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Griechenland: Die Griechen wollen den Wechsel - aber der Euro soll bleiben

Griechenland

Die Griechen wollen den Wechsel - aber der Euro soll bleiben

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    Der Politikwissenschaftler Christos Katsioulis  befürchtet keinen Bruch Griechenlands mit der EU nach den Neuwahlen am Sonntag.
    Der Politikwissenschaftler Christos Katsioulis befürchtet keinen Bruch Griechenlands mit der EU nach den Neuwahlen am Sonntag. Foto: Orestis Panagiotou/Archiv (dpa)

    Herr Katsioulis, wie ist denn die Stimmung in Griechenland mit Blick auf die Parlamentswahl am Sonntag? Pessimistisch, optimistisch? Wechselstimmung: ja oder nein?

    Katsioulis: Die Stimmung ist angespannt. Aber es gibt eindeutig eine Wechselstimmung. Die Mehrheit der Griechen hat sich darauf eingestellt, dass die Linkspartei Syriza die Wahl gewinnt und Griechenland mit Alexis Tsipras einen neuen Premierminister erhält.

    Kann man von einer Schicksalswahl für Griechenland und für Europa sprechen?

    Katsioulis: Anfang des Monats hat man das noch so diskutiert. Aber inzwischen schrauben alle die Rhetorik herunter. Es geht nicht um eine Schicksals-, sondern um eine politische Richtungswahl.

    Koalition nach Wahl in Griechenland nicht unwahrscheinlich

    Wird Alexis Tsipras voraussichtlich alleine regieren können oder wird er einen Koalitionspartner brauchen?

    Katsioulis: Im Moment sieht es so aus, dass Syriza mit einem Vorsprung von vier bis fünf Prozentpunkten stärkste Partei wird. Aber eine Koalition ist nicht unwahrscheinlich, sei es, weil Syriza einige Stimmen zur absoluten Mehrheit fehlen, sei es, weil Tsipras Unterstützung braucht, um seine Vorhaben auch gegen Abweichler im eigenen Lager durchzusetzen.

    Wird Griechenland im Falle eines Wahlsiegs von Tsipras Knall auf Fall aufhören, seine Schulden zurückzuzahlen?

    Katsioulis: Davon gehe ich nicht aus. Voraussichtlich wird die neue Regierung versuchen, in Verhandlungen Veränderungen zu erreichen.

    Tritt Tsipras nur im Wahlkampf so radikal auf? Wird er als Regierungschef konzilianter sein?

    Katsioulis: Seit der Mitte vergangenen Jahres ist bei Alexis Tsipras und der Syriza-Partei eine Deradikalisierung, eine rhetorische Abrüstung zu beobachten. Einen radikalen Bruch mit den europäischen Partnern wird er sicher nicht riskieren.

    Stehen ein Austritt aus dem Euro und eine Rückkehr zur Drachme also gar nicht mehr zur Debatte?

    Katsioulis: Faktisch ist das kein Thema mehr.

    Experte: Kein Schuldenerlass, sondern Schuldenrestrukturierung

    Die ausländischen Partner Athens haben bisher für Griechenland 240 Milliarden Euro Finanzhilfen bereitgestellt. Dieses Geld wäre dann also nicht sinnlos ausgegeben?

    Katsioulis: Nein, aber das wäre es auch im anderen Fall nicht gewesen. Diese Mittel wurden ja auch zur Rettung der Eurozone investiert, ebenso zur Rettung der Banken in der Eurozone. Eine neue Linksregierung in Athen wird Änderungen am Hilfsprogramm einfordern. Schließlich hat das bisherige Programm in Griechenland nicht funktioniert. Die Ergebnisse sind mehr als ernüchternd: Die Wirtschaft ist um ein Viertel geschrumpft, die Arbeitslosigkeit beträgt 25 Prozent und eine großer Teil der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze.

    Wird man sich vielleicht auf einen Deal verständigen: Schuldenerlass gegen die Zusage, dass der Reformkurs in Griechenland fortgesetzt wird?

    Katsioulis: Schuldenerlass ist das falsche Wort. Es geht um eine Schuldenrestrukturierung. Und dann stellt sich die Frage, was eine mögliche Syriza-Regierung dafür anbietet. Denn ohne griechische Zusagen wird es hier keine Zugeständnisse geben. Im Grunde trifft diese Frage des Pudels Kern: Wenn es die Einigung auf einen solchen Deal gäbe, dann blieben wir in der bisherigen Programmlogik, nur unter anderen Vorzeichen: Das Sparen stünde nicht mehr so im Vordergrund, es gäbe mehr Wachstumsimpulse.

    Was haben die bisherigen Reformen unter dem konservativen Premierminister Antonis Samaras gebracht? Geht es aufwärts mit Griechenland?

    Katsioulis: Der Regierung Samaras ist eine fiskalische Gesundschrumpfung gelungen, es gibt jetzt einen ausgeglichenen Haushalt. Auch einige Verbesserungen im Steuerwesen wurden erreicht. Aber bis die Maßnahmen wirken, braucht es Zeit. Ein Erfolg ist auch, dass die Lohnstückkosten gesunken sind und damit die Wettbewerbsfähigkeit verbessert wurde. Aber bisher hat dies noch nicht zu der erhofften Zunahme der Exporte geführt.

    Bisher kaum Steuergerechtigkeit in Griechenland?

    Die Situation der sozial Schwachen hat sich in den vergangenen Jahren weiter verschlechtert. Wurden die Kosten der Reformen einseitig dem ärmeren Teil der Bevölkerung aufgeladen?

    Katsioulis: Ja. Die lohnabhängig Beschäftigten wurden übermäßig belastet, die neue Immobiliensteuer traf besonders kleine und mittlere Einkommen. Die griechische Mittelschicht aus Selbstständigen und kleinen Unternehmern ist in ihrer Existenz bedroht. Aber Griechenlands Hauptproblem ist nach wie vor die Steuervermeidung.

    Unter den reichen Griechen scheint es zum guten Ton zu gehören, keine oder möglichst wenig Steuern zu zahlen. Warum hat es bisher keine Regierung geschafft, für Steuergerechtigkeit zu sorgen?

    Katsioulis: Dies hat auch mit der Wirtschaftsstruktur zu tun. In Griechenland gibt es sehr viele Selbstständige und sehr viele Klein- und Kleinstunternehmen. Da öffnen sich viele Schlupflöcher. Wenn Deutschland eine solche Wirtschaftsstruktur hätte, gäbe es dort auch mehr Probleme mit der Eintreibung der Steuern. Aber Athen muss auf jeden Fall sein Steuersystem besser an diese Gegebenheiten anpassen.

    Experte: Großer Druck, rasch eine Regierung zu bilden

    Wie sieht es denn bei der gemäßigten Linken aus? Die frühere Regierungspartei Pasok, die 2009 noch 44 Prozent der Stimmen erhielt, bildet derzeit als Juniorpartner eine Koalition mit den Konservativen. Hat sie eine politische Überlebenschance?

    Katsioulis: Sie besitzt eine kleine Chance, wieder ins Parlament einzuziehen. Eventuell könnten die Pasok-Abgeordneten eine Syriza-Regierung tolerieren. Aber Pasok muss sich nach den Wahlen neu definieren. Dies wird schwierig. Denn Syriza hat sich in die Mitte bewegt und besetzt heute einen Teil des Raums, den einst die Pasok innehatte.

    2012 konnten die griechischen Parteien zunächst keine Regierung bilden, kurz darauf gab es Neuwahlen. Droht jetzt abermals ein solches Szenario?

    Katsioulis: Diesmal ist der Druck höher, rasch eine Regierung zu bilden. Denn am 28. Februar läuft das Hilfsprogramm aus und Griechenland drohen wirtschaftliche Turbulenzen. Eine handlungsfähige Regierung ist daher rasch notwendig.

    Wann, glauben Sie, wird Griechenland endgültig über den Berg sein, zumindest über den Schuldenberg?

    Katsioulis: Das mit dem Schuldenberg dauert noch eine Weile. Staaten sind auch nicht vorrangig daran interessiert, den Schuldenberg abzubauen, sondern ihnen genügt es, die Schulden zu bedienen. Zentral ist, dass Griechenland in den nächsten ein bis drei Jahren die sozialen Defizite beseitigt und Wirtschaftswachstum generiert. Dann wäre das Land Ende des Jahrzehnts aus dem Tal. Den Gipfel hat es damit aber noch lange nicht erreicht.

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