habe die Politik viel zu lange an ihrem „Abwehrregime für Asylbewerber“ und einem „Abschreckungskonzept“ festgehalten, statt sich um die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft zu kümmern.

    Ende Dezember vergangenen Jahres warteten 221195 Asylbewerber auf eine endgültige Entscheidung über ihren Antrag auf Asyl in Deutschland, zwei Monate später, Ende Februar, waren es nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat bereits zehn Prozent mehr. Im Durchschnitt mussten die Antragsteller 7,1 Monate auf eine Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) warten.

    Antragsstau in den europäischen Staaten

    Allerdings gab es gravierende Unterschiede: So betrug die Wartezeit für Flüchtlinge aus Afghanistan im Durchschnitt 16,5 und aus Pakistan sogar 17,6 Monate. Einen ähnlichen Antragstau gibt es in unter den europäischen Staaten, die viele Flüchtlinge aufnehmen, nur in Großbritannien. Dagegen ist in Dänemark und Schweden, wo mehr Asylanträge pro Einwohner als in Deutschland gestellt werden, die Anzahl der unbearbeiteten Anträge deutlich geringer. Schuld daran sei das Bundesinnenministerium, so die Bertelsmann-Stiftung, weil es in den Jahren mit niedrigen Antragszahlen Personal im BAMF abbaute, doch als ab 2010 die Zahlen wieder stiegen, habe man es versäumt, „ausreichend Neueinstellungen vorzunehmen“. Seit dem Jahr 2008 wurden Jahr für Jahr weniger Anträge bearbeitet, als Neueinträge eingegangen seien. Zudem gehe aus dem „hohen Prozentsatz der korrigierenden Entscheidungen der Gerichte“ hervor, „dass bei den Entscheidungen des BAMF beträchtliche Qualitätsmängel bestehen“. So wurden 2013 rund 13 Prozent aller Entscheidungen durch Gerichte korrigiert, bei Flüchtlingen aus dem Iran waren 39,1 Prozent der Klagen erfolgreich, bei Afghanen gar 43,3 Prozent.

    "Extreme Belastung für die Flüchtlinge"

    Der Antragstau und die überlange Bearbeitungszeit stellten eine „extreme Belastung für Flüchtlinge“ dar und verhinderten deren Integration. „Ihre Initiative wird jahrelang stillgelegt.“ Daher plädiert die Bertelsmann-Stiftung dafür, dass Asylbewerber noch schneller und gezielter gefördert werden. Schon während der Wartezeit sollten Asylbewerber an verpflichtenden Deutschkursen teilnehmen, was bislang nur in fünf Ländern möglich ist, in Bayern, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Zudem sollte man schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt den Ausbildungsstand, die Arbeitserfahrungen und die Berufsperspektiven der Flüchtlinge erfassen. Derzeit führe die willkürliche Verteilung über das Bundesgebiet dazu, „dass sich Flüchtlinge in Kommunen und Regionen aufhalten, in denen ihre Fähigkeiten nicht eingesetzt werden können“. Dies verhindere die berufliche Integration, „weil der Arbeitsmarkt in Städten mit hoher Arbeitslosigkeit wie Berlin oder Gelsenkirchen wenig aufnahmefähig ist“.

    Ausdrücklich begrüßt die Bertelsmann-Stiftung, dass die Residenzpflicht wie das Arbeitsverbot vor kurzem auf drei Monate reduziert wurden, gleichwohl gebe es noch immer Hindernisse für eine rasche Integration wie die Nachrangigkeitsprüfung bei der Arbeitsaufnahme in den ersten 15 Monaten. „Dieses Hindernis sollte beseitigt werden, ebenso sollte die Zeit des Aufenthaltes in den Gemeinschaftsunterkünften generell auf höchstens drei Monate reduziert werden, damit die Flüchtlinge in Kontakt mit der Gesellschaft kommen können.“ Nötig sei es, so das Fazit, einen Rahmen zu schaffen, „in dem Flüchtlinge aktiv werden und ihre eigene Zukunft gestalten können, statt ihre Energie auf die Überwindung von Mauern, die Finanzierung von Schleppern und die Auseinandersetzung mit Behörden und einschränkenden Gesetzen richten zu müssen“.

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