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Kommentar: Gibt es beim Arzt wirklich Patienten zweiter Klasse?

Kommentar

Gibt es beim Arzt wirklich Patienten zweiter Klasse?

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    Die Zahl der Hausärzte nimmt immer weiter ab und die Prognosen für die Zukunft werden nicht besser.
    Die Zahl der Hausärzte nimmt immer weiter ab und die Prognosen für die Zukunft werden nicht besser. Foto: Bernd Weissbrod/Illustration (dpa)

    Oft genügt es schon, die Perspektive zu wechseln, um einem Problem das Problematische zu nehmen. Aus Sicht eines Briten, zum Beispiel, haben Union und SPD mit ihrem Streit um die Zwei-Klassen-Medizin eine Gespensterdiskussion geführt. In Großbritannien warten Rentner nach einem Sturz oft stundenlang auf den Krankenwagen, in den Kliniken liegen die Patienten auf den Fluren – und erst vor wenigen Tagen hat der nationale Gesundheitsdienst zehntausende von Operationen verschoben, weil überall Betten, Ärzte und Pfleger fehlen.

    Verglichen damit sind fünf Wochen Wartezeit für eine Vorsorgeuntersuchung beim Internisten oder beim Augenarzt in Deutschland verschmerzbar. Im Endspurt der Koalitionsverhandlungen jedoch klangen die Unterhändler der SPD teilweise, als stünden uns britische Verhältnisse ins Haus. Ihr Argument, Privatpatienten würden beim Arzt gegenüber den Versicherten der gesetzlichen Kassen konsequent bevorzugt, sticht allerdings nur in einem Punkt – bei den Wartezeiten. Rein medizinisch ist Deutschland alles, nur keine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Jeder, der krank wird, erhält die Behandlung, die er benötigt, und je nach Umfrage sind 85 bis 95 Prozent der gesetzlich Versicherten mit ihrer Versorgung auch zufrieden.

    Ein Viertel der Honorare kommt von den Privaten

    Das heißt nicht, dass es im Gesundheitswesen nichts zu verbessern gäbe – die Angleichung der , die Ärzte für Privat- und Kassenpatienten erhalten, wäre allerdings eine fatale politische Fehldiagnose. Formell würde die neue Koalition damit zwar eine gewisse Gleichheit beim Arzt schaffen, praktisch jedoch hätten die Mitglieder der gesetzlichen Kassen den Preis für die Reform zu bezahlen. Ein Viertel der Arzthonorare kommt heute von den privaten Kassen, obwohl bei ihnen nicht einmal elf Prozent der Patienten versichert sind. Wenn also die höheren Honorarsätze für die Privaten gekürzt werden sollen, müssten die Sätze für die Gesetzlichen natürlich entsprechend angehoben werden, um das System bezahlbar zu halten. Das bedeutet: Tendenziell würden die Beiträge der vermeintlich privilegierten Privatversicherten sinken und die der gesetzlichen Kassen steigen. Erste Schätzungen gehen von Mehrkosten von fünf Milliarden Euro im Jahr für sie aus, das entspräche einer Beitragserhöhung von 0,6 Prozentpunkten.

    Ärztemangel ist auf dem Land am größten

    Mit der Rückkehr zur sogenannten Parität, bei der die Arbeitgeber wieder die Hälfte des kompletten Versicherungsbeitrages übernehmen, haben die Sozialdemokraten bereits einen sozialpolitischen Triumph errungen, nachdem sie zuvor mit ihrer Bürgerversicherung gescheitert waren. Umso wichtiger wäre es nun jedoch, dass die Koalitionäre sich nicht noch weiter über Verteilungsfragen erregen, sondern sich den strukturellen Problemen widmen, von denen der Ärztemangel auf dem Land nach wie vor eines der größten ist. Hier wird die Versorgung trotz der vielen Förderprogramme, der Umsatzgarantien und Investitionszuschüsse eher löchriger anstatt besser, während sich in den Städten eine Facharztpraxis an die nächste reiht. Auch das komplizierte System der Budgetierung von Honoraren und die ausufernde Medizinbürokratie kosten die Ärzte zunehmend Zeit und Nerven – Zeit, die ihnen irgendwann für ihre Patienten fehlt.

    Ein leichterer Zugang zum Medizinerbesuch, eine bessere Versorgung in der Fläche, weniger Bürokratie und insgesamt etwas mehr Gelassenheit: So könnte eine Gesundheitsreform aussehen, die alles Ideologische ausblendet und britische Zustände in Deutschland gar nicht erst entstehen lässt. Auf der Insel, das nur nebenbei, gilt der rasante Schwund an Hausärzten als ein Grund für die Misere.

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