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Zwischen Populismus und Extremismus: Experte erklärt: Das sind Populismus und Extremismus in Europa

Zwischen Populismus und Extremismus

Experte erklärt: Das sind Populismus und Extremismus in Europa

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    AfD-Chefin Frauke Petry: Die politische Kultur in Deutschland soll einem Experten zufolge weiterhin beharrlich sachlich bleiben und argumentieren.
    AfD-Chefin Frauke Petry: Die politische Kultur in Deutschland soll einem Experten zufolge weiterhin beharrlich sachlich bleiben und argumentieren. Foto: Andreas Gebert/Archiv (dpa)

    Schon im Begriff liegt ja das Problem: Populismus – von lateinisch „populus“, das Volk. Als „-ismus“ jedoch dessen Übersteigerung zur Ideologie. Wer behauptet, Fürsprecher des Volkes zu sein, will doch nur Volk für seine Führungsansprüche versammeln. Das ist es, was Politiker der Mitte und politische Kommentatoren jenen vorwerfen, die derzeit in Deutschland und großen Teilen Europas von rechts punkten, wenn sie diese „Populisten“ nennen. Petry und Le Pen, Hofer und Blocher, Orbán und Kaczynski – die, die sich das Volk und dessen Ängste zunutze machen. Worauf deren immer zahlreicher werdende Anhänger entgegnen, jene „Populisten“ sprächen tatsächlich für sie und damit das Volk, sie formulierten wirklich ihre Ängste.

    „Populisten verstehen?!“ Unter diesem Titel hat jetzt der Politikwissenschaftler Claus Leggewie Ordnung in die Diskussion gebracht, indem er Hintergründe des Populismus beleuchtete und Folgen des aktuellen Wandels aufzeigte. Der Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen und Mitherausgeber der Blätter für deutsche und internationale Politik eröffnete in Aachen eine hochkarätige Vortragsreihe der Initiative Europäische Horizonte zum Thema. Er diagnostiziert eine Veränderung im System der repräsentativen Demokratie: „Das Vertrauen in die Politiker ist über Jahrzehnte hinweg gesunken. Das nähert sich nun an mit einem Souveränitäts- und Steuerungsverlust der Nationalstaaten unter dem Druck der kulturellen und ökonomischen Globalisierung.“ Hinzu sei nun der Aufreger Flüchtlingskrise gekommen. Und bei all dem hätten die Regierungen nie hinreichend erklärt, hätten immer nur mit Sachzwängen argumentiert und damit „Beunruhigung eines großen Teils des Wahlvolks verursacht“ – der Nährboden des aktuellen Populismus.

    Der Ursprung des europäischen Populismus

    Was aber hat es damit auf sich? Leggewie: „Die ersten Populisten, die in den Siebzigern in Europa aufgetaucht sind, waren im Grunde Steuerrebellen, die die Steuern zu hoch fanden und sich gegen den angeblich übermäßigen Wohlfahrtsstaat damals gerichtet haben.“ Es ging ihnen um Entstaatlichung und mehr Markt. Auch in den Anfängen der AfD sei das noch zu sehen, etwa im Widerstand gegen den Euro, aber auch in Forderungen nach Umverteilung – wirtschaftliche Themen, Vorschläge, den Staat anders zu gestalten, nationaler, aber auch liberaler. Jetzt aber wandle sich der Populismus, so der Politikprofessor, „hin zu einem völkischen, autoritären Nationalismus – und das ist noch viel gefährlicher als die Wut auf die da oben“. Hier komme tatsächlich eine harte rechte Weltanschauung aus der Zwischenkriegszeit des frühen 20. Jahrhunderts zurück, die damals in den Faschismus mündete.

    Claus Leggewie: „Die heutigen Populisten fixieren sich auf die Emigration, vor allem aus arabischen und islamischen Gesellschaften und sprechen von Überfremdung.“ Für sie sei der „Volkskörper“ durch die Einwanderung gefährdet. Die Regierung, die Mitte, die Große Koalition begingen Verrat am Volk. Darum, so die Propaganda, müsse nun Widerstand mobilisiert werden. Leggewie sagt: „Darin äußert sich die Militanz, die Aggressivität der rechtspopulistischen oder autoritär nationalistischen Strömungen.“ Eine Brücke zwischen den „selbsterklärten Führern“ zu 20 bis 30 Prozent des Volks als ihrem Publikum bestehe durch ein verbreitetes Unbehagen. „Politische Unternehmer“ wie Gauland könnten nicht nur anknüpfen an Diskriminierung, Rassismus, Wohlstands-Chauvinismus, Verachtung von Flüchtlingen und wirklicher Islamophobie – alles reichlich vorhanden. Sie könnten zudem investieren in Unzufriedenheit, wabernde soziale Ungerechtigkeitsgefühle und daraus Kapital schlagen. Claus Leggewie: „Das ist die Situation, in der wir im Moment sind.“ Und: „Die Lage ist ernst.“

    Experte: Es tobt ein neuer Klassenkampf

    Es tobe ein neuer Klassenkampf, „aber an die falsche Adresse gerichtet“. Verursacher und Profiteure der sozialen Ungleichheit seien die Eliten, die ihr Geld etwa nach Panama transferierten und sich so ihrer Steuerpflicht entzögen. Die Unzufriedenheit derer, denen es nicht so gut gehe oder die Panik im Mittelstand empfänden und die Befürchtung hätten, dass es ihnen demnächst nicht mehr so gut gehe wie bisher, aber richte sich nicht gegen diese. Sondern sie richte sich gegen Minderheiten, gegen Muslime. Leggewie: „Das ist der Trick, den der Populismus immer macht und den auch der Faschismus gemacht hat.“ Man ärgere sich über Minarette und muslimische Flüchtlinge, obwohl man eigentlich den Ärger aus ganz anderer Quelle hat. Nämlich ein Gefühl von sozialer Isolation, von Überfremdung, von Entfremdung, die eigentlich „mehr durch die soziale Ungleichheit bestimmt ist als durch die ethnische Differenzierung unseres Landes“.

    Wo der Populismus nun also in autokratischen Nationalismus, in Extremismus überzugehen droht, und das in vielen Ländern Europas – was lässt sich tun? Der Experte sieht ein Problem, er nennt es „Aufklärungsresistenz, die im Wesentlichen vom Ressentiment lebt“. Ein Ressentiment, das nicht bloß ein kurzfristiges Anti-Gefühl gegen Merkel, Boateng oder irgendwelche Flüchtlinge sei – sondern eine tief sitzende Anti-Haltung gegen alles und jedes. „Dieses Ressentiment berauscht sich an sich selbst und wächst auch an sich selbst.“ Und jede Information – schaut her, es sind gar nicht so viele Flüchtlinge; schaut her, die allermeisten Flüchtlinge integrieren sich; schaut her, es tun die politischen Parteien etwas, die Berufspolitik ist nicht so schlimm – werde jetzt unter dem Stichwort Lügenpresse gegen diejenigen gekehrt, die das Argument aussprechen und ins Reich der Fabel verweisen. „Wenn Leute erst mal eine Paranoia, einen Verfolgungswahn haben, dann ist es sehr schwer, ihnen mit Argumenten zu kommen.“

    Trotzdem bleibe der politischen Kultur nichts anderes übrig, als beharrlich zu argumentieren, die Widersprüche der Populisten dauernd vorzuführen. Für Deutschland heißt das nach Leggewie: „Es ist in den neunziger Jahren gelungen, einen Franz Schönhuber in die Schranken zu weisen – und ich bin ganz sicher, dass es auch jetzt wieder gelingen wird, die seltsamen Idiotien der AfD ins Reich der Fabel zurückzuweisen und ihnen den Schwung zu nehmen, den sie derzeit haben.“

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