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Interview: Experte: Dem Staat entgehen Milliarden an Steuern

Interview

Experte: Dem Staat entgehen Milliarden an Steuern

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    Beim Bezahlen ohne Rechnung erleichtern Verbraucher unseriösen Unternehmern den Steuerbetrug, da es ohne Beleg auch keine Spur gebe, warnt Steuergewerkschaft-Chef Eigenthaler.
    Beim Bezahlen ohne Rechnung erleichtern Verbraucher unseriösen Unternehmern den Steuerbetrug, da es ohne Beleg auch keine Spur gebe, warnt Steuergewerkschaft-Chef Eigenthaler.

    Thomas Eigenthaler ist Vorsitzender der deutschen Steuergewerkschaft. Sie vertritt mehr als 70000 Beamte und Angestellte in der Finanzverwaltung. Nach seiner Ausbildung zum Diplom-Finanzwirt studierte Eigenthaler, Jahrgang 1958, noch Jura, er war Referent im baden-württembergischen Landtag und neun Jahre Chef des Finanzamtes Stuttgart III. Im Interview spricht er über die Steuerpolitik der Regierung, die Erbschaftsteuer und, wie Betrieben der Betrug erleichtert wird.

    Herr Eigenthaler, haben Sie schon ausgerechnet, was Ihnen die Steuerreform Anfang nächsten Jahres an Entlastung bringt?

    Thomas Eigenthaler: Wenn ich nur mal den Grundfreibetrag nehme, der dann um 168 Euro im Jahr 2017 steigt, dann kommen da bei einer Steuerbelastung von etwa 30 Prozent rund 50 Euro heraus – im Jahr. Das sind ganze vier Euro im Monat! Auch zwei Euro mehr Kindergeld im Monat sind nun wirklich nicht die Welt. Ich fürchte, dass viele Menschen das nicht als Entlastung, sondern im Gegenteil als Enttäuschung empfinden.

    Immerhin entschärft die Große Koalition die Steuerprogression. War das nicht überfällig?

    Eigenthaler: Anders als beim Grundfreibetrag und dem Kinderfreibetrag, den die Regierung regelmäßig überprüfen und anheben muss, ist die Bundesregierung nicht dazu verpflichtet, die Steuertabellen an die Inflationsrate anzupassen. Wenn die Große Koalition jetzt etwas gegen die kalte Progression tut, dann ist das eine politische Entscheidung. Angesichts der geringen Inflation finde ich die Diskussion darüber im Moment wahlkampfbedingt etwas überhöht. Nur so zum Vergleich: Der Freibetrag wegen Körperbehinderung wurde seit 1975 nie erhöht.

    Nichtsdestotrotz: Die kalte Progression ist eine verdeckte Steuererhöhung. Wenn meine Gehaltserhöhung nur die Inflation ausgleicht, rutsche ich trotzdem in eine höhere Steuerklasse.

    Eigenthaler: Solche Entscheidungen muss man einbinden in andere Dinge. Ich mache nur mal darauf aufmerksam, dass der Finanzbedarf des Staates seit einem Jahr deutlich gewachsen ist, weil wir eine hohe Integrationsleistung zu erbringen haben und weil auch teure Rentenbeschlüsse vor der Türe stehen.

    Heißt das, die deutschen Steuerzahler sollen wegen der Flüchtlingskrise auf einen Teil der Entlastung verzichten?

    Eigenthaler: Diesen direkten Zusammenhang will ich eigentlich nicht herstellen. Ich sage nur, dass eine so winzige Korrektur der Steuertabellen, wie sie jetzt vereinbart wurde, erstens nicht viel bringt und zweitens eher den Beschäftigten mit höheren Einkommen nutzt. Das hätte man auch noch auf das Jahr 2018 verschieben und dafür den Grund- und den Kinderfreibetrag anstatt in zwei Etappen auf einen Schlag erhöhen können. Solche dringenden Dinge gehören sofort erledigt.

    Wie zufrieden sind Sie eigentlich mit dem Kompromiss bei der Erbschaftsteuer? Ist der Aufwand, gemessen am Ertrag, nicht viel zu groß?

    Eigenthaler: Ich komme gerade von einer Tagung der Steuerberaterkammer. Dort wurde uns anschaulich vor Augen geführt, wie kompliziert das neue Erbschaftsteuerrecht für Unternehmen ist. Vor allem bei großen Betriebsvermögen werden die Fälle die Kollegen in den Finanzämtern deutlich stärker fordern.

    Sollte man die Erbschaftsteuer nicht ganz abschaffen wie in Österreich?

    Eigenthaler: Da habe ich ganz grundsätzliche Bedenken, denken Sie nur an das im Grundgesetz verankerte Sozialstaatsprinzip. Nachdem wir schon keine Vermögensteuer mehr haben, ist die Erbschaftsteuer die letzte Steuer, die an der Substanz von Vermögen ansetzt. Auf sie zu verzichten, hielte ich für wirklich problematisch.

    Ein anderes Thema: Zehn Milliarden Euro entgehen den Finanzämtern angeblich pro Jahr, weil Händler oder Gastronomen ihre Kassen manipulieren. Wie funktioniert das und was kann die Politik dagegen tun?

    Eigenthaler: In Deutschland ist kein Unternehmer verpflichtet, eine elektronische Kasse zu führen – eine Schublade in der Ladentheke tut es auch. Dort, wo elektronische Kassen im Einsatz sind, können diese durch eine spezielle Software so manipuliert werden, dass sie am Abend ein niedrigeres Ergebnis ausspucken, als der Händler tatsächlich an Umsatz gemacht hat. Dadurch entgehen dem Staat Milliarden an Steuern. Und es herrscht ein unfairer Wettbewerb. Der ehrliche Unternehmer ist doch dann der Dumme.

    Warum darf eine solche Software überhaupt vertrieben werden? Ist das nicht Beihilfe zur Steuerhinterziehung oder zum Betrug?

    Eigenthaler: Manche Kunden fragen beim Kauf einer Kasse ganz gezielt nach diesen Programmen, und natürlich haben die Leute im Vertrieb des Herstellers die Sorge, dass sie dafür in Haftung genommen werden können – bis hin zum Schadenersatz für hinterzogene Steuern. Solche Software ist aber nicht prinzipiell illegal: In der Gastronomie können Sie zum Beispiel zu Trainingszwecken in Ihrer Kasse eine Art zweite Kasse für einen Übungskellner führen. Wenn ein Umsatz auf diesen Account gebucht wird, taucht er in der offiziellen Abrechnung nicht auf.

    Brauchen wir ein Registrierkassengesetz?

    Eigenthaler: Österreich hat eine Registrierkassenpflicht. Dort gibt es keine offenen Kassen in Kartons oder Schubladen mehr, außerdem haben der Kunde im Laden und der Gast im Restaurant dort einen Anspruch auf eine Quittung. Bei uns dagegen werden Sie beim Bezahlen häufig gefragt, ob Sie einen Beleg wünschen. Verneinen Sie, dann erleichtern Sie dem Unternehmer den Steuerbetrug, weil es ohne einen Beleg auch keine Spur gibt. In Österreich wird mit jedem Beleg überdies ein sogenannter Quellcode erzeugt, mit dessen Hilfe der Umsatz für das Finanzamt registriert wird.

    Gesetze sind das eine – ihre Kontrolle ist das andere. Haben wir nicht ein Vollzugsdefizit, wenn ein mittelständischer Betrieb heute im Schnitt nur alle 15 Jahre überprüft wird?

    Eigenthaler: Wenn es nur 15 Jahre wären. Von 1000 Kleinunternehmen in Deutschland werden jedes Jahr im Schnitt nur 24 geprüft. Haben Sie die Betriebsprüfer einmal im Haus gehabt haben, dann dauert es rein rechnerisch 40 Jahre, bis sie wieder kommen. Mit mehr Betriebsprüfern in den Finanzämtern könnten wir nicht nur die Prüfungsintervalle reduzieren, sondern auch sehr viel gezielter prüfen. Einen Händler, der sein Geld noch in der Schublade sammelt, würde ich dann vermutlich etwas häufiger scharf ansehen. Und wenn ich umgekehrt in einen Betrieb käme, in dem eine Kasse mit einem Sicherheitszertifikat steht, die tatsächlich jeden Umsatz registriert, wäre ich dort vermutlich schnell wieder weg.

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