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Präsidentschaftswahl: Frankreichs Seele kocht

Präsidentschaftswahl

Frankreichs Seele kocht

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    Walunterlagen einiger französischer Präsidentschaftskandidaten: Vier von elf Kandidaten wird eine Chance prognostiziert, die Stichwahl zu erreichen.
    Walunterlagen einiger französischer Präsidentschaftskandidaten: Vier von elf Kandidaten wird eine Chance prognostiziert, die Stichwahl zu erreichen. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Charlotte hatte eine Vision. Halb im Scherz, halb im Ernst erzählt sie davon während der Mittagspause in einem Asia-Imbiss in Paris. „Plötzlich“, sagt sie, „sah ich vor meinem inneren Auge: Macron, Macron, Macron. Da war mir klar: Er wird gewinnen.“ Ihre Kollegin Lydia schüttelt den Kopf: „Du arbeitest zu viel!“ Charlotte kümmert sich als Infografikerin bei der Wirtschaftszeitung Les Echos um die Umfragen vor der Präsidentschaftswahl – und hat dort täglich die Werte des Favoriten vor Augen, des unabhängigen Kandidaten Emmanuel Macron. Ihre Vorahnung stammt also nicht von ungefähr.

    Lydia wiederum kann sich damit nicht anfreunden. Sie unterstützt den Sozialisten Benoît Hamon, weil sie sich eine linke Politik für sozialen Ausgleich wünscht. Obwohl Macron verspricht, den Sozialstaat zu bewahren und die Bewohner benachteiligter Viertel besonders zu fördern, überzeugt er sie nicht. „Das ist doch reines Marketing. Es ist unmöglich, seinen Reden zu folgen, er reiht nur Phrasen aneinander“, findet sie.

    Vier der elf Kandidaten haben eine Chance, die Stichwahl zu erreichen

    Und trotzdem kommt der 39-Jährige mit seinem optimistischen Auftreten bei vielen Franzosen an. Das bestätigen die Erhebungen, die fast täglich erscheinen. Vier der elf Kandidaten dürften demnach eine Chance haben, die erste Runde an diesem Sonntag zu überstehen und die Stichwahl am 7. Mai zu erreichen. Die Tendenz sieht seit Wochen so aus: Der Linksliberale Macron liegt zwischen 22 und 25 Prozent, mal gleichauf mit der Rechtspopulistin Marine Le Pen, mal einen Hauch vor ihr. Um den dritten Platz kämpfen der Republikaner François Fillon und der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon, denen jeweils rund 18 bis 19 Prozent der Stimmen vorausgesagt werden. Mélenchon, der eine radikale Umverteilung von Reichtum verspricht, hat in den vergangenen Wochen spektakulär aufgeholt. Das ging vor allem auf Kosten des Sozialisten Hamon, der nur noch bei acht Prozent liegt.

    Doch wie verlässlich sind die Umfragen? Bei den Vorwahlen der Republikaner und der Sozialisten setzten sich mit Fillon und Hamon überraschend Außenseiter durch, mit denen kaum jemand gerechnet hatte. Sie profitierten jeweils von der großen Unbeliebtheit ihrer Rivalen. Nun drohen beide zu scheitern. Dem wenig charismatischen Hamon gelang es nicht, seine Ideen von einem bedingungslosen Grundeinkommen bis zu einer Reduzierung der Arbeitszeit glaubwürdig zu erklären. Fillon hat nicht nur ein hartes Reform- und Sparprogramm vor, mit dem er sich viele Feinde macht – es reicht von der Erhöhung der Mehrwertsteuer über die Kürzung von 500.000 Beamtenstellen bis zum Ende der 35-Stunden-Woche. Vor allem verlor der Konservative an Glaubwürdigkeit durch die Ermittlungen wegen des Verdachts der Scheinbeschäftigung seiner Frau und von zweien seiner fünf Kinder auf Kosten des Staates.

    Häppchenweise kamen über Wochen hinweg immer neue Enthüllungen ans Licht, die sein Image als ehrlicher Staatsmann zunichtemachten. So ließ sich Fillon ausgerechnet von einem Anwalt afrikanischer Machthaber teure Maßanzüge schenken. Der 63-Jährige wehrte sich heftig, indem er den Medien eine Schmutzkampagne vorwarf; dementsprechend stehen diese mit ihm nun auf Kriegsfuß. Erschüttert verfolgten die Franzosen das Spektakel, das die weitverbreitete negative Sicht auf die Politiker noch zu bestätigen schien. „Die sind doch alle verdorben“, heißt es oft.

    Jeder vierte Wähler ist noch unentschlossen, wem er seine Stimme geben soll

    Die Schwäche der beiden großen Volksparteien ordnet die französische Parteienlandschaft neu – und macht sie unübersichtlich. Macron, Le Pen und Mélenchon profitieren von ihrer unverbrauchten Aura als Kandidaten, die das alte System durchbrechen. Doch mit welcher Mehrheit kann jeder von ihnen im Falle eines Sieges regieren, wenn im Juni Parlamentswahlen anstehen? Es herrscht große Verunsicherung. Der geringe Abstand der vier stärksten Kandidaten lässt alles offen in einer Wahl, die derzeit bei vielen Menschen im Land das große Gesprächsthema ist. Zehntausende strömten in den vergangenen Tagen und Wochen zu den Kundgebungen „ihrer“ Kandidaten.

    Das Rentner-Ehepaar Nicole und Michel Berthelot gehört dazu. „Wir sind überzeugt, dass Macron das beste Programm hat, weil er für Europa und eine vernünftige Liberalisierung der Wirtschaft ist“, sagen sie über den ehemaligen Wirtschaftsminister. Doch längst nicht alle sind sich ihrer Wahl so sicher. Jeder Vierte weiß immer noch nicht, wem er seine Stimme geben soll – wenn er überhaupt zur Wahl geht. 

    „Kein einziger Kandidat überzeugt mich, für mein konkretes Leben ändert sich eh nichts, und außerdem muss ich am Sonntag arbeiten“, sagt ein junger Kellner in einer Pariser Bar. Wie viele ist er angewidert von einem Wahlkampf, der von scharfen gegenseitigen Attacken der Kandidaten geprägt war, von einer atemlosen Suche der Medien nach immer neuen Skandalen. Wenn debattiert wurde, dann noch am häufigsten über Maßnahmen zum Kampf gegen die hohe Arbeitslosigkeit und das Verhältnis zu Europa. Doch oft gingen inhaltliche Vorschläge unter.

    „Man fühlt sich verloren und ich habe lange gebraucht, um mich zu entscheiden“, gesteht Christine aus dem bürgerlichen Pariser Vorort Charenton-le-Pont. „Aber wenn ich mir die Programme ansehe, glaube ich, dass Fillon am besten dafür geeignet ist, Frankreichs Wirtschaft wieder aufzurichten. Er zitiert oft den Reformmut von Deutschland als Beispiel – da läuft es doch wieder besser? Na also!“ Der Ex-Premierminister unter Präsident Nicolas Sarkozy habe sich bei der Wirtschaftskrise 2009 als guter Krisenmanager gezeigt. Und die Vorwürfe der Selbstbereicherung betreffen ihrer Meinung nach nicht nur Fillon, sondern viele andere Politiker auch: „Die machen das doch eh alle!“

    Könnte die Rechtspopulistin Marine Le Pen eine Stichwahl gewinnen?

    Dass die gesamte Politikerriege korrupt sei, ist auch ein Argument der Rechtspopulistin Le Pen. Sie verschweigt freilich, dass die Justiz auch gegen den Front National ermittelt. Dieser ließ mitunter Angestellte der Partei von Brüssel als Mitarbeiter von EU-Abgeordneten bezahlen. Vor allem jüngere Wähler sind der 48-Jährigen zugetan, die sich zum Sprachrohr des Volkes und der „kleinen Leute“ macht, soziale Wohltaten und einen Kampf gegen die verhassten Eliten verspricht. Zugleich gilt es als unwahrscheinlich, dass sie über die Stichwahl hinaus wirklich gewinnen kann. Denn eine Mehrheit lehnt ihre anti-europäischen und einwandererfeindlichen Parolen weiterhin ab. Diese hat Le Pen in den letzten Tagen besonders oft wiederholt, um ihre Kernwählerschaft zu mobilisieren.

    Wie Frankreichs nächster Präsident gewählt wird

    Der Nachfolger des französischen Präsidenten François Hollande wird in zwei Runden am 23. April und am 7. Mai gewählt.

    Gewinnt keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit, wie es bislang immer der Fall war, treten die beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen in der Stichwahl gegeneinander an.

    Dabei gilt: Ein erster Platz im ersten Wahlgang macht noch keinen Präsidenten. In der Geschichte von Frankreichs Fünfter Republik wurde schon drei Mal der Erstrundensieger in der Stichwahl geschlagen.

    Entscheidend im zweiten Wahlgang ist, wie sich die Stimmen der ausgeschiedenen Kandidaten verteilen.

    Die Amtszeit des französischen Präsidenten beträgt fünf Jahre, eine Wiederwahl ist nur ein Mal möglich. Wahlberechtigt sind alle volljährigen Franzosen.

    Auf den Wahllisten sind dieses Jahr knapp 47 Millionen Franzosen aufgeführt, die sich zwischen elf Kandidaten entscheiden müssen.

    Ob Frankreichs nächster Präsident auch eine Regierungsmehrheit zusammenbekommt, entscheidet sich im Juni. Dann wählen die Franzosen eine neue Nationalversammlung.

    „Immigration ist Unterdrückung“, rief sie am Mittwochabend in der Hafenstadt Marseille, wo gerade zwei Verdächtige festgenommen worden waren, die offenbar kurz vor einem Terroranschlag standen. „Das Gift des radikalen Islamismus muss ausgerottet werden!“ Mit dem scharfen Tonfall und dem rechtsnationalen Gedankengut steht sie in der Linie ihres Vaters, des Parteigründers Jean-Marie Le Pen. Trotzdem hat sie inzwischen mit ihm gebrochen. Er war einfach zu radikal für ihre Strategie der „Entdämonisierung“, mit der sie die Partei zu einer nie da gewesenen Stärke führte. Ihren Anhängern erscheint sie längst als normale Politikerin. Sogar als Einzige, die offen ausspricht, was viele denken.

    „Die nationale Priorität finde ich gut. Warum sollen Sozialleistungen, Wohnungen oder Jobs an Ausländer vergeben werden, wo die Franzosen leiden?“, sagt Charles, ein junger Verkäufer aus Nordfrankreich. Mit Rassismus habe das nichts zu tun. Außerdem schäme er sich nicht dafür, dass er sein Heimatland liebt: „Marine wird Frankreich wieder groß und stark machen.“ Dass die Rechtspopulistin den US-Präsidenten Donald Trump bewundert, ist kein Geheimnis.

    Welcher Kandidat einem verunsicherten Land wieder Mut machen kann, ist heute die große Frage nach fünf Jahren unter Präsident François Hollande. Er hatte genau das versprochen, seine Landsleute aber schwer enttäuscht mit einer unklaren politischen Linie und etlichen Regierungspannen. „Frankreich ist wie eine alte, müde Frau, die wieder verführt werden will“, sagt der Fotograf Hervé. „Sie entlarvt die falschen Versprechen von Le Pen oder Mélenchon, sie mag Fillon nicht mehr sehen. Aber sie weiß auch nicht, ob sie Macron vertrauen kann – oder ob er ein Hallodri ist, der ihr nur schöne Augen macht.“

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