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Leitartikel: Erst kommt die Kanzlerin, und dann lange nichts

Leitartikel

Erst kommt die Kanzlerin, und dann lange nichts

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    Angela Merkel regiert unangefochten. Mit ihrer Beliebtheit beim Wähler verdeckt sie die vielen Schwächen der CDU, meint unser Berlin-Korrespondent Rudi Wais.
    Angela Merkel regiert unangefochten. Mit ihrer Beliebtheit beim Wähler verdeckt sie die vielen Schwächen der CDU, meint unser Berlin-Korrespondent Rudi Wais. Foto: Jens Büttner (dpa)

    Die Stationen von Angela Merkel

    1989: In der politischen Umbruchphase der DDR steigt die Physikerin Merkel in die Politik ein und schließt sich dem Demokratischen Aufbruch (DA) an, der später der CDU beitritt.

    April 1990: Nach den Volkskammerwahlen wird Merkel stellvertretende Regierungssprecherin der DDR.

    Dezember 1990: Merkel wird mit der ersten gesamtdeutschen Wahl direkt gewählte CDU-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Stralsund, Rügen, Nordvorpommern.

    Januar 1991: Merkel wird unter dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) als Bundesministerin für Frauen und Jugend vereidigt.

    Dezember 1991: Merkel wird zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt.

    November 1994: Merkel wird Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Für ihre Verhandlungsführung beim UN-Klimagipfel in Berlin erntet sie ein Jahr später breites Lob.

    November 1998: Der neue CDU-Chef Wolfgang Schäuble macht Merkel zur Generalsekretärin.

    Dezember 1999: Nach Bekanntwerden der CDU-Spendenaffäre ruft Merkel in einem spektakulären Zeitungsbeitrag zur Abnabelung von Kohl auf.

    10. April 2000: Nach Schäubles Rücktritt infolge der CDU-Spendenaffäre wird Merkel auf dem Parteitag in Essen mit 95,9 Prozent zur Parteichefin gewählt.

    24. September 2002: Nach der verlorenen Bundestagswahl mit Spitzenkandidat Edmund Stoiber sichert Merkel sich den Fraktionsvorsitz der CDU/CSU im Bundestag.

    1./2. Dezember 2003: Unter Merkels Führung segnet die CDU auf ihrem Parteitag in Leipzig einen radikalen Kurswechsel in der Steuer- und Sozialpolitik ab. Später distanzieren sich sowohl Kanzlerin als auch Partei wieder davon.

    18. September 2005: Die Union gewinnt mit Merkel als Kanzlerkandidatin die Bundestagswahl knapp vor der SPD, bleibt aber weit hinter den Erwartungen zurück.

    22. November 2005: Merkel wird als Bundeskanzlerin einer großen Koalition vereidigt. Sie ist nicht nur die erste Frau, sondern mit 51 Jahren die bislang jüngste Politikerin in diesem Amt.

    August 2006: Das US-Wirtschaftsmagazin "Forbes" kürt Merkel erstmals zur "mächtigsten Frau der Welt". Den Spitzenplatz hält sie auch in den kommenden Jahren fast durchgängig.

    September/Oktober 2008: Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) stellen wegen der Finanzkrise in dramatischen Rettungsaktionen Milliardensummen für Banken und die Wirtschaft bereit.

    27. September 2009: Die CDU fährt bei der Bundestagswahl unter Merkels Führung zwar ein schwaches Ergebnis ein, es reicht aber für das gewünschte schwarz-gelbe Bündnis.

    28. Oktober 2009: Merkel wird zum zweiten Mal vom Bundestag zur Kanzlerin gewählt.

    Mai 2010: Die Staaten der Euro-Zone beschließen den ersten Rettungsschirm. Während Merkel mit der Euro-Krise beschäftigt ist, macht ihre schwarz-gelbe Koalition vor allem durch Streits von sich reden.

    6. Juni 2011: Nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima beschließt Merkels Kabinett das Aus für acht Atomkraftwerke und einen schrittweisen Atomausstieg bis 2022. Im Wahlkampf hatte Merkel noch für eine Verlängerung der Laufzeiten geworben.

    Dezember 2012: Bei ihrer sechsten Wiederwahl zur CDU-Chefin erreicht Merkel mit 97,94 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis.

    22. September 2013: Bei der Bundestagswahl erreicht die Union mit 41,5 Prozent das beste Zweitstimmenergebnis seit 1990.

    17. Dezember 2013: Merkel wird zum dritten Mal im Bundestag zur Kanzlerin gewählt.

    10. April 2014: Merkel ist jetzt länger als Kanzlerin im Amt als Helmut Schmidt, der acht Jahre und vier Monate Regierungschef war. Nur Konrad Adenauer und Helmut Kohl regierten deutlich länger.

    Karrieren wie die von Angela Merkel waren in der CDU lange Zeit nicht vorgesehen. Eine Frau, evangelisch und noch dazu aus dem Osten: Der Aufstieg der Pastorentochter aus Templin zur vielleicht mächtigsten Frau der Welt ist nicht nur eine beispiellose persönliche Erfolgsgeschichte. Er hat sich auch für ihre Partei ausgezahlt, die bei der letzten Bundestagswahl mit 41,5 Prozent eines ihrer besten Ergebnisse überhaupt eingefahren hat. Ein Ergebnis, das ähnlich untrennbar mit ihrem Namen verknüpft bleibt wie das der SPD 1972 mit Willy Brandt. Besser, heißt das, geht es kaum noch.

    Der Erfolg Merkels verdeckt die vielen Niederlagen der CDU

    Die Geschichte dieses sehr persönlichen Erfolges ist allerdings auch die Geschichte vieler kleiner Niederlagen, die die CDU viel zu beiläufig abgehakt hat. Seit Angela Merkel Kanzlerin wurde, sind die Christdemokraten von Hamburg bis Baden-Württemberg in sieben Ländern aus der Regierung geflogen, hinzugewonnen haben sie nur zwei Mandate als Juniorpartner der SPD – in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Damit regiert die Union nur noch in sieben Ländern, die Grünen bringen es auf acht.

    Angela Merkels Beliebtheit ist offenbar Fluch und Segen zugleich für ihre Partei. Je stärker sich die Aufmerksamkeit auf die alles überstrahlende Kanzlerin richtet, umso schwerer hat es die zweite Garde. Beim Parteitag in dieser Woche wird dieses Dilemma überdeutlich werden. Um einen der fünf Stellvertreterposten bewirbt sich dort mit Thomas Strobl ein Landesvorsitzender, dem seine eigenen Leute nicht einmal das Amt des Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg zutrauen. Dazu kommen der Nobody Armin Laschet aus Nordrhein-Westfalen und der Hesse Volker Bouffier, der mit 62 Jahren seine Karriere schon mehr oder weniger hinter sich hat. Julia Klöckner aus Rheinland-Pfalz wiederum gilt zwar als Frau mit Perspektive, muss es aber erst einmal in die Mainzer Staatskanzlei schaffen. In der Reihe hinter Angela Merkel bringt damit nur Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den Ehrgeiz und die Professionalität mit, die eine Politikerin oder ein Politiker braucht, um ganz nach oben zu kommen – erschreckend wenig für eine Volkspartei.

    Die Union: reformscheu, verzagt, ein Kanzlerwahlverein

    Der Machtwechsel in Thüringen, wo eine rot-rot-grüne Allianz gerade die schwarze Regentin gestürzt hat, ist der Höhepunkt einer Niederlagenserie, die wenig mit Angela Merkel selbst, aber umso mehr mit der inneren Verfassung der CDU zu tun hat. Wäre sie noch eine im Kern konservative Partei, schlüge Julia Klöckner mit ihrem Plädoyer für ein Burka-Verbot nicht so viel Skepsis entgegen. Wäre sie noch eine ökonomisch denkende Partei, würde sie die kalte Progression entschärfen und den Solidaritätszuschlag langsam auslaufen lassen.

    Tatsächlich jedoch zementiert die CDU, hier wie dort, den Status quo: eine SPD light, staatsgläubig, reformscheu und auch sonst seltsam verzagt. Dabei hätte die Christdemokratie Gründe genug, sich etwas offensiver mit ihrer Zukunft zu befassen: Angela Merkel wird nicht ewig Kanzlerin bleiben, mit der AfD macht ihr eine neue Partei rechts der Mitte die Wähler abspenstig – und die liberale Lücke, die die FDP hinterlassen hat, kann der schmalbrüstige Wirtschaftsflügel der CDU auch nicht ansatzweise schließen. Dass die Union in den bundesweiten Umfragen trotzdem noch bei 40 Prozent liegt, hat nur einen Grund: Angela Merkel.

    Um Vorsitzende ihrer Partei werden zu können, musste sie nach dem Spendenskandal erst mit Helmut Kohl brechen. Unterm Strich jedoch ist die CDU für sie nichts anderes, als sie es für ihn auch war: ein Kanzlerwahlverein. Auch deshalb fällt die Bilanz der Regierungschefin Merkel um einiges besser aus als die der Parteichefin Merkel.

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