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Urteil: Ende der Überwachung: Europäischer Gerichtshof lehnt die Vorratsdatenspeicherung ab

Urteil

Ende der Überwachung: Europäischer Gerichtshof lehnt die Vorratsdatenspeicherung ab

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    Immer wieder gab es Demonstrationen, bei denen gegen die Vorratsdatenspeicherung protestiert wurde, wie hier Anfang Februar vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Letztendlich kippten Richter die umstrittene Regelung.
    Immer wieder gab es Demonstrationen, bei denen gegen die Vorratsdatenspeicherung protestiert wurde, wie hier Anfang Februar vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Letztendlich kippten Richter die umstrittene Regelung. Foto: Britta Pedersen, dpa

    Schallender hätte die Ohrfeige der Richter nicht ausfallen können. Die Vorratsdatenspeicherung ist am Dienstag vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg nicht nur gescheitert. Sie ist regelrecht in der Luft zerrissen worden.

    Die Richter hielten die Speicherdauer von bis zu zwei Jahren für "unverhältnismaßig"

    „Aus der Gesamtheit dieser Daten könnte man sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert werden, ziehen,“ heißt es in dem Urteil. Da gehe es um Gewohnheiten des täglichen Lebens, um ständige oder vorübergehende Aufenthaltsorte, um tägliche oder in anderem Rhythmus erfolgende Ortsveränderungen, um ausgeübte Tätigkeiten, um soziale Beziehungen und das soziale Umfeld. Die Speicherdauer von mindestens sechs Monaten bis höchstens zwei Jahren sei „unverhältnismäßig“, sagten die Richter. Der „besonders schwere Eingriff“ in die Privatsphäre werde nicht auf das „absolut Notwendige beschränkt“.

    „Die Vorratsdatenspeicherung gehört in die Geschichtsbücher“, jubelte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die sich als Bundesjustizministerin bis 2013 gegen ein deutsches Gesetz gewehrt hatte. Ihr SPD-Nachfolger Heiko Maas sah am Dienstag „keinen Grund, schnell einen Gesetzentwurf vorzulegen“. Mit dem Urteil sei eine neue Situation eingetreten“, sagte er. „Die Grundlage für die Vereinbarung im Koalitionsvertrag ist entfallen.“ Bürgerrechtler und Internetnutzer, die das Gesetz immer als „Ende der Privatsphäre“ bezeichnet hatten, die alle bisherigen Überwachungsmaßnahmen „in den Schatten stellt“, waren gestern zufrieden.

    Innenminister der Union fordern rasche Neuregelung

    Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) war einer der wenigen, der sich unmittelbar nach der Urteilsverkündigung für ein neues Gesetz aussprach. „Ich dränge auf eine rasche, kluge, verfassungsmäßige Neuregelung“, sagte er. Mit der bisherigen Vorratsdatenspeicherung dürfte das Gesetz dann kaum noch etwas zu tun haben. Die CSU verlangte ebenfalls eine schnelle Lösung: „Das brauchen wir, um schweren Straftätern auf die Spur zu kommen“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann.

    2006 hatte die EU die Richtlinie erlassen. Man fühlte sich nach den Terroranschlägen in Madrid 2004 und London 2005 zur pauschalen Überwachung aller Bürgerinnen und Bürger berechtigt. Fortan sollten jedes Telefonat, jede Mail, jede SMS, jeder Internet-Kontakt aufgezeichnet und von den Providern gespeichert werden, um sie bei Bedarf den Sicherheitsbehörden zur Verfügung zu stellen. „Wir waren der Meinung, dass wir alle Informationen brauchen, um jede Gefahr auszuschließen“, hieß es damals.

    Bereits 2010 wurde die Gesetzesvorlage gestoppt

    „Uns war aber schon damals klar, dass es ein gewagter Eingriff war“, sagte ein Vertreter der EU-Kommission. Zu gewagt. 2010 stoppte das Bundesverfassungsgericht die deutsche Gesetzesvorlage – übrigens mit nahezu gleichlautenden Begründungen wie jetzt der EuGH. In beiden Fällen bejahten die Richter die „Zielsetzung, die dem Gemeinwohl dient, und zwar der Bekämpfung schwerer Kriminalität und somit letztlich der öffentlichen Sicherheit“. Doch, so jetzt die Luxemburger Juristen, der „EU-Gesetzgeber hat beim Erlass die Grenzen überschritten, die er zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einhalten musste“.

    Vorratsdatenspeicherung: So wurde gespeichert

    Begriff: Vorratsdatenspeicherung steht für die systematische Speicherung von Telefon- und Internetdaten der Bürger. Nach den Terroranschlägen von Madrid und London beschlossen die EU-Staaten 2006 das Gesetz.

    Zweck: Die Datensammlung soll Fahndern bei der Jagd nach Terroristen und anderen Schwerverbrechern helfen. Die EU schrieb vor, dass Anbieter von Telekommunikationsdiensten EU-weit Verbindungsdaten zu Telefonaten oder E-Mails zwischen 6 und 24 Monate lang auf Vorrat speichern mussten.

    Metadaten: Bei Telefonaten mussten die sogenannten Metadaten gespeichert werden: Rufnummer, Name und Anschrift der Teilnehmer, Uhrzeit, Datum und Dauer eines Gesprächs. Bei Handys gehörte der Standort zu Gesprächsbeginn dazu. Die Inhalte von Gesprächen oder Mails waren tabu.

    In Brüssel beginnt nun das Beseitigen des Scherbenhaufens. Aus dem Innenkommissariat hieß es, man werde die schriftliche Begründung aus Luxemburg abwarten, um dann ein neues Gesetz zu schneidern. Das Gleiche wird wohl auch die Bundesregierung tun. Der EuGH hat einen Rahmen zumindest angedeutet: Demnach darf künftig nur überwacht werden, wer im Verdacht steht, schwere Straftaten oder Terrorakte vorzubereiten oder zu unterstützen. Ein Richter muss den „Lauschangriff“ billigen. Maximal drei Monate dürfen die Daten gespeichert bleiben. Dann müssen sie, rechtlich nachprüfbar, gelöscht werden.

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