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Brandenburg: Die überforderte Stadt: Warum in Cottbus die Gewalt eskaliert

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Die überforderte Stadt: Warum in Cottbus die Gewalt eskaliert

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    Seit es rund um ein Einkaufszentrum in Cottbus Ärger mit Flüchtlingen gibt, sind Polizei und Ordnungsdienst dort verstärkt auf Streife.
    Seit es rund um ein Einkaufszentrum in Cottbus Ärger mit Flüchtlingen gibt, sind Polizei und Ordnungsdienst dort verstärkt auf Streife. Foto: Patrick Pleul, dpa

    Am Blechen-Carré hat es wieder Ärger mit Flüchtlingen gegeben, eine böse Schlägerei, munkeln Passanten. Die Polizei trifft nach wenigen Minuten auf dem Platz vor dem Cottbuser Einkaufszentrum ein. Beamte schwärmen aus und kommen kurz darauf mit einem dunkelhaarigen Mann zurück. Ein Verdächtiger offenbar, den sie mit Nachdruck in einen Kleinbus bugsieren.

    Vor dem Fahrzeug vernehmen Ermittler zwei Männer, der jüngere der beiden gestikuliert aufgeregt. Die Polizei bestätigt später, dass es sich bei allen drei Beteiligten um Syrer handelt. Grimmig beobachtet eine Rentnerin die Szene. Sie murmelt etwas, das wie „verdammte Rotzlümmel“ klingt.

    Cottbus, die rund 100000 Einwohner zählende Stadt im Braunkohlerevier Lausitz, nahe der Grenze zu Polen, ist in den vergangenen Wochen nicht nur durch mehrere von Flüchtlingen verübte Straftaten bundesweit in die Schlagzeilen geraten. Sondern auch durch die Reaktionen darauf. D

    er Oberbürgermeister der Stadt, Holger Kelch von der CDU, warnte vor der Entstehung rechtsfreier Räume, wie es sie „in Westdeutschland“ gebe. Das Land Brandenburg hat schließlich einen Zuzugsstopp für Flüchtlinge verhängt, den Kelch schon seit Monaten gefordert hatte. Bis auf Weiteres sollen keine Bewohner der zentralen Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt mehr nach Cottbus geschickt werden.

    Aber das ist hier nicht das einzige Problem. Cottbus hat auch massiven Ärger mit Rechtsextremen. Seit Monaten kommt es in der Stadt immer wieder zu fremdenfeindlichen Protesten. Demonstrierten anfangs nur wenige hundert Personen, schwoll die Zahl der Teilnehmer an den Aufmärschen zuletzt auf bis zu 1500 Menschen an.

    Er warnt vor rechtsfreien Räumen, wie es sie „in Westdeutschland“ gebe: Holger Kelch, Oberbürgermeister von Cottbus.
    Er warnt vor rechtsfreien Räumen, wie es sie „in Westdeutschland“ gebe: Holger Kelch, Oberbürgermeister von Cottbus. Foto: Ralf Hirschberger, dpa

    Auch die Rentnerin, die den Vorfall vor dem nach dem 1840 gestorbenen Cottbuser Landschaftsmaler Carl Blechen benannten Einkaufszentrum beobachtet hat, war dabei. „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich demonstriert. Es kann ja nicht sein, dass wir uns im eigenen Land nicht mehr sicher fühlen können“, sagt sie. Wie sie wollen viele Cottbusser ihrer Empörung Luft verschaffen über das, was sich seit Jahresbeginn rund um das Blechen-Carré abspielt.

    Etwa ein Dutzend Flüchtlinge macht ständig Ärger

    Das Einkaufszentrum auf drei Ebenen mit rund 80 Läden, darunter ein Elektronikmarkt und zahlreiche Filialen von Bekleidungsketten, gilt als beliebter Treffpunkt von Jugendlichen. In der „Mall“ zwischen dem tristen Hauptbahnhof und dem Stadtzentrum tummeln sich gerade in der kalten Jahreszeit auch zahlreiche junge Flüchtlinge. Rund ein Dutzend von ihnen, so die Polizei, macht ständig Probleme, begeht immer wieder Straftaten. Meist geht es um Diebstahl, Drogenhandel oder Körperverletzung.

    In der zweiten Januarwoche bedrohte ein 14-jähriger Syrer ein Ehepaar mit einem Messer. Angeblicher Grund: Die Frau soll ihm nicht den Vortritt am Ladeneingang gelassen haben. Tage später griff ein 16-jähriger Syrer nach Polizeiangaben einen gleichaltrigen Deutschen mit dem Messer an und fügte diesem einen tiefen Schnitt im Gesicht zu. Und wiederum eine knappe Woche später sollen zwei Syrer, einer davon polizeibekannt, drei Kunden des Blechen-Carré bedrängt haben. Ein Zivilpolizist griff ein.

    Polizei, Ordnungsamt und ein privater Sicherheitsdienst haben ihre Präsenz im und um das Einkaufszentrum massiv verstärkt. So können sie auch an diesem regnerisch-grauen Nachmittag schnell eingreifen, nachdem es zu dem Handgemenge gekommen ist. Der Polizeibus fährt schließlich mit dem Verdächtigen davon, die beiden anderen Männer ziehen sich nach dem Gespräch mit den Beamten in ein Café im Einkaufszentrum zurück.

    Der Jüngere der beiden zittert noch vor Aufregung. In fast fehlerfreiem Deutsch erzählt er, dass er vor zwei Jahren vor dem Krieg in Syrien nach Deutschland geflohen sei. Er sei fast 17, besuche in Cottbus die zehnte Klasse, wolle Abitur machen und dann Flugzeugmechaniker werden. Als er heute im Einkaufszentrum auf einen entfernten Bekannten getroffen sei, habe dieser ihn zuerst angepöbelt, dann gestoßen und mehrfach ins Gesicht geschlagen. Den Täter beschreibt er als einen, der nur Probleme macht. „Der stiehlt, ist in Drogensachen drin und hat ein Messer in der Tasche.“ Nur weil sein Freund gleich dazwischengegangen sei, sei nichts Schlimmeres passiert. Doch der Angreifer habe ihm gedroht. „Der will mich mit dem Messer fertigmachen“, sagt der Jugendliche. Ihm ist anzumerken, dass er die Drohung sehr ernst nimmt.

    Sein Kumpel, nach eigenen Angaben 30 Jahre alt, sagt, es gebe einige junge Flüchtlinge, die nicht mit dem Leben in Deutschland klarkommen. „Das sind junge Kerle aus irgendwelchen Dörfern, die glauben, sie könnten sich alles erlauben“, sagt er. Und fügt an, dass diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten, seiner Meinung nach abgeschoben werden sollten. Er habe große Angst, „dass die Deutschen denken, wir sind alle gleich“. Das Klima sei feindselig geworden in Cottbus, Beschimpfungen auf offener Straße seien an der Tagesordnung. „Sch… Araber“ sei noch harmlos.

    Die Polizei bestätigt den Vorfall, den der junge Flüchtling schildert. Sie nimmt den 21-jährigen Angreifer zur Verhinderung weiterer Straftaten in Gewahrsam. Gegen ihn wird wegen Körperverletzung und Bedrohung ermittelt. Weil der Mann bereits „mehrfach mit gleich gelagerten Straftaten in Erscheinung getreten ist“, wird noch am Abend ein polizeiliches Aufenthaltsverbot erlassen. Der Mann darf sich nun – vorerst einen Monat lang – nicht mehr im Bereich der Innenstadt aufhalten. Zumindest für eine Weile sollte das Opfer der Prügelattacke seinem Angreifer nicht mehr begegnen.

    Rechtsextreme verteilen Reizgas an Passanten

    Nur wenige Stunden nach dem Vorfall am Blechen-Carré muss die Cottbusser Polizei wieder eingreifen. In der Innenstadt verteilen sechs Männer zwischen 17 und 32 Jahren Flugblätter der rechtsextremen NPD und Fläschchen mit Reizgas, gedacht zur Selbstverteidigung, an Passanten. Die Polizisten beenden die nicht genehmigte Aktion. Gegen die Männer wird nun wegen des Verdachts auf Verstoß gegen die Versammlungsfreiheit ermittelt.

    In Cottbus gibt es nach Einschätzung des brandenburgischen Landesamtes für Verfassungsschutz eine „hochgradig gewaltorientierte“ rechtsextreme Szene, die zudem brisante Querverbindungen in die Milieus der gewaltbereiten Fußball-Hooligans, der Kampfsportler, Türsteher und Rocker aufweist. Fremdenfeindlichkeit ist kein neues Phänomen in der Stadt. Schon 1992 belagerten hunderte Neonazis mehrere Wohnblöcke, in denen Asylbewerber untergebracht waren. Sie warfen Flaschen und Brandsätze.

    Dass Fremdenfeindlichkeit gerade in Cottbus auf so fruchtbaren Boden fällt, führt ein ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe aktiver Bürger, der nicht namentlich genannt werden will, darauf zurück, dass es in der Stadt nach der Wende zu Massenarbeitslosigkeit und massiven sozialen Problemen gekommen ist. In der Tristesse der Plattenbauten hätten sich Skinhead-Kameradschaften formiert, auch ein Teil der Fanszene des heutigen Fußball-Regionalligisten Energie Cottbus gebärde sich bis heute offen rassistisch. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Erwerbslosigkeit im Arbeitsagenturbezirk Cottbus in den vergangenen drei Jahren deutlich von 10,6 auf 7,6 Prozent gesunken ist.

    Weil trotzdem junge, gut ausgebildete Cottbusser ihrer Heimat auf der Suche nach Arbeit in Scharen den Rücken gekehrt haben, seien die Alten, Frustrierten und Perspektivlosen zurückgeblieben, sagt der Flüchtlingshelfer. Hatte die Stadt kurz vor dem Fall der Mauer noch 130000 Einwohner, fiel die Zahl später zeitweise auf unter 100000. Der Status als Großstadt drohte verloren zu gehen.

    Bei der Bundestagswahl holte die AfD die meisten Zweitstimmen

    Auch weil es so viel Leerstand gab, habe die Stadt zahlreiche Flüchtlinge aufgenommen. Nach Angaben der Stadtverwaltung kamen in den vergangenen Jahren 4300 Flüchtlinge, darunter 2000 Syrer. Der Ausländeranteil liegt heute bei 8,5 Prozent – und damit noch deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 11,2 Prozent. „Mit Zuzug haben die Cottbuser keine Erfahrung – sie kennen nur den Wegzug“, sagt der Flüchtlingsaktivist. Das führe zu Ängsten, die sich eine Vielzahl rechter Gruppen nun zunutze macht. So habe die AfD bei der Bundestagswahl in Cottbus die meisten Zweitstimmen geholt.

    Seit dem massiven Anstieg der Flüchtlingszahlen ab dem Spätsommer 2015 hat auch die fremdenfeindliche Gewalt zugenommen. Im Oktober 2015 rotteten sich rund 400 Neonazis vor einem Cottbusser Flüchtlingsheim zusammen. Der Mob überrannte regelrecht die Polizei, die nur mit Mühe einen Gewaltausbruch verhindern konnte.

    Auch in den vergangenen Monaten ist es immer wieder zu Angriffen auf Flüchtlinge gekommen. So am Neujahrsmorgen, als eine Gruppe Neonazis drei Afghanen bis in ihre Unterkunft verfolgte. Das Sicherheitspersonal der Einrichtung griff nicht ein, als die Rechtsextremen ihre Opfer verprügelten – bevor sie unerkannt flüchteten.

    Die Stadtverwaltung ringt mit sich, wie man mit kriminellen Flüchtlingen und rechten Gewalttätern umgehen soll. Oberbürgermeister Holger Kelch musste den Aufnahmestopp für Flüchtlinge inzwischen gegen massive Kritik etwa aus der Linkspartei verteidigen. Die hatte Kelch vorgeworfen, er gebe „dem rechten Zeitgeist“ nach. Kelch appelliert an Bund und Länder, diese hätten eine Schutzfunktion für die Kommunen. Für Cottbus fordert Kelch mehr Unterstützung bei der Schulsozialarbeit, der Immigrantenberatung und bei den Erziehungsberatungsstellen.

    Gleichzeitig sorgt sich die Cottbusser Zivilgesellschaft um das Ansehen ihrer Stadt. Unabhängig voneinander wollen zwei Gruppen noch im Februar die Bürger aufrufen, bei Demonstrationen ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit zu setzen und für ein weltoffenes Cottbus einzutreten.

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