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Niederlande: Dramatische Rettung aus Syrien: Mutter folgt Hilferuf der Tochter

Niederlande

Dramatische Rettung aus Syrien: Mutter folgt Hilferuf der Tochter

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    Der Screenshot eines IS-Propagandavideos zeigt bewaffnete Frauen, die angeblich in der syrischen Stadt Al-Rakka operieren.
    Der Screenshot eines IS-Propagandavideos zeigt bewaffnete Frauen, die angeblich in der syrischen Stadt Al-Rakka operieren. Foto: Syriadeeply.org/Archiv (dpa)

    Diese Geschichte bewegt ein ganzes Land. Es ist die Geschichte einer starken Frau. Einer Mutter aus den Niederlanden, die den Hilferuf ihrer Tochter aus Rakka, einer Hochburg der radikalen Gotteskrieger des Islamischen Staates (IS), nicht überhört. Die aufbricht, um die 19-Jährige, die sich seit ihrem überstürzten Übertritt zum Islam Aishe nennt, zu retten.

    Erzählt wird die Geschichte von Françoise Landerloo. Sie ist die Rechtsanwältin der Familie. Gestern, als Mutter und Tochter wieder wohlbehalten zu Hause angekommen sind, bricht sie ihr Schweigen: „Es ist sehr gefährlich, was die Mutter getan hat, vielleicht auch reichlich naiv, zu glauben, dass du deine Tochter aus den Fängen des Kalifat-Staates befreien kannst. Diese Frau hat es geschafft.“

    Aishe nimmt Kontakt zu einem Dschihadisten auf

    Bevor alles anfängt, lebt Aishe unter ihrem normalen Namen in Maastricht. Sie ist damals 18 Jahre alt, gilt als gut integriert, mit einem großen Freundeskreis. Im vergangenen Jahr ändert sich alles. Sie beginnt zunächst, die Bibel zu lesen. Doch das ist ihr zu wenig. Sie recherchiert im Internet, nimmt Kontakt zu einem in Holland geborenen Dschihadisten auf, der sich Yilmaz nennt. Der 26-Jährige ist angeblich ehemaliger Angehöriger der niederländischen Armee. „Mama, schau dir den Mann mal an“, sagt sie und zeigt ihrer Mutter Monique ein paar Fotos im Netz. „Das ist so toll und so mutig, was der macht.“ Später wird ihre Mutter sich so an das Gespräch erinnern: „Für sie war das so eine Art Robin Hood.“

    Die Niederländerin konvertiert zum Islam

    Was dann passiert, hört sich an wie im Kinofilm: Aishe konvertiert zum Islam, geht nur noch verschleiert aus dem Haus. Als sie zum ersten Mal andeutet, sie wolle nach Syrien ausreisen, stoppen sie die Sicherheitsbehörden, ziehen ihren Pass ein. Doch der zweite Anlauf gelingt mithilfe eines Anwaltes. Per Zug beginnt sie die Reise nach Syrien. Und die Mutter? Die wähnt ihre Tochter zu diesem Zeitpunkt bei einer Freundin im Nachbarort. Aishe erreicht den Staat der Islamisten. Sie heiratet Yilmaz. In den Niederlanden wird die junge Frau sofort auf die Liste der gesuchten Terroristen gesetzt. Die Mutter erhält Wochen später eine erste Nachricht, sie solle sich keine Sorgen machen.

    „Mama, hol mich hier raus“

    Monate danach liest sie plötzlich alarmierende Worte auf ihrem Smartphone: „Mama, hol mich hier raus.“ Monique fährt los, bleibt aber an der türkisch-syrischen Grenze hängen. Was dann passiert, wollen alle Beteiligten nur in Andeutungen erzählen. Mutter Monique findet Helfer, die ihr eine Burka leihen. Sie kann die Grenze passieren, schafft es, sich bis Rakka durchzuschlagen. In dieser Stadt haben die Radikalen ein religiöses Schreckensregime errichtet. Ehebrecherinnen werden gesteinigt, Dieben hackt man die Hand ab, Spione des Assad-Regimes werden gelyncht. Frauen hält man im Haus. Sie dürfen höchstens voll verschleiert auf die Straße.

    Monique ist gegen den ausdrücklichen Rat der niederländischen Sicherheitsbehörden gereist. Sie tut es für ihr Kind. Vor Ort bleibt sie auf sich allein gestellt. Sie ist auf wenige, unbekannte Helfer angewiesen. Und doch schafft sie es. Sie findet ihre Tochter, die sich inzwischen von ihrem „Robin Hood“ getrennt hat. Doch die beiden sind noch nicht am Ziel. Ihre Ausreise gestaltet sich mindestens so abenteuerlich wie die Einreise. Aber irgendwie gelingt es Mutter und Tochter, den Schergen der Terrormiliz zu entkommen. Sie erreichen die Türkei. Doch dort werden sie festgehalten. Aishe hat keine Papiere mehr.

    Mutter folgt Hilferuf der Tochter

    Am Donnerstag endlich kommen sie wieder in den Niederlanden an. Die junge Frau wird noch am Flughafen verhaftet. Man will prüfen, ob sie an Verbrechen des IS beteiligt war. Aber wenigstens ist sie wieder zu Hause. „Wenn du die schrecklichen Bilder im Fernsehen siehst und dann hörst du den Hilferuf deiner Tochter, dann kann man vielleicht verstehen, dass sie sagt: ,Ich fahr da hin und guck mal‘“, wirbt die Anwältin um Verständnis für die filmreife Aktion Moniques. Das Wiedersehen sei sehr emotional gewesen.

    Dass diese Geschichte, die wie eine Neuauflage des Films „Nicht ohne meine Tochter“ klingt, aber noch dramatischer verlief, unser Nachbarland so bewegt, hat auch mit der Betroffenheit vieler Familien zu tun. Wie in anderen europäischen Staaten sind mehrere hundert junge Menschen, darunter auch viele Frauen, nach Syrien gereist, um dort zu kämpfen oder den Kämpfern zu „dienen“, wie Berater dies umschreiben.

    Monique hat den Albtraum ihrer Tochter beendet. Und doch warnen Sicherheitsexperten andere Eltern davor, ihrem Beispiel zu folgen. Sie selbst scheint im Nachhinein von ihrer eigenen Courage überrascht zu sein. „Aber manchmal muss man tun, was man tun muss“, sagte sie einer niederländischen Zeitung. „Es ging schließlich um mein Kind.“

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