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Flüchtlingspolitik: Ein Pakt und viele Zweifler

Flüchtlingspolitik

Ein Pakt und viele Zweifler

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    Die ungeregelte Migration ist eine der größten gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen unserer Zeit.
    Die ungeregelte Migration ist eine der größten gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen unserer Zeit. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Es geht feierlich zu bei der UN-Migrationskonferenz in Marokko. Fast schon friedlich. Keine Spur von den heftigen Debatten der vergangenen Wochen, die nicht nur Deutschland beschäftigten. Kein Wunder, die Gegner des Migrationspaktes sind ja auch gar nicht im Raum, als Konferenz-Präsident Nasser Bourita um kurz nach zehn Uhr die Annahme des umstrittenen Dokuments verkündet.

    Im Saal in Marrakesch brandet lang anhaltender Applaus der mehr als 150 Delegationen auf. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist dabei. Die Tische von Ungarn, Österreich oder Italien dagegen bleiben leer. Sie und eine Reihe weiterer – vor allem europäischer – Regierungen hatten in den vergangenen Wochen Abstand von dem Dokument genommen.

    Für die EU ist der UN-Migrationspakt zu einem Symbol der Spaltung geworden. Ironischerweise, denn das Dokument soll die internationale Einheit und Zusammenarbeit in der Migrationspolitik fördern. Ursprünglich war geplant gewesen, dass die Europäer bei dem Abkommen mit einer Stimme sprechen. Dem schob Ungarns rechtsnationaler Ministerpräsident Viktor Orbán einen Riegel vor und verhinderte eine gemeinsame EU-Position. Nicht nur Polen, Italien und Österreich folgten im Klub der Skeptiker. Die heftigsten Auswirkungen spürte Belgien. Im Herzen Europas zerbrach die Regierungskoalition des Landes über den Streit um den Pakt. Der Grund: Der frankofone liberale Ministerpräsident Charles Michel hielt gegen Forderungen des Koalitionspartners an dem Pakt fest. Auf dem Rednerpodium sagte er: „Mein Land wird auf der richtigen Seite der Geschichte sein.“

    Der Riss beim Thema Migration war in den vergangenen Wochen auch in Deutschland spürbar. Die AfD erkannte das politische Potenzial des Themas und machte Front. Deutschland könne bald nicht mehr selbst über seine Migrationspolitik bestimmen, da komme ein „verstecktes Umsiedlungsprogramm für Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge“, hieß es. Medien würden aufgefordert, einseitig positiv über den Pakt zu berichten. Die Unterstellungen wurden seitdem vielfach durchleuchtet und die meisten widerlegt. Trotzdem blieb viel haften.

    Angela Merkel kämpft am Montag gegen die Behauptungen an, nachdem sie zu einem Blitzbesuch für nur wenige Minuten Redezeit nach Marrakesch geflogen war. Hier in Marokko, wo in diesem Jahr zehntausende Menschen in Booten Richtung Europa ablegten, wollte sie den Pakt gegen dessen Kritiker verteidigen. Sie setzt in ihrer Rede ein Signal gegen die Populisten: Illegale Migration rufe teils große Ängste hervor, sagt sie. „Diese Ängste werden jetzt benutzt von den Gegnern dieses Paktes, um Falschmeldungen in Umlauf zu bringen.“ Dabei müssten die Länder zusammenarbeiten, statt mit der Ablehnung des Abkommens nationale Alleingänge zu provozieren.

    Welche Macht die falschen Behauptungen weltweit mittlerweile eingenommen haben, zeigt sich auch daran, dass UN-Generalsekretär António Guterres höchstpersönlich einen Faktencheck in seine Rede einbaut. „Mythos 1“, sagt er. Der Pakt werde es den Vereinten Nationen erlauben, die Souveränität der Mitglieder einzuschränken. „Falsch!“, ruft Guterres in den Raum. Die meisten Migranten reisten aus dem Süden in den reichen Norden der Erde. „Falsch!“ Entwickelte Länder bräuchten keine Migration. „Falsch!“ Manchmal übersteuert dabei sein Mikrofon.

    Der Migrationspakt ist der erste umfassende Ansatz weltweit, auf dessen Basis Länder besser zusammenarbeiten sollen, um gegen illegale und ungeordnete Migration vorzugehen und Migration sicherer für die Menschen zu machen. Die formulierten 23 Ziele beinhalten auch Lösungsansätze für in Deutschland diskutierte Probleme: So sollen einige Migrationsursachen in den Herkunftsländern bekämpft werden, ebenso die Schleuserkriminalität. Der Grenzschutz soll gestärkt und „irreguläre Migration“ verhindert werden. Stattdessen sollen „sichere und reguläre“ Grenzübertritte ermöglicht werden. Ein weiteres Ziel behandelt die Erleichterung einer „würdevollen Rückkehr“ ins Ursprungsland. Zu den Zielen werden jeweils konkrete Handlungsvorschläge gemacht – rechtlich bindend ist der Pakt nicht.

    Migration wird dabei aber durchaus positiv als „Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung“ dargestellt. Ihre positiven Auswirkungen sollen demnach durch den Pakt besser genutzt werden. Gleichzeitig behandelt das Papier auch die Probleme und Gefahren irregulärer Migration. Die UN-Sonderbeauftragte für Migration, Louise Arbour, sagte zu den hitzigen Debatten darum: „Migration ist ein Thema. Es ist kein schlechtes Thema, es ist kein gutes Thema, es ist ein Thema.“

    Wohin die Migrationspolitik mit dem rechtlich nicht bindenden UN-Pakt nun steuert, hängt vor allem davon ab, inwiefern ihn die Mitgliedsländer in nationales Recht umsetzen. Das Regelwerk soll seine Kraft – wie schon bei anderen Abkommen – über die politische Bindung seiner Mitglieder entfalten. Die Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern zum Beispiel bei Abschiebungen könnte durch das Abkommen einfacher werden. Andere Maßnahmen könnten zu einer Verbesserung der Lebensumstände in Herkunftsländern führen, sodass der Migrationsdruck nach Westeuropa langfristig abnimmt. Eine Garantie dafür gibt es aber nicht. (dpa)

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